Zwischen Currywurst und Käsekrainer: über Klischees von Berlin bis zum Kulturschock der Wien-Rückkehr
Wien eifert in vielen Bereichen seinem vermeintlichen, großen Geschwisterchen Berlin nach – vor allem in der Techno- und in der Kunstszene. Viele Mythen ranken sich um die deutsche Hauptstadt und manche davon stimmen sogar. Unsere Redakteurin hatte drei Jahre dort gelebt, berichtet euch davon und auch davon, wie es war, nach Wien zurückzukehren.
„Ich werde nach Berlin ziehen“ wurde im Jahre 2016 ein fixer Bestandteil meines Wortschatzes und ich entschied mich „a Eitrige“ für die nächsten Jahre gegen Currywurst und Schippe einzutauschen. Nachdem ich 2013 einen Kurzurlaub dort verbracht hatte, litt ich unter der weit verbreiteten After – Berlin – Depression. Danach konnte ich nicht mehr aufhören, an ein potentielles Leben in dieser Stadt nachzudenken.
Doch was ist es eigentlich, warum alle nach Berlin ziehen wollen?
Drei Jahre in Berlin und eine Rückkehr später glaube ich, einige Antworten darauf gefunden zu haben.
Als WienerIn ist es recht einfach in Berlin Anschluss zu finden. Das Funkeln in den Augen, sobald man mit unserem charmanten Akzent „Hallo“ statt dem deutschen, langgezogenen „Hallooooo“ sagt oder „Spital“ statt „Krankenhaus“. Das zaubert den Menschen dort sofort ein Lächeln ins Gesicht – ein schneller Icebreaker. So ergibt sich direkt das erste Gesprächsthema, nämlich das Bereinigen von Klisches – in Wien wären alle reich bis zur langwierigen Diskussion, Österreicher müssten alle Skifahren können, nachdem auch alle quasi auf einer Berghütte wohnten.
Berlin hatte jedoch eines deutlich offenbart: Einerseits war es leicht, dort Anschluss zu finden, doch andererseits war es leider nicht sehr beständig.
Ich habe in 3 Jahren viele Leute kennen gelernt, aber leider trennen sich die Wege, sobald ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Von einst intensiven Freundschaften bleiben zumeist nur oberflächliche Bekanntschaften. Für Schnelllebigkeit ist Berlin ja auch bekannt und Kontakte in einer großen Stadt mit 3 Millionen Menschen dauerhaft zu pflegen, erfordert Arbeit und Zeit.
Der Entschluss, dies nur auserwählten Menschen entgegen zu bringen, wird schnell getroffen. Alleine schon durch die Tatsache, dass die durchschnittliche Zeit von A nach B ungefähr 35-50 Minuten beträgt – inklusive einiger „Zug fällt aus“- Durchsagen.
Wie in der Heimatstadt ist auch in Berlin ein Zusammenhalt von Wienern garantiert. Wie das Schicksal so spielte, lernte ich relativ schnell „Artgenossen“ kennen oder intensivierte Freundschaften mit jenen, die schon mal in meinem Leben waren. Dieses Stückchen Heimat, das wir alle teilten, gab in allen Lebenslagen einen vertrauten Zusammenhalt.
Feiern in Berlin
Das Klischee, Berlin sei die beste Stadt, um nächtelang in bester Laune durchzufeiern, kann ich mit bestem Gewissen bestätigen. Ich durfte gleich an meinem ersten Wochenende das volle Programm erleben: wilde Renate – Sisyphos – Berghain. (Anm. d. Red.: Drei sehr bekannte Technoclubs) Und hell yes, es war der allerbeste Start, den man sich vorstellen kann.
Durch meinen ersten richtigen Freundeskreis in Berlin, in den ich durch eine damalige Freundin gekommen bin, machte ich in kürzester Zeit alles an Erfahrungen, was Berlin ausgehtechnisch so zu bieten hatte. Jedes Wochenende startete und endete grandios. Ich war begeistert von der Offenheit der Leute und der unfassbar guten Musik.
In meiner Anfangszeit schlenderte relativ schnell eine Kontinuität – von Montag bis Freitag stand Ausbildung am Programm und Freitag bis Sonntag Katerblau, Berghain, Heideglühen oder Sisyphos. Jede Woche. Und ich habe es geliebt! Bei meinen Wien-Besuchen wurde ich immer wieder mit dem Satz konfrontiert „Ich könnte nicht in Berlin wohnen, ich würd‘ im Feiern untergehen“ – Ja, auch dieses Klischee bekommt man hautnah mit. Da ich auch schon in Wien immer einen sehr lustigen, feierfreudigen und gleichzeitig pflichtbewussten Freundeskreis genossen habe, bin ich mit dieser Einstellung nach Berlin gezogen und rate es auch jeder Person, die sich dafür entscheidet. Ohne Ausbildung oder Arbeit auch keine Party.
