Restriktionen im Musikveranstaltungsbereich: Betroffene Musiker:innen melden sich zu Wort

Corona ist tot – lang lebe Corona! So oder so ähnlich fühlt sich das Motto der Pandemie während des Sommers 2021 an. Wir lernen gerade, dass die Impfung einen schweren Krankheitsverlauf mit mathematischer Wahrscheinlichkeit ausschließt, aber dennoch nicht grundsätzlich die Weiterverbreitung des Virus unterbindet. Dennoch ist das Gefühl der Freiheit spürbar. Kunst- und Kulturhungrige strömen bei lauen Sommernächten in wiedereröffnete Locations. Ein Wettlauf gegen den Lockdown? Was uns genau im Herbst dadurch erwartet, wird sich wohl erst weisen.
Fakt ist, die strikten Restriktionen sind vorerst temporär vorüber. Und jede:r versucht, ein Stück Freiheit oder Konsum zu erleben. Doch wie ging es eigentlich den betroffenen Musiker:innen während dieser gesamten Zeit? Wie sind sie mit dem Gefühl der Isolation und dem finanziellen Druck zurechtgekommen? Besser gesagt: „Wie wurden die Restriktionen im Musikveranstaltungsbereich von den betroffenen Musiker:innen wahrgenommen?“. So lautet zumindest der Arbeitstitel einer Forschungsarbeit von Studierenden der Uni Wien. Wir haben uns für euch diese Arbeit etwas näher angeschaut um eventuell herauszufinden, was man denn in Zukunft besser machen könnte.
Lockdown Crazy durch Restriktionen im Musikveranstaltungsbereich?
Der Lockdown trieb so manch finanziell gebeutelte:n Künstler:in zu abstrusen Theorien hin. Neben deutschen Kokain-Stars und Sternchen, die sich in haltlosen antisemitischen Verschwörungstheorien verloren, witterte auch so manch kleine:r Nischenmusiker:in eine große Verschwörung gegen das eigene Ego.
Existenzielle Angst, vor der sich manche sahen, brachte aber auch jede Menge berechtigte Kritik auf den Plan. Wo waren die angedachten Sozialleistungen für die Betroffenen? Wo war die unbürokratische, schnelle Hilfe? Und wo war das gemeinsame an einem Strang ziehen?
Während Großindustrielle und Konzerne mit Hilfsgeldern überschüttet wurden und ihre Dividenden währen der Krise teilweise verdreifachen konnten, sahen sich manche kleinen Kulturarbeiter:innen vor unüberwindbaren bürokratischen Hürden. Waren die erstmal bezwungen, gab es auch danach oft nichts. Da in gewissen Fällen das vorangegangene Einkommen als zu niedrig befunden wurde. Als würde man arme Menschen für ihre Armut weiter bestrafen. Eine bekannte Philosophie der mittlerweile seit über 30 Jahren an der Macht klammernden ÖVP: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen…!
Geteiltes Leid – halbes Leid?
Was sich durch die gesamte Gesellschaft zog, wurde durch die fehlenden Möglichkeiten zu Auftritten katalysiert. Und verstärkt in der Musikbranche wiedergegeben. Emotionslos über das Thema zu sprechen, war beinahe unmöglich. So hörte man in den Medien immer wieder ein Aufbäumen und ein Aufbegehren vonseiten diverser Künstler:innen. Mal berechtigt, mal wahnhaft.
Doch für eine nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema war kaum Zeit. Es gab Wichtigeres. Die Künstler:innen wurden zum Spielball von Politik und Medien. Wie die betroffenen Musiker:innen die Restriktionen im Musikveranstaltungsbereich selbst wahrgenommen haben, war den meisten parallel dazu egal. Verständlicherweise war doch jeder mit dem eigenen Über-die-Runden-Kommen beschäftigt. Der Tellerrand kann eben auch einsam machen.
