POWERED BY
Im Bereich der Arbeit gibt es langfristig die Gewissheit, wir Menschen werden von der Technik und Automatisierung abgelöst. Damit haben wir uns mittlerweile abgefunden. Doch was ist, wenn die künstliche Intelligenz sogar beginnt, Kunst selbst zu schaffen? Das menschlichste am Menschen, hergestellt von einer kreativen KI? Ist das Humane damit vollkommen obsolet geworden?
Die letzte Bastion der Menschheit
Schon im Jahre 2017 prophezeite eine Oxford-Studie, dass im kommenden Vierteljahrhundert nahezu die Hälfte aller Jobs durch Computer ersetzt werden wird. Als letzte Bastion der Menschheit gelten seit daher die kreativen Berufe. Ein Future of Jobs Report deklarierte in diesem Sinne die Kreativität als die wichtigste Fähigkeit der Arbeitskräfte.
Sogar Jack Ma, Gründer des chinesischen Amazon-Pendants Alibaba betonte, dass jene Fertigkeiten gefördert werden sollen, die eben nicht durch Maschinen ersetzt werden können. „Ich finde wir sollten unseren Kindern […] Kunst beibringen – um sicher zu gehen, dass sie anders sind.“, so dieser. Und heute? Heute ist die Kreativität als letzte menschliche Königsdisziplin alles andere als unangefochten. Unsere menschliche Kreativität, überrollt von der Industrie 4.0?
Tom Turbo malt ein Bild, oder so
Die künstliche Intelligenz ist in der Kunst angekommen. Sie malt Bilder, die weggehen wie warme Semmeln. Das von einer KI hergestellte Gemälde „Edmond de Belamy“ wurde vom Auktionshaus Christie’s im Jahre 2018, anstatt für die erwarteten 10.000 für ganze 432.500 US-Dollar verkauft.
Eine Software, gefüttert mit den Stücken von Beethoven und zeitgleich tätigen Komponisten, schaffte es, dessen unvollendete 10. Sinfonie zu vollenden. Firmen wie Aiva (Artificial Intelligence Virtual Artist) bieten KI-Musik für Filme, Werbung und Videospiele an. Die Firma Botnik veröffentlichte ein maschinell verfasstes Harry-Potter-Kapitel.
Die künstliche Intelligenz schafft und schafft und schafft. Doch wem gehört diese Kunst eigentlich? Im Falle Tom Turbos, Thomas Brezina vielleicht? Oder gar Tom Turbo selbst?
Spaß beiseite! Aber würde die KI das alleinige Urheberrecht besitzen, wenn kein Mensch mehr hinter ihr schaltet und waltet?
Urheberschaft und Kennzeichnungspflicht
Trotz der ansteigenden Zahl künstlerischer Ergüsse made by Cyborgs gibt es diesbezüglich noch keine Neuregulierungen. Auch die Feststellung der Urheberschaft (und daher auch die Verantwortlichkeit) bleiben noch unbeantwortet. Auch eine Kennzeichnungspflicht von KI-produced Kunst ist noch nicht geplant. „Die aktuellen urheberrechtlichen Rahmenbedingungen gelten „auch für das kreative Schaffen unter Einsatz künstlicher Intelligenz“, so die deutsche Kulturstaatsministerin.
Trotz der Komplexität der Sachlage sieht man noch keine Dringlichkeit, die Dinge klar zu regeln. Obwohl die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Leistung immer mehr verschwimmen und immer komplexere Formen annehmen. Und bezüglich dem Copyright können die Kunstschaffenden selbst ihre Rechte nur geltend machen, wenn sie von deren Verwendung durch KI wissen. Ohne Nachweispflicht ein unmögliches Unterfangen.
Die Kunstszene ist gespalten
Vor allem die so genannten Experten sind sich uneinig. Wie Kunstwerke früherer Epochen sollten auch KI-Kunstwerke mit einem „Provenienznachweis“ belegt werden, sobald diese verkauft oder öffentlich präsentiert werden, meint der Galerist Kristian Jarmuschek und Chef des Bundesverbands Deutscher Galerien und Kunsthändler. „Auch im Sinne künftiger Forschung wäre besonders in der Entwicklungsphase eines solchen neuen, beziehungsweise zumindest neu ansetzenden Zweiges unserer Bildwelt eine genaue Dokumentation sehr wichtig.“, so dieser weiter.
Kunstmarktexperte Magnus Resch, ist klar gegen jedwede Neuregulierung der Urheberschaft und Kennzeichnung. Warum? „Wenn ich heute eine Fotografie kaufe, habe ich auch keine Ahnung, wie viel Photoshop beteiligt war“, behauptet er. Und da ist etwas Wahres dran. Denn wie viele der Big Players der Kunst stellen „ihre“ Kunst denn noch wirklich selbst her? Ihre aktive Schaffensphase lange schon überstiegen, beherrschen viel Top-Künstler nämlich nur noch eine Kunst wirklich. Und das ist die Kunst, andere für sich arbeiten zu lassen.
