Die Generation Y ist vollkommen verkorkst und nicht beziehungsfähig, wird uns attestiert. Mit dem Finger zeigen sie auf uns und belächeln, wie wir leben. Doch in Wirklichkeit sind wir einen Schritt weiter – die ältere Generation hat es nur noch nicht verstanden und wir lassen uns unnötig davon beeinflussen.
Meiner Generation wird nachgesagt, wir wären nicht mehr fähig, ehrlich und langanhaltend zu lieben. Offene Beziehungen, polyamoröse Tendenzen, lange Singlephasen, in denen wir uns von einem Ast zum anderen schwingen, um nur die süßen Früchte zu naschen, ohne auch nur einmal in den sauren Apfel beißen zu müssen.
Manchmal fühle ich mich deshalb, als würde ich laufend an mir selbst scheitern. In der Blüte meiner Jahre, im besten Alter, aber allein. Vor allem von der älteren Generation kommen stets Seitenhiebe. Wir wären zu unbeständig. Am liebsten hätten wir gerne alles zugleich. Wir könnten uns nie entscheiden. Unsere Beziehungen halten nicht lange, weil wir stets Angst haben, etwas zu verpassen.
Von außen höre ich immer wieder „mach doch mal wieder Beziehung“ oder „warum hast du keine Freundin“ – ja, was läuft da eigentlich falsch bei mir?
Entschieden gegen die Beziehung?
Wieder so ein Abend. Noch leicht verschwitzt sitze ich auf dem Sofa einer Frau, die ich vor gerade mal acht Stunden kennengelernt habe. Versunken in intensive Gespräche, wir haben einen guten Draht zueinander. Auf den ersten Blick scheint es, als würde alles perfekt passen. Doch dann beginnt es in mir zu rotieren. Eine gewisse Form des Unbehagens. Der Drang zu gehen.
Ich sehe sie an und frage mich selbst, was mich gerade stört. Wie oft habe ich das schon erlebt? Viel zu oft. Auf dem Heimweg kreisen meine Gedanken um die Frage, ob ich ständig nur an meinen eigenen Erwartungen oder meiner fehlenden Entscheidungsfähigkeit scheitere und so wachsen die Zweifel über mich selbst erneut.
Als Teil einer Generation, der alle Türen offenstehen, bin ich damit aufgewachsen und beinahe schon dazu verdammt, in der Fülle an Möglichkeiten zu ertrinken. Wohl wahr – das prägt nicht nur die Entscheidungen der Generation Y, wenn es um die Arbeit oder das Leben im Allgemeinen geht, sondern vor allem auch die Entscheidungen in Sachen Liebe. Doch sind es wirklich die unzähligen potenziellen Möglichkeiten und unsere Angst vor Endgültigkeit oder vor Entscheidungen, die uns in das Dilemma der vermeintlich vollkommenen Beziehungsunfähigkeit führen?

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Mit fast 30 kann ich die ernsthaften Beziehungen in meinem Leben auf einer Hand abzählen. Okay, ehrlich? Ich brauche nicht mal eine ganze Hand dafür. Es waren nur zwei, die ich wirklich als solche bezeichnen würde und in denen das Wort Liebe nicht einfach nur eine Phrase war. Oberflächlich betrachtet bestätige ich also das Bild, das man von unserer Generation hat, denn die Frauen sind Vergangenheit und ich bin Single.
Lange ledig, zwischendurch Beziehungen, aber am Ende steh ich wieder allein vor einer Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten. Mit Ablauf meiner dritten Lebensdekade blicke ich zurück auf das letzte Jahrzehnt. Dieses Bild, das die Älteren von uns haben, drängt sich in mein Gewissen. Ich lasse mich beeinflussen von ihrem Gerede und frage mich: Schaffe ich Beziehung wirklich nicht? Weiß ich denn überhaupt was Liebe ist?
Ein Trugschluss, der uns unnötig beeinflusst
„Fabian“ ist gleich „kein Beziehungsmensch“ – ein Eindruck, den viele von mir haben. In Wirklichkeit geht diese Rechnung aber nicht auf. Denn betrachte ich meine Beziehungen, gab es vor allem eines von mir – absolutes Commitment, was nicht minder daran liegt, dass ich mich auch ausleben konnte und mich andere Frauen in diesem Moment dann nur wenig interessieren. Obwohl oft von meiner Seite kommt, dass ich Beziehungen super fände, solange nicht ich sie habe, steckt dann doch der tiefe Drang in mir, einmal die Eine zu finden.
Verglichen mit vorangegangenen Generationen unterscheidet sich in Wirklichkeit nur die Art und Weise, wie eine der Generationen bei dieser „Suche“ vorgeht und ihre Partner wählt. Erst nach Jahren flüchtiger Begegnungen und längerer Affären, aus denen ich nicht grundlos geflüchtet bin und die mir trotzdem seitens der älteren Generationen das Prädikat „beziehungsunfähig“ bescheren, wurde mir eines klar – es ist nur ein vermeintliches Scheitern und eigentlich tun wir sehr oft genau das Richtige.