Um die Situation effektiv und messbar evaluieren zu können, hat sich eine Gruppe von Studierenden der Uni Wien genau dieser Frage näher gewidmet. Nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten haben sie die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Lebensrealität der Betroffenen ermittelt. In 16 qualitativen leitfadenorientierten Tiefeninterviews. Ausgewählt haben sie dafür sechzehn Personen, die sich sowohl hinsichtlich des Alters, Bekanntheitsgrades in der Branche und finanzieller Situation unterscheiden. Auch wenn es keine statistisch repräsentative Studie ist, konnte man so in die Tiefe gehen, um das Offensichtliche näher zu erforschen. Die Kernfrage dabei lautete salopp gesagt: Wie „Orsch“ war es eigentlich für die Betroffenen?
Yaroslav Antoshko, Lukas Binder, Bogdan Meandzija und Felix Schwimann haben sich genau mit dieser Frage auseinandergesetzt
Veränderung der persönlichen Lebensrealität
Die Erfahrungen mit den Maßnahmen hingen natürlich von einer Reihe von Faktoren wie der jeweiligen Beschäftigungsform, der eigenen finanziellen Situation oder dem Zugang zu Unterstützungsleistungen ab.
Festzustellen war, dass die Befragten zwar von der Notwendigkeit von Auflagen im Zusammenhang mit COVID-19 überzeugt waren, jedoch der Regierung eine Benachteiligung der eigenen Branche attestierten. Eine gefühlte Wahrheit, die sich ebenso durch weite Bereiche der Gesamtgesellschaft zog. Die befragten Musiker:innen machten dafür teils Intransparenz, aber auch mangelnde Zugänglichkeit und lange Wartezeiten bei der Vergabe staatlicher Unterstützungsleistungen, verantwortlich. Ebenso ein fehlendes Interesse seitens der Regierung, mit umfassend durchdachten Ideen, Auftritte in sicherer Umgebung zu ermöglichen.
Die wichtigsten Punkte der Forschungsarbeit grob zusammengefasst
Die grundsätzliche Einstellung zu den Maßnahmen wurde von den Musiker:innen zwar als notwendig, aber nicht immer nachvollziehbar befunden. Das vorher bereits erwähnte Gefühl der Benachteiligung und fehlender Wertschätzung hatte sich bei vielen eingeschlichen, was sich wiederum verstärkt in dem persönlichen Umgang mit den Maßnahmen zeigte. Sie wurden zwar eingehalten, aber besonders schwer wurde eben das Entfallen der Live-Auftritte wahrgenommen.
Die Restriktionen, die das gemeinsame Proben und Auftreten erschwerten, hatten auch direkte Auswirkungen auf die Pflege von sozialen Kontakten. Da das Musiker:innen-Umfeld recht häufig auch zum Freundeskreis gehörte.
Für viele Musiker:innen bedeuteten die Restriktionen im Musikveranstaltungsbereich harte Einschnitte – Credits: Pixabay
Was für den/die eine:n zumindest zu Beginn der Pandemie eine willkommene Auftrittspause war, um sich vom Tour-Alltag zu erholen oder, um den kreativen Output zu steigern, war für die überwiegende Mehrheit ein harter Einschnitt hinsichtlich der Ausübung der eigenen Leidenschaft. Es muss allerdings betont werden, dass beinahe keine:r der Teilnehmer:innen dieser Studie von psychischen Auswirkungen berichtete, die dazu veranlasst hätten, professionelle Hilfe zu suchen.
Balkonkonzerte und Solidarität
Balkonkonzerte wurden durchaus ambivalent gesehen, da kostenlose musikalische Darbietungen bei gleichzeitigem Gefühl mangelnder Wertschätzung für manche schwer vereinbar waren. Die spontanen Konzerte im Frühling 2020 wurden jedoch sehr positiv wahrgenommen – hierbei vor allem das Gefühl von Zusammenhalt und Solidarität. Die mediale Aufmerksamkeit wurde größtenteils auch positiv aufgefasst. Allerdings sind in der Forschungsarbeit auch negative Kommentare in manchen Zeitungsforen angeführt.
