Die Hälfte des US-Werbebudgets wird in Werbung für mobile Endgeräte investiert. Zusammenfassend haben die USA demnach die Nase vorn, wenn es um moderne und digitale Werbeformen geht. Man kann zu Recht behaupten, dass die USA Europa in Sachen Marketing oftmals ein Stück voraus sind. Die Ansichten gehen diesbezüglich zwar ein wenig auseinander, aber wir gehen von einem 12- bis 18-monatigen Vorsprung aus. So lange dauert es nämlich, bis sich Trends aus den USA auch bei uns in Europa etabliert haben. Aber warum sind die Amerikaner:innen scheinbar etwas progressiver und aggressiver unterwegs als wir? Gibt es dafür pragmatische Gründe oder muss man sich um kulturelle Unterschiede bemühen? Diese interessanten Fragen klärt Marketing-Experte Matthius Hanna in diesem Beitrag.
Die Amerikaner:innen sind gefühlt mit der Werbung wie mit der Muttermilch groß geworden. Hinzu kommt, dass Werbung in Amerika meistens emotional aufbereitet und mitreißend ist. In Europa werden über Advertising eher wichtige Produktinformationen wie Performance, Sicherheit oder beispielsweise Nährwerte verkündet, während sich das amerikanische Marketing schwerpunktmäßig weit mehr mit dem eigentlichen Produkterlebnis beschäftigt und dieses ideal sowie emotional vermarktet.
Marketing in den USA: Ein gesellschaftlicher Spiegel
Dass Amerikaner:innen Marketing-Profis sind und mit ihren Botschaften viel öfter ins Herz treffen, geht tatsächlich auf die kulturelle DNA des Landes und seiner Geschichte zurück. Wenn man einmal von den Ureinwohner:innen absieht, besteht Amerika aus einem Volk von Einwanderern, die ihre Heimat verließen und sich neu erfinden mussten. Wer Geld verdienen wollte mit Viehzucht, Ackerbau oder der Herstellung von Wirtschaftsgütern, musste sich etwas einfallen lassen, um sich von der Masse abzuheben. Es galt, willige Käufer:innen zu finden, da die Startbedingungen für alle gleich waren. Und außerdem beschäftigten sich viele der Neuankömmlinge mit denselben Aktivitäten.
Im Grunde genommen musste jede:r Einwanderer:in nicht nur einen Neustart hinlegen, sondern auf sich aufmerksam machen und kreativ sowie erfinderisch werden, um zu überleben. Die Fähigkeit, sich gut zu vermarkten, liegt dem amerikanischen Volk demnach im Blut. Dies ist nicht zuletzt auch der Grund dafür, weshalb die US-Unterhaltungsindustrie rund um Hollywood und Co. so erfolgreich ist wie keine zweite auf der Welt.
Wie Werbung in den USA aussieht
Werbung gehört zum Alltag in den USA dazu. In Amerika wird sie viel seltener als “störend” oder “nervig” empfunden. Die modernen Amerikaner:innen nimmt emotionalisierende Produktwerbung als nützliche Information und Angebot wahr, welches ihm neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet. Während die Europäer:innen demgegenüber dezente, subtile und unaufdringliche Werbung bevorzugt.
Da man schon zu Gründungszeiten des Landes Business von Mensch zu Mensch betrieb, wird in den USA häufig auf Testimonials gesetzt, um ein Produkt oder eine Dienstleistung hoch emotionalisiert zu verkaufen. Begeisterte Kunden berichten von ihrem Produkterlebnis (“customer experience”) und Hersteller:innen filmen die Aussagen mit der Kamera. So entsteht eine kostengünstige und absolut ansprechende Werbung, die von der breiten Masse gerne konsumiert wird.
Auch funktioniert das Empfehlungsgeschäft in den USA wesentlich besser, sodass beispielsweise Firmen wie TESLA ausschließlich auf die Mund-zu-Mund Weitergabe der customer experiences setzen, um ihre Fahrzeuge zu verkaufen, ohne einen Cent in kommerzielle Werbung investieren zu müssen (und das mit viel Erfolg!).
Marketing in Europa: Andere Grundvoraussetzungen
In Europa hingegen setzt man auf glaubwürdige und zuverlässige Aussagen. Man versorgt mehr mit Produktdetails und Informationen, die Verlässlichkeit vermitteln – auch hier kann die historische Entwicklung zugrunde gelegt werden.
Europa bestand ursprünglich aus vielen verschiedenen Stämmen und Hoheitsgebieten, die ständig im Kleinkrieg um Landesgrenzen und Bodenschätze waren, weshalb die Europäer:innen permanent misstrauisch und jederzeit bereit sein mussten, ihr Hab und Gut vor feindlichen Übergriffen zu schützen. Im Ernstfall war es also gefragt, sich zurücknehmen und leise sein zu können. Dies steht logischerweise im Gegensatz zu einem progressiven oder lauten Auftreten, wie man es aus amerikanischer Werbung gewohnt ist.
Von den USA in Sachen Werbung lernen
Zwar gelangt man mit beiden Werbemethoden ans Ziel. Allerdings könnten sich europäische Marketing-Unternehmen vom Vorgehen der amerikanischen Mitstreiter durchaus etwas abschneiden. Und das nicht nur in Sachen Emotionalisierung und Außenauftritt. Sondern auch in Sachen Weitsicht.
Als anschauliches Beispiel dient hier Steve Jobs, der es dank voraus geplantem und effizientem Marketing geschafft hat, Menschen schon lange vor der Produkteinführung auf dem Markt so anzusprechen und zu treffen, dass sie am Tag des offiziellen Verkaufsstarts sogar dazu übergehen, vor Apple Stores zu schlafen, um die begehrten Handys abzubekommen.
Wer sich also die Profi-Tricks der Amerikaner:innen abschaut und diese für den europäischen Markt adaptiert (z. B. sanftere Tonalität, gleich starke Argumente), darf sich auch hierzulande über bahnbrechenden Marketing-Erfolg freuen – ganz ohne Cowboy-Vergangenheit, wohlgemerkt.
Titelbild © Unsplash | Campaign Creators
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