Der September 2024 war ihn Wien nicht nur geprägt von den emotional geführten Nationalratswahlen, sondern war vor allem auch gezeichnet von Aggressionen auf Österreichs Fußballplätzen. Die Gewalt, der Hass und die körperlichen Entgleisungen, die sich dort regelmäßig ereignen, sind besorgniserregend. Österreich versinkt im Fußball-Chaos. Wir haben herausgefunden, warum der Fußball in Österreich ein Gewalt- und Aggressionsproblem hat und was hinter den Ausschreitungen in Österreichs Fußball steckt.
Gewalt, Hass und körperliche Übergriffe: Ausschreitungen in Österreichs Fußball
Der 8. September 2024, Favoriten, FavAC-Platz: Beim Oberliga-A-Spiel des Favoritner Athletic Club gegen den KSV Ankerbrot rastet ein Spieler der Heimmannschaft nach der roten Karte gegen einen seiner Mitspieler völlig aus und bringt den Schiedsrichter per Kopfstoß zu Fall. Das Spiel wird daraufhin abgebrochen. Der gewalttätige Spieler für 94 Wochen gesperrt.
22. September 2024, Hütteldorf, Allianz Stadion: Nach dem 343. Wiener Derby zwischen Rapid und Austria Wien kommt es zu schweren Ausschreitungen im Stadion. Darüber hinaus werden auch Böller und Bengalische Feuer geworfen – wovon auch Familienbereiche mit Kindern betroffen sind. Die Aggressionen und die Gewalt steigerten sich und es kommt sogar zu einem sogenannten Platzsturm.
Die Horror-Bilanz: Mindestens 27 Verletzte – ein Mann wird nach Abpfiff bei einer nahegelegenen S-Bahn-Station sogar ins künstliche Koma geprügelt, insgesamt gibt es 577 Anzeigen. Natürlich ist das nicht der erste Zwischenfall bei einem Rapid Wien-Spiel.
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Brennpunkte vor allem Spiele der unteren Spielklassen
24. September 2024, Simmering, Ostbahn-XI-Platz: Nach dem Regionalligaspiel zwischen FC Mauerwerk und dem Wiener Sportklub, in dem die Gäste dank zweier später Tore 3:2 gewinnen können, eskaliert die Situation vollkommen.
„Fans“ und sogar die Ordner des Heimteams (eigentlich ja das Sicherheitspersonal!) stürmen auf den Platz und attackierten die Akteure der gegnerischen Mannschaft. Zuerst verbal, dann auch körperlich. Unglaubliche Szenen, ereignen sich. Sodass rund 50 Polizisten einschreiten müssen, um die Sportclub-Spieler unter Schutz aus dem Stadion zu begleiten.
Ausschreitungen in Österreichs Fußball: Entwicklungen besorgniserregend
Die Aggressionen im Fußball allgemein, aber auch speziell in Österreich, haben eine neue Dimension erreicht. Besorgniserregend ist, dass sich diese Ausschreitungen in allen Spielklassen ereignen und dabei vor allem immer mehr Jugendliche involviert sind. Für den Sportsoziologen Otmar Weiß von der Uni Wien ist diese Entwicklung jedoch keine Überraschung, denn der Sportplatz ist sozusagen „das Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation“.
Wobei das Fußballstadion immer schon Anziehungspunkt für Anerkennungsstreben und Identitätssuche gewesen ist. Hooligans, oder „Fans“, die durch Fehlverhalten auffallen, tun dies dabei ganz bewusst, um von gesellschaftlichen Normen abzuweichen. So wollen sie auf sich aufmerksam machen – im negativen Sinn. Und das Blöde daran ist, dass sie diese Aufmerksamkeit (in ihren Augen eine Form der Anerkennung) auch bekommen. Die Polizei wendet sich ihnen zu, die Medien auch.
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Gewalt-Problem beginnt schon Kindern und Jugendlichen
Doch nicht nur die Erwachsenen verhalten sich aggressiv. Das Fehlverhalten in der Fußballwelt beginnt leider schon im Kinderalter. Denn wie der Sportpsychologe Robert Korb, gegenüber der Kleinen Zeitung erklärt, steigt auch die Aggression und Gewalt bei Kindern und Jugendlichen am Fußballplatz bedenklich an. Was dort genau falsch läuft?