Der Abfall in die Feierszene und den Drogensumpf war immer sehr weit weg von mir, da ich auf eine stabile Base in Wien zurückgreifen konnte, mit der ich stets weiterhin in Kontakt war. Beim Feiern in Berlin ist es genauso wie in Wien und in jeder anderen Stadt wichtig, Menschen um sich zu haben, denen man (ver)trauen kann. Ich hatte diesbezüglich immer Glück. Auch wenn Freundschaften das eine oder andere Mal entglitten sind, konnte ich auch dort in den wichtigen Momenten auf die Menschen zählen. Und: Das ist meines Erachtens einer der wichtigsten Punkte in einer Stadt, in der man das Leben so liebt und feiert, wie in Berlin.
Dating in Berlin
Leben in Berlin schöne Menschen? – Ja.
Klappen Beziehungen in Berlin? – Nein.
Ich bin als relativ frischer Single nach Berlin gezogen und habe auch schnell gemerkt, dass ich diese Stadt auch wieder als Single verlassen werde.
Viele möchten die Freiheit, die sie in dieser Stadt gewinnen, nicht aufgeben – dieses Prinzip verfolgen mit Sicherheit 90% der Zugezogenen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob du dort geboren wurdest oder hingezogen bist. Deswegen will ich hier auch keineswegs verallgemeinern. Ich spreche von Zugezogenen.
Für mich als eine zugezogene Wienerin war – wie oben bereits erwähnt – das Eis mit dem Satz „ich bin aus Wien“ schnell gebrochen und das Ego darf sich gleich vom ersten charmanten Lächeln des Gegenübers streicheln lassen. Wir Wiener sind dort mit unserem Dialekt nämlich süß. So süß, dass wir gern mal als Bayer oder Schweizer bezeichnet werden – und so süß unser Dialekt ist, so intensiv und kurz sind die Bekanntschaften. Ganz nach dem Prinzip: Du faszinierst mich und bist meine Muse. Aber andere genauso, leb damit.
Offene Beziehungen und Polyamorie sind bei in Berlin Lebenden alles andere als unüblich. Da ich doch eher eine der seltenen Gattung „entweder Single oder eine treue, monogame Beziehung“ bin, konnte ich mich schnell damit arrangieren und wusste mit den Bekanntschaften gut umzugehen. Am besten nämlich gar nicht.
Zurück in Wien – und der Kulturschock
Nach 3 Jahren in dieser Stadt war es an der Zeit für mich, zurück nach Wien zu ziehen. Meine Homebase fehlte mir. Meine Freunde, die Lebensqualität und die Liebe motivierten mich, meine Zelte wieder in meiner Heimatstadt aufzuschlagen.
Zugegebenermaßen dachte ich mir, ich komme in Schwechat am Flughafen mit Sack und Pack an, gönn mir erstmal ein Wurstsemmal und mache dort weiter, wo ich aufgehört hatte. Durch das Leben in meiner Seifenblase namens Berlin war mir nicht bewusst, dass sich auch in meiner Heimatstadt Wien alles weiterentwickelt hatte. Den Egoismus, den man sich in Berlin aneignet, nachdem man 100% auf sich alleine gestellt ist, abzulegen war nicht einfach und mit diesem Problem wurde ich relativ schnell konfrontiert.
Das Gefühl überkam mich, fremd in meiner eigenen Stadt zu sein. Hinzu noch die Luft, die mir durch eine toxische Beziehung abgeschnürt wurde, und die Erkenntnis, dass man auch an langjährigen Freundschaften arbeiten muss, überforderten mich und ich zog mich vorerst einmal zurück.
Doch was genau ist nun der Unterschied zwischen nach Berlin ziehen und zurück in die Heimat zu kommen?
Zuhause in Wien hält man zusammen. Als ich unten war, wurde mir nach oben geholfen. Mir wurde gezeigt, warum ich eine große, schnelllebige Stadt verlassen und mich für mein kleines, feines Wien entschieden habe. Ich habe mich in Wien wieder dafür entschieden, wofür ich immer gebrannt habe: meine vertrauten Freunde und meine Familie. Dinge, die mir in Berlin in 3 Jahren einfach gefehlt haben.
Und genau das ist der große Punkt, wenn man sich dafür entscheidet ins große, aufregende Berlin zu ziehen. Ja, ich hatte die Zeit meines Lebens und habe jede Sekunde in vollsten Zügen genossen. Ich bin erwachsen geworden und habe gelernt alleine durchs Leben zu gehen mit sehr wenigen Vertrauenspersonen, auf die ich vor Ort zugreifen konnte.
Also was ist es nun, warum alle nach Berlin wollen?
Eindeutig die Freiheit, die Anonymität und das Leben. Wie meine weise Mutter so schön pflegt zu sagen „Berlin ist ein Lebensstil“. Es war für mich eine Seifenblase, in der die positiven gleich neben den negativen Erfahrungen gelegen sind.
Doch im Endeffekt habe ich auch gelernt, meine Wurzeln und meine Stadt wertzuschätzen, und betitel mich stolzer als je zuvor als waschechte Wienerin.
Ein Gastbeitrag von Lena Ehsani
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