Kritik am Lifestyle des Minimalismus: „nur der Tausch gegen Sucht nach digitalen Dingen“

Less is more! Nothing is all! Do it like the nomads do! Nomandentum und Besitzlosigkeit scheinen die Ziele unserer heutigen Zeit zu sein. Dass diesem, scheinbar zu begrüßendem Trend nicht vorbehaltlos zuzustimmen ist, darüber hat der meistgelesene (lebende) deutsche Philosoph Byung-Chul Han, ein geradezu revolutionäres Buch verfasst, das so einige in ihren Grundannahmen erschüttern wird.
David Finchers Fight Club – eine unerwartete Prophezeiung
Es ist immer wieder erstaunlich, was mit der Zeit so zu Kult und Klassiker wird. Vor allem in der Welt des Films. Oftmals scheint es geradezu beängstigend, wie es bestimmte Filmemacher immer wieder schaffen, die Zukunft in ihren Werken phasenweise ein wenig vorherzuahnen, wenn nicht gar schon vorherzusagen.
Ein auf den ersten Blick nicht gerade für diese Kategorie als würdig empfundenes Werk ist David Finchers Fight Club. Ein Meisterwerk, das Ende der Neunziger herauskam, sich damals in den Kinos jedoch recht schwer getan hat. Heißt: Dass der Film damals nicht gerade erfolgreich gewesen ist.
Auch der damalige (und heute natürlich immer noch) Megastar Brad Pitt konnte den (finanziellen) Erwartungen nicht gerecht werden. Doch heute sind sich alle Expertinnen und Experten, aber auch die Normalos einig: Fight Club ist genial.
Ein nahezu perfekter Film, möchte man sagen, der neben der grenzgenial durchdachten Story, den grandiosen Schauspielenden und der überzeugenden Atmosphäre auch noch die Zukunft kommen sehen hat. Und das sogar Abseits der klassischen Wege der Sci-Fi Filme, die meist eine technische Innovation vorhergesagt haben. Fight Club hat es, wie selten ein Film geschafft, das Selbstverständnis einer folgenden Generation vorherzuahnen.
Things we own
Und das u.a. mit einem einzigen Satz: „The things you own end up owning you. It’s only after we’ve lost everything that we’re free to do anything.” Es ist diese Aussage, gekoppelt natürlich mit dem Besitz verweigerndem Lebensstil der Protagonisten, der es geschafft hat, eine ganze Generation zu prägen.
Auch wenn es der radikalen Sozialkritik am neoliberalen Konsumsystem im Film Fight Club nicht gelungen ist, die Welt zu verändern, der Minimalismus als Lebensstil hat es durchaus geschafft sich durchzusetzen. Denn ist nicht gerade das (die Besitzlosigkeit) das Ziel unserer Zeit?
Besitzlosigkeit und Nomadentum
Den eigenen Besitz auf ein Minimum reduzieren. Fast gar nichts haben – außer Laptop und Smartphone natürlich. Das Leben eines Nomaden leben. Das sind sozusagen die ausgerufenen Ziele der heutigen Gesellschaft. Alle Influencer und Trendsetter sind sich darüber einig, dass es moralisch und ethisch zu empfehlen ist, sein life in einem radikalen Minimalismus schimmern zu lassen.
Wer noch etwas wirklich haben will (im Sinne des ownerships) und sich an weltliche Dinge klammert, ist von gestern und sein Ansatz gleicht dem eines gesellschaftlichen und kulturellen Fossils. Nichts besitzen und glücklich sein – that‘s the thing to be.
Und einem ersten Gefühl folgend, einem Instinkt, der nicht weniger sozial konstruiert ist, wie die Empfindungen der nach Besitz strebenden Generationen davor, würde man all diesen life goals sofort zustimmen.
Doch genau diesem Leitmotiv der Abkehr von den Dingen – nach dem sich scheinbar alle richten – stimmt der Philosoph Byung-Chul Han eben nicht zu. Und beweist damit eine selten dagewesene Form der Weitsicht und eine Fähigkeit reflektierten Denkens, welches sich der sozialen Konformität verweigert und es wagt selbstständige Pfade einzuschlagen.
Undinge der Haltlosigkeit
Und geradezu fulminant eröffnet Han auch gleich sein Werk, spart sich eine lange Vorrede und kommt direkt zur Sache:
„Die terrane Ordnung, die Ordnung der Erde, besteht aus Dingen, die eine dauerhafte Form annehmen und eine stabile Umgebung für das Wohnen bilden. Sie sind jene »Weltdinge« im Sinne von Hannah Arendt, denen die Aufgabe zukommt, »menschliches Leben zu stabilisieren.« Sie geben ihm einen Halt.“ Dinge, in Form konkreter Materie, geben Halt und verorten den Menschen in der Welt. Im Gegensatz dazu „entdinglicht“ uns die digitale Ordnung der Welt, in der wir leben.
Und wie macht sie das? In Form der Informationen, welche unsere Lebenswelt bestimmen. Heißt: „Wir bewohnen nicht mehr Erde und Himmel, sondern Google Earth und Cloud. Die Welt wird zusehens unfassbarer, wolkiger und gespenstischer. Nichts ist hand- und dingfest.“ Unser Sein ist in diesem Sinne, instabil geworden, da es immer weniger Dinge gibt, die diesem eine Kontinuität verleihen – in Form einer „gleichbleibenden Vertrautheit“.
