Ein flächendeckender Tarif hätte das Grundgehalt von deutschen Pflegekräften deutlich angehoben. Doch ausgerechnet der katholische Wohlfahrtsverband Caritas blockierte den Bescheid und verwehrt somit Hunderttausenden Pflegerinnen und Pflegern höhere Löhne. Nächstenliebe hat seine Grenzen. Auch bei der Caritas?
Fehlende Wertschätzung
Lange war es eigentlich schon Tatsache. Doch seit der Corona-Pandemie ist es endlich auch für die letzten unter den Nichtwissenden zur Erkenntnis geworden: Pflegekräfte sind unersetzlich. Ihre Tätigkeit überlebenswichtig. Daher findet sich dieser Knochenjob auch in der Liste der elf als „systemrelevant“ eingestuften Berufe wieder. Wertschätzung jenseits verbaler Beteuerungen lässt aber immer noch auf sich warten.
Undankbare Plackerei
Das Malochen der Pflegekräfte: Eine Schufterei in 12-Stunden-Schichten. Gekoppelt mit Hektik und zu viel Stress. Erdrückend vor allem der Zeitmangel und die Gewissheit, sich nie so lange um Pflegebedürftige kümmern zu können, wie diese es vielleicht bräuchten.
Pflegebedürftige, das muss man leider sagen, die ihren Helferinnen und Helfern nur allzu oft alles andere als Dankbar für deren Aufopferungen sind. Pflegekraft ist daher auch mit Abstand der undankbarste Beruf (!). Über das Gehalt darf man gar nicht erst sprechen. Der Mindestlohn ist oft Programm.
Neuer Tarifvertrag
Doch gerade bei der Bezahlung hätte sich etwas gravierend verändert. Ein flächendeckender Tarifvertrag sollte die finanziellen Einkünfte der Pflegekräfte verbessern. Der Beschluss hätte die Mindestlöhne in der Altenpflege deutlich erhöht. Faire Löhne für harte Arbeit, die Devise. Hört sich fair an.
Doch ausgerechnet die Caritas – genauer der katholische Caritasverband – blockierte diese Verwirklichung. Wieso? Dieser Vertrag hätte für mehr als eine Million Beschäftigte verbindliche Löhne vorgesehen.
Caritas – Egoismus statt christlicher Nächstenliebe?
Auf ihrer Website macht sich die Caritas stark für mehr Solidarität mit Pflegekräften. Gleichzeitig verhindert sie jedoch, dass hunderttausende Pflegekräfte besser (und vor allem fair!) bezahlt werden. Offensichtlich will der katholische Wohlfahrtsverband da nicht mitmachen. Obwohl die Solidarität mit hart arbeitenden Niedrigverdienern bestens mit den kirchlichen Tugenden vereinbar ist. Warum tut die Caritas das?
Die Antwort ist verwunderlich, denn wie die Süddeutsche beharrt, wäre es „falsch, der Caritas Geiz vorzuwerfen.“ Warum? Es ist absurd. Denn erstaunlicher Weise bezahlt gerade die Caritas ihre eigenen Leute – auch die Pflegekräfte – ausgesprochen gut. Sogar beiweitem höher, als es der neue Mindestlohn vorgesehen hätte (!). Doch warum stellt sich die Caritas dann genau quer? Anscheinend geht es der Caritas nicht um das Geld. Doch worum dann? What’s their fu**ing deal?
Die Caritas-Verantwortlichen „befürchten offenbar, dass ihr eigenes Tarifsystem, der sogenannte Dritte Weg, in dem Arbeitskämpfe ausgeschlossen sind, grundsätzlich Schaden nimmt – und damit ihre Eigenständigkeit.“, so Benedikt Peters.
Der Dritte Weg – was bedeutet dieser?
