DirtWater: Interview über Trinkwasserprojekte, Greenwashing und echte Verantwortung
DirtWater, NGO, Bar, Kollektikv – ist auf Google als Beschreibung zu lesen. Wie kann eine Bar zugleich auch NGO sein? Wie funktioniert solch eine einzigartige Kombination? Und was haben Trinkwasserprojekte mit dem Ganzen zu tun? Das und viel mehr erzählt uns Lars in einem Interview:
„Wir wollten eigentlich nie über Tod sprechen. Deshalb ist der Laden so warm und gemütlich gestaltet. Aber die eigentliche Thematik mit der wir uns beschäftigen ist Tod. Sterbende Menschen – weil das ist der Fall in Entwicklungsländern, in denen keine Wasserversorgung etabliert ist. Menschen sterben. Jedes Mal, wenn man nach einem Projekt wieder zu Besuch in einem Dorf war, waren einige der Kinder nicht mehr da. Das ist etwas, womit man rechnen muss.“
DirtWater – NGO, Bar, Café
„Unser Konzept als NGO soll vor allem transparent sein. Viele Menschen finden NGOs intransparent. Finden Spenden unangenehm. Unser Lokal besteht auf den Seiten aus Glas. Was ist transparenter als wenn du hineinsehen kannst? Was ist transparenter als hier ins Lokal zu kommen Kaffee, Bier zu trinken und die Menschen die die Organisation leiten, die die die Projekte machen sitzen fünf Meter weiter an einem anderen Tisch. Das ist für mich Transparenz.“, erzählt Lars.
„NGOs verstecken sich. Greifbarkeit und Transparenz sind in der NGO- Szene eine Seltenheit. Man bekommt einen Jahresbericht beziehungsweise einen Spendenbericht und das war`s. Diese Nähe zu den Menschen und Spendern ist auch schwer, weil der Spender auch nicht hören will, dass seine Spenden nicht ankommen, denn NGOs sind genauso wie normale GmbHs. Man braucht Geld um am Leben erhalten zu werden. Der einzige Unterschied ist: NGOs sind steuerbefreit, und der Gewinn wird für soziale Zwecke genützt. Dennoch brauchen sie Geld – Werbeanzeigen schalten, Leute bezahlen die Flyer verteilen und vieles mehr.“
Im DirtWater sieht die Sache etwas anders aus: „Wenn jemand dirtwater 100 Euro spendet, fließen die 100 Euro in Wasserprojekte, weil unser Werbeaufwand null ist. Die Spender kommen ja von alleine ins Lokal.“ Doch Spenden alleine bringen nichts, wenn das Geld von den Entwicklungshilfen nicht sinnvoll genützt wird. In Lars’ Augen sollte Trinkwasser die Nummer eins Priorität jeder Entwicklungshilfe sein.
„Es ist so billig eine Wasserzisterne und damit -versorgung in Afrika aufzubauen und ich verstehe nicht, warum die komplette Entwicklungshilfe weltweit millionenschwere Schwachsinnsprojekte umsetzt, in Gebieten wo es keine Wasserversorgung gibt. Man baut Schulen, aber die Leute haben kein Wasser und kein Essen. Wenn der nächste Brunnen 13 km weg ist, dann komme ich nicht dazu, in die Schule zu gehen.“
Sauberes Trinkwasser als wichtigste Voraussetzung für ein gesundes Leben
„Zum Beispiel die österreichische Organisation `Licht für die Welt`, die machen Augenoperationen. Finde das toll und wichtig. Haben wir auch schon unterstützt. Gut. Doch Fakt ist: Über 80% aller Krankheiten weltweit basieren auf verschmutztem Wasser und sind Folgen von mangelnder Hygiene. Unter anderem gibt es eine direkte Korrelation zwischen Augenkrankheiten und verschmutzen Wasser. Verschmutztes Wasser ist die Wurzel des Problems und das gehört gelöst. Aber es werden zum Beispiel 10 000 Euro AugenOP- Projekte gemacht, dabei könnte man um 4000 Euro so eine Wasserversorgung bauen. Dann hätte man das Problem der Augenkrankheiten gelöst. Nur hätte man nichts mehr, womit man dann später Spenden einwerben könnte. Es ist ein kapitalistisches System.“
„NGOs sind erst dann für Unternehmer interessant, wenn sie einen Marketingwert haben. Unternehmen machen Großspenden, nur halt eben an größere NGOs, weil sie auch etwas davon haben wollen. Es ist eine Art Tauschhandel: Die NGO bekommt Geld und die Unternehmen gutes Marketing, Reichweite etc. DirtWater als NGO hat keinen Marketingwert.“
Lars spricht von Entwicklungshilfe als wirtschaftliches Produkt: „Es ist egal, ob man T-Shirts verkauft, um Gewinn zu machen, oder Entwicklungshilfe verkauft, um Gewinn zu machen. Es ist ein Business. Entwicklungshilfe wird zum Produkt. Und NGOs die Entwicklungshilfe zu einem Produkt machen, sind in meinen Augen nicht unterstützungswürdig. Ich unterscheide grob zwischen zwei Arten von NGOs. Die großen, die Entwicklungshilfe vermarkten und die, die kaum jemand kennt, weil sie kein Geld für Marketing haben. Oder lieber spenden statt Marketing und Werbung zu bezahlen.“
Entwicklungshilfe eine Art der Verhaltensveränderung
„Entwicklungshilfe in meinen Augen ist eine Verhaltensänderung oder eine Hilfe , die jeder Mensch unterschiedlich lange braucht. Die Leute fragen mich oft, wie lange so ein Wasserprojekt läuft, beziehungsweise wann es abgeschlossen ist. Und meine Antwort ist: Manchmal in einem Jahr, manchmal in sechs. Man arbeitet mit Menschen. Zisternen hinstellen kann jeder. Doch die Etablierung braucht Zeit. Man muss sich bei Projekten zuerst mal das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
Deshalb ist es am besten bei staatlichen Schulen anzufangen, weil da ist ein anderer Hebel. Der Lehrkörper und Direktor müssen mitmachen, weil es das Bildungsministerium vorschreibt und so kann man das Projekt dann durchdrücken. Knackpunkt sind die älteren Menschen. Kinder saugen Wissen auf wie Schwämme.
