Das Twitter-Aus von Donald Trump hat viele Menschen erleichtert und wiederum andere mit viel Skepsis zurückgelassen. Denn es zeigt den Einfluss von Onlineplattformen wie Twitter, Facebook und Instagram auf den öffentlichen Diskurs. Die Frage, die sich stellt: Wie damit umgehen?
Die Beziehung zwischen Donald Trump und Twitter begann wie eine wahre Liebesgeschichte. Der ehemalige US Präsident konnte seinem Mitteilungsdrang freien Lauf lassen und die Plattform stieg zu einem weltweit ernstzunehmenden Sprachrohr in der politischen Kommunikation auf. Trumps Tweet-Frequenz sprengte jeden bisher dagewesenen Rahmen eines Politikers. Mit fast 60.000 Tweets und mehr als 70 Millionen Followern gehörte @realDonaldTrump zu den Top Ten Twitter Accounts (Stand Dezember 2020) weltweit. Doch die Hoffnung auf ein Happy End scheint nun zerstört.
Gibt man heute den Namen bei Twitter ein, erscheinen alle möglichen Kommentare, aber kein Account mehr. Denn nach dem Terroranschlag auf das Kapitol in Washington, D.C. am 6. Januar 2021 entschied Twitter sich dazu, Donald Trump endgültig stumm zu schalten und „suspendierte“ ihn von der Plattform:
„After close review of recent Tweets from the @realDonaldTrump account and the context around them — specifically how they are being received and interpreted on and off Twitter — we have permanently suspended the account due to the risk of further incitement of violence.“
Twitter begründet den Rausschmiss mit dem Verstoß Trumps gegen ihre „Glorification of violence policy“. Mit zwei Tweets vom 8. Januar 2021 habe Trump diese gebrochen, indem er die Wahl von Präsident Joe Biden – und damit seine eigene Abwahl – weiterhin als Betrug abstempelte und seine Anhänger*innen unter „American Patriots“ zu Gewalt aufrief.
"Hey do you know Melania's Twitter password?"
#Melania #BeBest #TrumpBanned pic.twitter.com/YNIM7lQJQj
— Emily Denver?? (@EmilyDenver8) January 9, 2021
Von der Warnung zur Sperre
Seit Jahren ist bekannt, dass Trump es nicht so ganz genau mit der Wahrheit nimmt und die Plattform nutzt, um Fake News, Alternative Fakten o.Ä. auf der Plattform für seine eigenen Zwecke zu verbreiten. Für Interessierte: Die New York Times hat sich die Mühe gemacht alle Beleidigungen Trumps, die über Twitter verbreitet wurden, zu sammeln.
Mit der Corona-Krise und der US Wahl wurden Trumps Inhalte immer „unwahrer“ – falls es eine Steigerung davon geben kann – dass Twitter und andere Plattformen wie Facebook und Instagram damit begannen, Falschinformationen offensichtlich zu markieren. Dann folgte der Rausschmiss.
Und es sollte nicht bei Trumps Twitter-Aus bleiben. Auch Facebook und Instagram zogen nach und neben @realDonaldTrump wurden zusätzlich 70.000 weitere Twitter-Accounts gesperrt, die in Verbindung mit der Verschwörungsideologie QAnon gebracht werden, welche eine Schlüsselrolle bei dem Sturm auf das Kapitol gespielt hat.
Auch hierzulande hat eine Sperrung Aufsehen erregt: Nachdem Herbert Kickl am 14. Januar 2021 die Corona-Impfung in einem Video als „Feldversuch der Pharmaindustrie“ beschrieb, wurde der FPÖ-Kanal von YouTube gelöscht.
Pro’s und Con‘s
Nun gehen die Meinungen zu diesen Maßnahme auseinander. Wie eine Befragung des deutschen Meinungsforschungsinstituts Civey ergibt, begrüßen vier von fünf Deutschen die Blockierung von Trumps Twitter Account. Laut dem Forschungsunternehmen Zignal Labs aus San Francisco, das seit Trumps „Twitter ban“ verschiedene soziale Medien auf Falschinformationen zur US-Präsidentschaftswahl untersuchte, seien diese um 73% gesunken. Das hört sich auf den ersten Blick positiv an, aber was bedeutet das für die öffentliche Kommunikation und unsere Meinungsfreiheit?