Offenbar befürchtet die Caritas durch das Zustandekommen des Tarifs, den Verlust ihrer Sonderrechte. (der s.g. „Dritte Weg“). Gemeint sind arbeitsrechtliche Regeln, die nur für kirchliche Einrichtungen gelten. Den Beschäftigten dort ist es z.B. untersagt zu streiken. Statt Betriebsräte gibt es bei diesen Einrichtungen nur Mitarbeitervertretungen – mit weniger Einfluss- und Mitsprachemöglichkeiten.
Die Sorge der Caritas um ihre Sonderrechte ist für viele unverständlich. Auch für viele aus den eigenen Reihen des katholischen Wohlstandsverbands. Der Tarifvertrag hätte, wie schon erwähnt, deutlich unterhalb der Caritas-Löhne gelegen. Auch bei zukünftigen Einkommenserhöhungen wäre die Caritas mit ihren Gehältern darüber gelegen. Doch Worte wie „Gewerkschaft“ und „Tarifvertrag“ scheinen Kampfbegriffe in den Ohren der Dienstgeber des katholischen Wohlfahrtsverbands zu sein.
Anstand ist ein gutes Stichwort, liebe @Caritas_web ? Es wäre nämlich sehr anständig, die Dumpinglöhne bei privaten #Pflege-Anbietern durch Ihre Zustimmung zum #Tarifvertrag zu beenden. Denn die müssen – dank Ihrer Blockade – weiter zum Mindestlohn schuften. https://t.co/ro0UOWEBwu
— campact (@campact) March 18, 2021
Eine Stellungnahme Seitens der Caritas gab es diesbezüglich nicht. Doch wäre das wohl mehr als angebracht. Vor allem für die hunderttausenden der Pflegerinnen und Pfleger, deren Dienstgeber eben nicht die Kirche ist. Sprich: Angestellte von Privatpflegeheimen. Für diese wäre der höhere Mindestlohn das lange überfällige Zeichen der Anerkennung gewesen.
Und wer weiß: Vielleicht hätte dieser Lohnanstieg ja auch dazu geführt, dass sich mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden. Der ja so „systemrelevant“ ist. Und das ist dabei gar nicht einmal so unwahrscheinlich. Denn der neue Tarifvertrag hätte laut Gewerkschaft für einige Pflegekräfte sogar eine Lohnsteigerung von bis zu 25 Prozent vorgesehen. Vor allem private Anbieter hätten ihre Angestellten deutlich besser entlohnen müssen. Diese bezahlen sehr oft nur den Pflegemindestlohn. Und waren, neben der Caritas, natürlich auch gegen diesen Tarif.
Spielverderber Caritas
Dabei war man doch schon so kurz vor dem Abschluss. Die Gewerkschaft und ein Arbeitgeberverband hatten sich sogar schon geeinigt. Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) war kurz davor, den Tarifvertrag für alle Pflegekräfte festsetzen zu lassen. Doch die Arbeitgeber in der zuständigen Kommission bei der Caritas stimmten dagegen. Das alles nur, weil sie mehr Rechte für ihre Beschäftigten fürchten. Es ist absurd. Doch auch für den katholischen Wohlfahrtsverband hat die Nächstenliebe scheinbar eine Grenze. Und diese beginnt anscheinend dort, wo Rechte anfangen würden.
Höhepunkt der Skurrilität
Ganz bizarr: Noch am selben Tag, an dem die Caritas den Tarifvertrag abgelehnt hat, beschloss sie zugleich auch die Lohnerhöhungen für alle 600.000 Angestellten. Während Pflegekräfte bei privaten Anbietern weiterhin für einen Hungerlohn rackern müssen.
Christliche Nächstenliebe über die eigenen Grenzen hinaus? Fehlanzeige. Eine große Chance auf Fairness scheint wieder einmal verspielt. Denn eine Wiederaufnahme dieses aufwendigen Tarif-Großprojekts scheint nach der ernüchternden Entscheidung der Caritas nicht sehr realistisch.
Titelbild Credits: Shutterstock
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