Zuallererst einmal scheint keinerlei Respekt mehr vorhanden zu sein – Nicht vor Menschen, aber auch nicht vor Funktionen (Stichwort: Ordner). Hemmschwellen sind dabei auch immer weniger vorhanden. Emotionen brechen daher immer schneller durch und werden in Form von Aggressionen ausgelebt — interpersonale Gewalt.
Seit der Corona-Pandemie hat sich das noch einmal gravierend verschlimmert. Schuld daran sind dabei, laut Korb, nicht nur die sozialen Medien und die Eltern. Auch das internationale Fußball-Geschäft wird immer mehr von Emotionen dominiert. Von Spielfeld, über Trainerstab bis hin zu den Funktionären – ein jeder Bereich wird auf seine Weise emotionalisiert. Man sieht immer mehr und mehr emotionale Reaktionen, anstatt sachliches Verhalten. Die Fußballfans und vor allem die Kinder nehmen sich aber genau daran dann auch ein Beispiel.
Problembereich Trainer
Vor allem die Trainer werden immer emotionaler, anstatt als Ruhepol zu gelten. Was recht spannend ist, denn laut einer Studie sind Trainer, die ihre Emotionen im Griff haben, erfolgreicher.
„Emotional instabile“ Trainer werden daher unkonzentrierter, weil sie sich zu viel mit den erlebten Negativerlebnissen beschäftigen. So verlieren sie die anstehende Aufgabe aus den Augen und es erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie bzw. die von ihnen betreute Mannschaft das nächste Spiel verliert. Was im Umkehrschluss natürlich bedeutet, dass Fußballtrainer, die ihre Emotionen im Griff haben, erfolgreicher sind.
Ausschreitungen in Österreichs Fußball: Vor allem Jugendliche betroffen
Vor allem junge Menschen sind von diesem Phänomen der Emotionalisierung betroffen, gekoppelt mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit. In der Gruppe suchen diese Jugendlichen dann jenes Zugehörigkeitsgefühl, das ihnen in der Familie fehlt, so der Psychologe Otmar Weiß.
„Speziell Jugendliche bekommen kaum mehr Anerkennung, versuchen dann im Negativen auf sich aufmerksam zu machen – der Sportplatz ist ein Platz der Anonymität in der Masse, ein Freiraum.“, so der Sportpsychologe gegenüber der Kronen Zeitung. Immer öfter wird dieser Freiraum jedoch als Ventil für Aggressionen missbraucht.
Für Weiß ist das eine „Folge des Bildungsdefizits. Das manifestiert sich auch im Stadion – seit 30 Jahren ist eine Reform angekündigt, die ist längst überfällig“. Auch die Rolle der Eltern sieht er kritisch: „In vielen Familien haben Elternteile zu wenig Zeit für ihre Kinder, es gibt zu wenig finanzielle Mittel, dass ist auch eine politische Frage.“ So treibt es Jugendliche immer weiter in diese „Freiräume“, in denen sie dann ihre unterdrückten Emotionen artikulieren.
Weiteres Problem ist, dass diese Jugendlichen und auch die „Fans“ natürlich alle männlich sind und daher hauptsächlich Männer in den Stadien und auf den Fußballplätzen reihenweise eskalieren. Somit ist die toxische Männlichkeit ein zusätzliches Problem, dass man diesbezüglich angehen muss.
Ausschreitungen in Österreichs Fußball: ein Fazit
Die immer höhere Gewaltbereitschaft auf Österreichs Fußballplätzen (und darüber hinaus) ist verstörend. Und all diese Fälle der Aggressionen sind dabei leider keine Einzelfälle oder Ausnahmen. Skandale und Randale ziehen sich als roter Faden durch das Fußball-Milieu Österreichs
Was man tun kann, um solche Szenen der Gewalt und Aggression am Fußballplatz zu vermeiden? „Kommunizieren, und zwar überall – in den Fanklubs, bei den Vereinen, in der Schule, daheim: Gewalt ist keine Lösung!“
Was sich dabei wie ein guter Vorschlag anhört, bleibt vermutlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn wenn ein ganzes System versagt (Bildung, Eltern usw.) dann braucht man mehr, als abgedroschene Sprüche, die keiner mehr wirklich ernst nimmt. Es bedarf einer ganzheitlichen und auch systemimmanenten Veränderung und das auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Emotionale Kompetenz am Fußballfeld alleine scheint dabei bedauerlicherweise zu wenig, aber ein guter Schritt in die richtige Richtung, allemal.
Titelbild © Shutterstock
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