Heißt, eine Masse an AssistentInnen um sich zu scharen, die die Kunst praktisch für einen schaffen, während man sich selbst entspannt zurücklehnt. Verkauft wird das Ganze dann natürlich unter dem big name des Künstlers. Doch hergestellt wurde es von einer Horde eifriger Nobody, „bezahlt“ wahrscheinlich mit einer Kunststudienrelevanten Pflicht-Praktikums-Bestätigung. Und endlos dankbar über eine Referenzangabe in ihrer Vita.
Regulierung überflüssig
„Jede Regulierung der Kunst ist überflüssig“, meint Resch fast schon zynisch. „Künstler und Galeristen werden sich sowieso nicht daran halten, denn was im Studio passiert, sieht eh keiner.“ – Danke! Damit nicht genug, ortet er in der KI-Kunst sogar einen potenziellen Kaufanreiz. „Vielleicht hilft KI als neue Kunstform, neue Käufergruppen zu motivieren, Kunst zu kaufen“.
Wenn wir uns die Auktion des Bildes weiter oben in Erinnerung rufen, hat er damit vielleicht nicht ganz Unrecht. Oder er liegt einfach falsch auf ganzer Linie. Denn wer, wenn er oder sie Kunst schon wirklich kauft (und kein gedrucktes Poster), kauft sich dann schon Kunst von einer Maschine?
KI-Art Positive
Doch die positiven Interpretationen der KI-Kunst gehen noch weiter. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, erwartet durch KI sogar einen Schub für den kreativen Schaffensprozess. Wie genau? Wenn wir „KI als Instrument nutzen und uns nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, wird das ein sehr spannender und kreativ bereichernder Weg sein. Das gilt für alle Lebensbereiche, nicht nur für die Musikbranche“, behauptet er.
Dies wirft einige Fragen auf. Was bringt mir, als kunstbegabter Mensch, mehr? Wenn ich das Gitarrenspielen erlerne und selbst spiele? Oder eine Maschine für mich etwas spielen lassen und ich lege mich entspannt zurück? Es ist recht komplex, aber auch wieder nicht. Wer macht die Kunst? Der big-shot Künstler mit dem big name, der in der Matte liegt und seine Scheine zählt? Oder die Horde Nobodys, die „sein“ Werk für ihn vollenden? Gekauft wird natürlich der Name, in diesem perfiden System Kunstmarkt.
Selbst tätig werden?
Die Technik, z.B. in Form der elektronischen Musik, hat die Welt in der Tat bereichert. Doch Handwerken hier im Hintergrund immer noch Menschen, die bewusst mit den Dingen umgehen. Doch was sind wir Menschen, wozu werden wir, wenn die Kreativen Dinge der Selbstverwirklichung von jemand anderem gemacht werden. Welches Selbst wird dann noch verwirklicht?
Titelbild Credits: Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Ehemalige Tabaktrafik im Czerninviertel wird zum Atelier und Kunstraum
Im Czerninviertel im zweiten Wiener Bezirk öffnete unlängst der Kunstraum Tabaktrafik seine Pforten. Eröffnet wurden Kunstraum und Atelier mit künstlerischen Arbeiten der Künstlerin Lola Lindenbaum. Ein Raum, der in Zukunft mit Sicherheit noch so einiges von sich hören bzw. sehen lassen wird.
Buba - Deutsches Netflix-Spin-Off, das man gesehen haben sollte
Buba - Eine härtere, schwarze Komödie, die man sich ohne schlechtes Gewissen ansehen kann. Und die, auch wenn die Story nicht neu ist, mit außergewöhnlichen Schauspielern und so einigen Gags überzeugen kann.
Streetart: Florian Pollack vom Wien Museum im Gespräch
Das große Interview mit Florian Pollack vom Wien Museum über Streetart in der zeitgenössischen Kunst und der Welt der Werbung.
Wer ist Golif? Ein Künstler in bewusster Anonymität
Wer Golif ist, das weiß keiner so genau. Denn Anonymität spielt sowohl bei der Kunstfigur „Golif“ als auch bei seinen […]
Gola Gianni: die Zukunft des österreichischen Hip-Hop
Gola Gianni, oft mit den Begriffen next-up und hype-kid in Verbindung gebracht, ist der neue Stern am deutschsprachigen Rap-Himmel. Wir haben uns sein erstes Album „Sterbe Finesssen“ angehört.
Die Kunst und ihr Preis: Vom Schönen zum obskuren Spekulationsobjekt
Der Bereich Kunst hat sich mittlerweile in einen Markt entwickelt, der alles andere als transparent ist. Kunstkenner*innen und Expert*innen halten […]