„Die Solidarität, die ich prinzipiell verlange, ist einfach nur, dass man es respektiert, dass es Probleme gibt. Das sind für mich im Prinzip Grundwerte, die man vertreten sollte. Wenn das [Anm.: Musik machen] für jemanden wichtig ist oder eine Existenzgrundlage, dass man das nicht ins Lächerliche zieht, sollte eigentlich selbstverständlich sein.“
Staatliche Unterstützung und digitale Formate
Bei den Teilnehmer:innen handelte es sich um eine sehr heterogene Gruppe von Befragten. Sowohl Berufsmusiker:innen als auch Bandmitglieder, deren Bands über keinen hohen Bekanntheitsgrad verfügen, sowie um Musiker:innen in Ausbildung, die in Nicht-Corona-Zeiten auch Konzerte geben.
Viele, die tatsächlich durch den Raster der staatlichen Unterstützung fielen, hatten bereits vor der Pandemie nicht über ausreichende finanzielle Einnahmen durch die Musik verfügt. Das könnte durchaus ein schiefes Licht auf die Förderungskultur für die Musikbranche in Österreich werfen, sollten sich die Ergebnisse in weiteren Folgestudien als repräsentativ erweisen. Es bestand aber bei den Teilnehmer:innen nach wie vor vorsichtiger Optimismus hinsichtlich des Ausbaus der staatlichen Unterstützungsleistungen.
Das Bild, das sich jedoch abzeichnete, war eines, in dem es Musiker:innen in der Pandemie noch wesentlich schwerer als zuvor fällt, ihre Musik zu professionalisieren.
Viele erwähnten aber die besondere Bedeutung von digitalen Formaten bzw. Online-Formaten in so einer Situation. Dabei betonten die Musiker:innen die unterschiedlichen Möglichkeiten der digitalen Formate. Zum Beispiel Kooperationen, Live-Streams oder Online-Verkäufe. Jedoch waren durchaus auch ambivalente Einstellungen zu den Gratis-Livestreams zu bemerken. Denn es wurde mehrmals betont, dass diese kein Ersatz für Live-Auftritte sein könnten.
Conclusio der Forschungsarbeit
Durch die Interviews konnten die Studienleiter bei einigen themenübergreifende Meinungstrends festgestellen. Wie zu erwarten war, herrscht bei den Musiker:innen, wie in anderen Teilen der Gesellschaft, eine generelle Unzufriedenheit über die COVID-19-Maßnahmen. Auch wenn es Verständnis für das Bedürfnis, die Pandemie in den Griff zu bekommen, gab. Die Unterstützungen wurden kritisiert. Und hierbei vor allem die Höhe, sowie die Komplexität der Anträge und die Ungewissheit, ob und wann Personen tatsächlich Geld bekommen.
Der Konsens unter den Interviewten war, dass die Musikbranche benachteiligt wird. und eine öffentliche Wahrnehmung der Branche und ihrer aktuellen Schwierigkeiten fehlt. Auffallend war, dass es bei vielen Befragten ausgeprägte Schnittmengen zwischen dem sozialen Umfeld im Freundeskreis und Beruf, gab. Dadurch konnte vermutlich manche die psychische Belastung besser verarbeiten. Allerdings wurden Stress und Unsicherheit als Hauptfaktoren der psychischen Belastung angegeben. Gravierendere psychische Folgen wurden jedoch kaum thematisiert oder angegeben.
Die relevanteste und einheitlich bestätigte schlimmste Folge der COVID-19-Pandemie und den deswegen gesetzten Maßnahmen war die Abwesenheit von Live-Auftritten. Hier wurden nicht nur die finanziellen Aspekte schlagend, sondern das Fehlen des generellen Flairs solcher Konzerte, der Austausch untereinander und die Ausübung des Berufs. Eine berufliche Neuorientierung kam für fast keinen der Interviewpartner:innen in Frage.
Für viele ist Musik mehr als nur ein Beruf – sie ist eine Lebenseinstellung und eine Berufung. In dem Sinne kann man den Musiker:innen den Sommer über nur so viele Auftritte und Buchungen wie nur möglich wünschen. Vielleicht ergeben sich neue Kontakte mit denen man, falls wir wieder in einen Lockdown müssen, online musizieren und sich austauschen kann.
Wir möchten abschließend den Forschenden der Uni Wien: Yaroslav Antoshko, Lukas Binder, Bogdan Meandzija und Felix Schwimann herzlichst danken, dass sie uns ihre Arbeit für den Artikel zur Verfügen gestellt haben.
Titelbild Credits: Pixabay
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