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Alles nur Affären aus Angst vor Beziehung?
Aber da gibt es doch noch Tinder, Lovoo, Bumble, Badoo – im Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten. In der Tat haben solche Singlebörsen auch negative Auswirkungen auf unser Beziehungsverhalten. Ein Berg an potenziellen PartnerInnen und immer wieder der Anstoss zum Gedanken, es könne doch noch etwas Besseres kommen.
Die Werkzeuge, die unserer Generation zur Verfügung stehen, mögen manches komplizierter machen, doch das nur so einseitig zu bewerten, wäre zu kurz gedacht. Immerhin kommt es nicht selten vor, dass langfristige Beziehungen ihren Ursprung auf solchen Partnerbörsen haben; häufig zwischen Menschen, die sich sonst womöglich nie begegnet wären. Die Auswahl bedeutet nämlich nicht, dass es einen nicht auch mal richtig erwischen kann – und gegen das ist letztlich jede*r machtlos. Das gilt in meinen Augen also nicht als Argument.
Im Zuge meiner Arbeit beim TV – Zielgruppe 50+ – durfte ich mich zudem sehr intensiv mit dem Liebesleben der älteren Generationen beschäftigen. In dieser Zeit habe ich viele heftige Geschichten gehört, gegen die meine Generation purer Zucker ist. Und deshalb traue ich mich anzumaßen: „Ihr, meine lieben Anhänger der älteren Generation, seid um einen scheißdreck besser als wir, auch wenn ihr euch das stets einbildet!“
Wir sind nicht Generation Beziehungsunfähig, bestenfalls Generation „ich überdenke alles tausend Mal, aber wenn ich eine Entscheidung treffe, dann stehe ich voll und ganz hinter ihr“. Uns treibt nicht die Angst, etwas zu verpassen. Wir haben höchstens Angst, etwas falsch zu machen. Und das liegt nicht minder an den Erwartungen, die man heutzutage an uns stellt.

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Waren früher Beziehungen wirklich besser?
Ich lasse mir sicher nicht mehr am A**** gehen mit dem anmaßenden Beziehungsunfähigkeits-Blabla. Denn die Generationen vor uns haben bei weitem nicht alles besser gemacht. Immerhin sind unsere VorgängerInnen jene, die uns häufig ein falsches Bild von Beziehungen vermittelt haben.
Sie sind jene, die eine Beziehung – sei sie noch so aussichtslos und toxisch – mit aller Kraft und Härte durchgezogen haben. Ihre Ehen und Beziehungen wurden begleitet von Affären, grauenhaften und niveaulosen Auseinandersetzungen, einer unglaublichen Vielzahl an Scheidungen nach überstürzten Heiratsentscheidungen, ablehnender Kälte und dem Resultat, frustriert im Alter eine Abneigung dem anderen Geschlecht gegenüber zu verspüren. Vollkommen zu Unrecht werden ihre Beziehungen in vielen Fällen romantisiert und verblümt dargestellt.
Wir machen Fehler, genauso wie es die Menschen vor uns gemacht haben. Durch das Internet und den leichten Zugang zu Informationen wurde vieles einfach nur präsenter – deren Eltern haben nur nicht alles mitbekommen, wie auch? Mit den sozialen Medien geben wir unserer vorangegangenen Generationen die Möglichkeit, viel mehr von unserem Leben zu erfahren, als uns manchmal lieb ist.
Doch in Wirklichkeit sind wir in vielen Belangen einen Schritt weiter – unsere Beziehungsentscheidungen sind häufig ganz bewusste. Ja, vielleicht finden wir nicht so jung die Liebe unseres Lebens – sei einmal dahingestellt, ob es die wirklich gibt. Wir überlegen es uns gut, mit wem wir uns einlassen – das hat nichts mit fehlender Entscheidungsfähigkeit zu tun. Wir wählen unsere Partner mit Bedacht – vielleicht auch, weil wir an den Älteren gesehen haben, wie grauenhaft eine falsche Entscheidung in Sachen Beziehung ausgehen kann.
Und ja, manchmal huren wir durch die Gegend und haben einfach Spaß. Weil wir es können. Deshalb frag ich mich schön langsam, ob es nicht doch der Neid ist, der aus ihnen spricht – zwinker, zwinker.
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