Die Dinge – als einstige „Ruhepole des Lebens“ werden überlagert von Informationen und diese – sind mit ihrer „Aktualitätsspanne“ alles andere als ruhig. „Schon aufgrund ihrer Flüchtigkeit destabilisieren sie das Leben.“
Denn diese Informationen sind alles andere als eine stabile Einheit. „Ihnen fehlt die Festigkeit des Seins.“, bringt es der Autor auf den Punkt und bezieht somit eine durchaus radikale Gegenposition zum Status Quo der gegenwärtig propagierten Besitzlosigkeit.
„Die terrane Ordnung, die Ordnung der Erde, besteht aus Dingen, die eine dauerhafte Form annehmen und eine stabile Umgebung für das Wohnen bilden. Sie sind jene »Weltdinge« […].“
Byung-Chul Han, UNDINGE #Buchbeginn @Buchbeginn @Ullstein pic.twitter.com/C8XgK7SzMW
— Klaus Pohlmann (@KlausW_Pohlmann) May 13, 2021
Im Rausch der Information
Und was bleibt, in einer Welt jenseits der Dinge? – Die reine Information. Und wir sind geradezu besessen von diesen Informationen. Wir haben dies gerade in den Zeiten der Pandemie gesehen. Täglich, stündlich, minütlich: Pressekonferenzen und permanent sich ändernde Informationen über den Status Quo.
„Unsere Obsession gilt nicht mehr den Dingen, sondern Informationen und Daten. Wir produzieren und konsumieren inzwischen mehr Informationen als Dinge. Wir berauschen uns regelrecht an Kommunikation.“ Heißt, am Flüchtigen, am Vergänglichen. Sogar „libidinöse Energien wenden sich von den Dingen ab“, so Byung-Chul Han in seinem fulminanten Essay.
War unser „In-der-Welt-sein“ von einem „hantierenden Umgang“ (vgl. Heidegger) mit konkreten Dingen und der Welt geprägt, führt diese Hinwendung zu Informationen bzw. Abwendung von den Dingen zu einer Revision dieser körperlichen Daseinsanalyse. Wir hantieren somit nicht mehr mit Dingen, die konkret vorliegen, sondern wir interagieren mit Informationen.
Besorgniserregendes Fazit: Informationen zirkulieren ohne Realitätsbezug in einem hyperrealen Raum. (vgl. Baudrillrd). Fake News, als Informationen werden wirkmächtiger als Tatsachen. Und dennoch fehlt all dem die Festigkeit eines (be-dingten) Seins.
Zurück zu den Dingen
Während wir mithilfe unserer virtuellen Existenzweise, alle „Sorgen“ los werden, da alles sofort verfügbar wird, verlieren wir aber gleich auch noch etwas anderes. Beständigkeit! Denn die Digitalisierung (gekoppelt mit ihrer Beschleunigung und Geschwindigkeit ([gl. Virilio]) ist ein Phänomen des Verfalls. Genauso wie andere Phänomene im Zeitalter der Undinge.
Airbnb lässt z.B. die Gastfreundschaft verfallen, indem diese u.a. zu einer Ware wird, entkoppelt von einer jedweden direkten menschlichen Interaktion. Genauso wie selbst unsere „Herzensdinge gnadenlos zur Ware gemacht werden“. Veranschaulicht in der TV-Show Bares für Rares.
Die Sharing Economy verbirgt hinter ihrer Nachhaltigkeits-Ideologie eine nicht geahnte Form der Entfremdung. Denn wenn Besitz (bzw. eine intensive Bindung zu den Dingen der Welt) gleichbedeutend ist mit Intimität und Innerlichkeit, so können diese Gefühle in einer besitzlosen Welt logischer Weise nicht mehr empfunden werden. Auch wenn Byung-Chul Han sehr radikale Positionen bezieht, so tut er dies nicht grundlos und aus reiner Wichtigtuerei.
Dieser Philosoph hat etwas erkannt, was von vielen Menschen bis jetzt nicht gesehen worden ist. Und gerade jetzt, wo wir uns mehrheitlich in einer Sharing-Dynastie geradezu allem Besitz entsagen wollen, ruft uns hier ein Denker seine vernünftigen Einwände entgegen, uns in diese Besitzlosigkeit gar zu vorschnell hineinzustürzen.
Lob des Analogen
Undinge ist ein sehr zu empfehlendes Buch. Allein schon deshalb, weil es einen radikalen Gegenpol zu dem heutigen feel good Zeitgeist der Dinglosigkeit bildet, in dem Besitzlosigkeit verherrlicht und propagiert wird, ohne den wirklichen Preis zu kennen, der dafür schlussendlich zu bezahlen ist. Und zwar der Verlust an Welt.
Und das ist vielleicht auch das, was dieses Buch uns u.a. wieder entdecken lässt: die Welt, eine Welt jenseits der Smartphones, über die man nicht nur drüber streicht, sondern die man auch wirklich anfassen kann und vielleicht auch wieder anfassen sollte.
Titelbild Credits: Shutterstock
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