Sogar Twitter CEO Jack Dorsey äußerte sich via – was wohl? – skeptisch zu dem Vorfall. Es sei zwar nach wie vor die richtige Entscheidung für das Unternehmen gewesen Trump zu blockieren, jedoch könne dabei nicht von Stolz die Rede sein. Der Ausschluss würde auch ein Versagen „gesunder Kommunikation“ und der „öffentlichen Debatte“ bedeuten:
I do not celebrate or feel pride in our having to ban @realDonaldTrump from Twitter, or how we got here. After a clear warning we’d take this action, we made a decision with the best information we had based on threats to physical safety both on and off Twitter. Was this correct?
— jack (@jack) January 14, 2021
Soziale Medien und Meinungsfreiheit
Hinzu kommt, dass soziale Netzwerke weder anerkannte Ethikkommissionen sind, noch tragen sie aber eine legislative Aufgabe. Als Unternehmen folgen sie einer Profitlogik und finanzieren sich durch Werbung. Das bedeutet hinter ihnen stehen die Interessen ihrer Kunden. Das sind in dem Fall nicht die Nutzer*innen, sondern andere Unternehmen.
Unabhängig davon, was man von Donald Trump oder Herbert Kickl halten mag, bedeutet ihre Sperrung auch einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit und eine verstärkte Kontrolle des öffentlichen Diskurses durch Tech-Giganten wie Twitter, Facebook und Google.
Während der ehemalige US Präsident nun online zum Schweigen gebracht wurde, twittern Diktatoren, Terrorgruppen – wie Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und die afghanischen Taliban – oder Holocaustleugner ungeachtet weiter, propagieren Gewalt oder Ideologien.
„Dass diese und nicht andere ins Fadenkreuz geraten, folgt nicht logisch aus den Buchstaben der Twitter-Gesetze, sondern entspringt der Beliebigkeit der aktuellen politischen Interessenlage“, schrieb Robert Treichler in seinem Profil-Beitrag.
Wer also gesperrt wird oder nicht, erscheint teils willkürlich und ist letztlich abhängig von intern aufgestellten Regeln. Fest steht, dass Twitter und Co. mittlerweile über so viel Meinungsmacht verfügen, dass sich die offizielle Gesetzeslage dazu verändern muss. Gesetzgeber müssen eingespannt werden, nicht CEOs, sondern Gerichte und offizielle Institutionen sollten das letzte Wort bei Entscheidungen solchen Ausmaßes haben.
Digital Services Act der EU
In einem Interview mit der ARD erklärt die deutsche Netzpolitikerin und Kommunikationswissenschaftlerin Julia Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V., dass die Entscheidungen von Twitter und Co. rechtlich gesehen bis dato einwandfrei seien. Auch die Vermittlungsdienste könnten sich auf den Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung (u.A. Meinungsfreiheit) berufen, wenn sie darüber entscheiden, welchen Aussagen Dritter sie eine Plattform bieten. Die Meinungsfreiheit sei ein Grundrecht, aber Twitter keineswegs. Der Kurznachrichtendienst habe in den vergangenen Jahren lediglich an so großer Relevanz gewonnen, dass man nun neue Regelungen für den Umgang damit finden müsse.
Ein Beispiel dafür, wie solche Entscheidungen in Zukunft getroffen werden könnten, ist der „Digital Services Act“ der EU Kommission. Auch Reda befürwortet eine schnelle Verabschiedung dessen:
„Plattformen dürfen demnach zwar weiterhin ihre eigenen Moderationsregeln definieren, diese müssen aber transparent sein und bei deren Durchsetzung müssen sie die Meinungsfreiheit beachten. Dazu gehört, dass sie nicht willkürlich moderieren dürfen, dass Betroffene von Accountsperrungen ein Anrecht auf eine Begründung und menschliche Überprüfung haben – zur Not sogar vor Gericht.“
Die Liebesgeschichte endete also wie so oft im wahren Leben: ohne Happy End. Jemand, der im einen Moment eine wahre Stütze darstellt, kann einen im nächsten Augenblick genauso schnell wieder fallen lassen. In der Liebe gibt es eben keine Regeln. Das klingt jetzt sehr dramatisch. Aber die gute Nachricht ist: Wenn es um den Umgang mit Twitter, Facebook und Co. geht, haben wir die Möglichkeit, offizielles Recht walten zu lassen. „Law and Order“ würde Trump jetzt vermutlich tweeten – aber vermutlich ist es besser, dass er sich bei dieser Diskussion nun zurückhalten muss.
Titelbild Credits: Shutterstock
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