Wir kennen sie alle: die rüden Leute, die mit ihrer Aufmerksamkeit ständig auf ihrem Handybildschirm kleben und auch dann nicht davon absehen, wenn sogar Freunde um sie herum sind. Es gibt sogar einen Begriff für dieses respektlose Verhalten: Phubbing. Was als Scherzkampagne begann, ist in der heutigen Zeit traurige Realität.
I’m a Cyborg, But That’s OK
Seit die postmoderne Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin Donna Haraway Mitte der 1980er Jahre ihr berühmt-berüchtigtes Cyborg Manifesto veröffentlicht hat, ist so einiges passiert. Cyborgs sind – straight wissenschaftlich gesehen –„kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus“. Doch laut Haraway „ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion“. Cyborgs sind also Mischungen aus Maschinen und Menschen.
Mittlerweile hat sich das Fiktive an ihrem Manifest wohl verabschiedet. Das Cyborghafte – die Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Maschine – hat sich vollkommen vergesellschaftlicht. Das heißt: Wir sind mit den Dingen, der Technik und den Maschinen so sehr vernetzt, dass viele ohne diese den Menschen erweiternden und verbessernden Artefakte überhaupt nicht mehr existieren wollen.
Phubbing – WTF?
Nicht ganz so schlimm, aber dennoch nicht minder beängstigend ist dieses Phänomen: Phubbing. Es bezeichnet die ständige Fixierung aufs Handy, selbst in einer Unterhaltung mit Freunden. Ein Wort (Baujahr 2013), das leider wieder aus dem Alltagsdenken abgetaucht ist. Verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Menschen immer öfter und länger wie die Schwachmaten an ihrem Smartphone hängen, mit diesem sogar verwachsen zu sein scheinen – Cyborgs, klar! Verschmolzen in solch einem Ausmaß, dass sogar der Person gegenüber, nicht einmal mehr ein Mindestmaß an respektgebührender Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Phubbing – was steckt hinter dem Namen?
Phubbing ist – wie so einige trendige Anglizismen – eine Komposition, also ein zusammengesetztes Wort. Es vereint phone (Telefon) und snubbing (to snub so = jmdn. brüskieren, vor den Kopf stoßen oder verächtlich behandeln). Der Begriff bezeichnet somit die grobe Vernachlässigung bzw. Zurückweisung des Gegenüber aufgrund der exzessiven Nutzung des Smartphones.
Amüsanter geschichtlicher Hintergrund: Der ursprünglich fiktive Begriff wurde schon 2013 von einer australischen Werbeagentur für die Marketingkampagne eines Wörterbuchverlages erfunden. Man wollte vor allem in den Medien Bekanntheit erlangen. Und das mit einer gefakten Berichterstattung über einen Trend, den es damals nie gegeben hat.
Aus dem Archiv (2013)
Phubbing pic.twitter.com/BqKU9Eoagp— P @olo Cal|e r i (@paolo_calleri) September 13, 2020
Auf diesen Kampagnen-schmäh fielen die Medien weltweit herein und berichteten über den Trend handynutzender Unhöflichkeit, der nie wirklich einer gewesen ist. Bis heute! Oder zumindest solange, bis es dann wirklich schlimmer geworden ist mit der Nutzung. Und nun kann das Wort Phubbing leider wirklich verwendet werden, um die als störend empfundene Nutzen eines Smartphones zu beschreiben.
Die Phubber sind da!
Auch wenn ursprünglich erfunden und ein Witz, ändert das nichts an der Tatsache, dass die hyper-exzessive Nutzung des Mobiltelefons ein riesiges Problem ist. Der neuesten Studie aus Deutschland zufolge sind die Digital Natives (Anm. d. Red.: die unter 40-jährigen) 27 Stunden wöchentlich mit dem Handy online. Ihre gesamte Internetnutzung beläuft sich auf 75 Stunden die Woche. Heißt: 11 Stunden täglich!
Klar ist es schwer, den Menschen diese Handhabe zu verübeln. Spielt sich das Leben mittlerweile ja genau dort ab. Im Internet. Ob privat oder beruflich. Das Smartphone ist und bleibt die Schnittstelle zwischen private space und public life. Und doch kann diese Hyper-Nutzung zum Problem werden.
Die Zivilisationskrankheit
Der Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer diagnostiziert der Menschheit (der first world people zumindest) digitale Demenz. Zusätzlich bescheinigt er ihr auch noch Cyperkrank zu sein. In allen seinen Auftritten und Publikationen warnt er vor dem Konsum elektronischer Medien – vor allem durch Kinder und Jugendliche. Dieser führe zu nur oberflächlicher Beschäftigung mit Informationen. Diese Oberflächlichkeit gehe, laut Spitzer, zu Lasten des eigenen, aktiv tätigen Lernens und Denkens. Das Gehirn (wie jeder Muskel) wird nur dann trainiert, wenn man es wirklich fördert und fordert.
Spitzer nach beeinträchtigten unsere sozialen Medien unser Sozialverhalten eher negativ. Wir fallen einer Zivilisationskrankheit zum Opfer. Die Isolation verstärkt eher anstatt diese zu verringern. Er appelliert daher für mehr Medienkompetenz sowie für Erhalt und Stärkung der emotionalen Intelligenz, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Fatale Reflexe
Aus Angst etwas zu verpassen, verfallen viele auch dem Reflex des permanenten kurz aufs Handy Guckens. Und unter der Doktrin der Immer-Erreichbarkeit will natürlich jeder sofort auf alles reagieren. Egal ob beruflich oder privat. Die Zahl der Smartpohne-Süchtigen steigt daher stetig an. Mit desaströsen Nebenwirkungen.
Statt der versprochenen und gepriesenen Produktivität, vermindert die Nutzung des Smartphones diese sogar gravierend. Studien aus den USA belegen: allein schon dadurch, dass das Handy neben uns liegt, erliegen wir dem Reiz nachzusehen, was in der Welt und in unserem Leben nicht alles passiert. Ein stupider Reflex, der uns immer wieder aus dem Arbeitsprozess reißt und so dem Produktivsein vorbeugt. Ergebnis: Die Unfähigkeit sich länger auf eine bestimmte Tätigkeit fokussieren zu können.
Und auch das Privatleben leidet. Durch Phubbing lassen sich tiefgründige und emotional tiefreichende Beziehungen gar nicht erst aufbauen. Ein entschiedenes Einlassen auf einen anderen Menschen ist während der parallelen Nutzung des Smartphones schon gar nicht erst möglich. Stichwort: Verminderte emotionale Intelligenz.
Fazit
Kurz das Smartphone rausholen und einen Blick darauf zu werfen ist noch keine große Sache. Doch die Qualität einer Begegnung aufgrund oft banalster virtueller Erscheinungen darunter leiden zu lassen, ist etwas anderes. Es gilt daher aufzupassen und sich selbstreflektiert zu fragen, inwiefern man nicht selbst schon zu einem Phubber mutiert ist.
Unser redaktioneller Ratschlag: enjoyed the real world! Ganz einfach. Denn das Real Life spielt sich nicht auf eurem Display ab.
Titelbild Credits: Shutterstock
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