Wasserprojekte bedeuten auch, dass man den Menschen dort beim Anbauen und Ernten unterstützt. So haben die Menschen dann nicht nur Essen, sondern können auch vielleicht etwas verkaufen am Markt und haben dann noch plötzlich auch ein Einkommen.“
Doch nicht nur Trinkwasserprojekte stehen im Fokus, DirtWater will auch Aufklärungsarbeit leisten und die Menschen zum Denken anregen. Es geht hier nicht nur um die Sensibilisierung rund um das Thema Wasserversorgung in Afrika, sondern auch um das Konsumverhalten der Gäste, die DirtWater besuchen.
„Wir haben komplett verlernt, woher unser Essen herkommt.“
„Wenn mich die Leute fragen: Wieso habt ihr nicht dieses und dieses Obst, dann kann ich sagen, weil wir in Österreich sind und dieses Obst gerade nicht wächst. Dann sagen die Leute: Ah ja krass. Aber wieso kauft ihr das nicht? Weil ich will, dass meine Kinder in ein paar Jahren auch noch etwas vom Planeten haben.
Wir haben komplett verlernt, woher unser Essen herkommt. Leute lieben Lammfleisch. Man darf aber nicht vergessen: Das sind Babys. Das sind diese ganz süßen kleinen Babys, die da auf den Tisch kommen. Wir haben voll verlernt, wo unsere Lebensmittel herkommen. Und das zu lernen, also Lebensmittelkunde, war auch Sinn des Konzepts von DirtWater.
Wir haben viel geilen Scheiß bei uns, aber keine Chemie. Coca-Cola haben wir nicht, wir haben Tiroler Cola. Schmeckt genauso gut, und es sterben keine Menschen dafür.“
„Wir achten darauf, dass unsere Produkte auch bestimmten moralischen Ansprüchen entsprechen.“
„Uns ist sehr wichtig, dass wir Bio, regional aber auch saisonal sind, was unsere Angebote angeht. Eine saisonale Cocktailkarte haben wir zum Beispiel auch.“
Aber das ist meist auch mit großen Herausforderungen und Einschränkungen verbunden: „Im Winter etwas schwierig: Wir arbeiten gerade viel mit Schokolade, Thymian, Kohl und im Sommer hat man dann die volle Auswahl an Früchten. Man muss den Leuten manchmal klar machen: Erdbeeren wachsen nicht im Winter. Jedenfalls nicht in Österreich. Weißt du was jetzt in Österreich wächst? Nichts, außer Kohl. Die Menschen waren früher nachhaltiger: Sie haben nach den Saisonen gegessen und viel eingelegt.
Funfact: Es ist nachhaltiger im Winter Äpfel und Birnen aus Nordafrika zu kaufen, als aus österreichischen Lagerhallen. Weil der Betrieb der Anlage einfach höhere ökologische Kosten verursacht, als der Import aus Afrika. Natürlich sind da die Leute überfordert mit dem Konzept Nachhaltigkeit.“
„Greenwashing hat auch seine Vorteile!“
„Nach einer 40 Stunden Woche und Haushalt und vielleicht noch Kindern haben die wenigsten noch Energie, um sich mit Nachhaltigkeit und sozialen Engagement zu beschäftigen.“
Lars sieht im Greenwashing eine Chance dem entgegenzuwirken:
„Greenwashing hat auch seine Vorteile. Weil wir als Menschen nicht gelernt haben zu reflektieren, sondern einfach nur zu konsumieren. Man lernt durch äußere Einflüsse zu reflektieren. Jetzt ist seit Ewigkeiten die Thematik Klima in den Medien und überall und ich glaube, dass Leute dann gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen. Wie man auf Thematiken kommt ist eigentlich egal.“
„Also je mehr Firmen Greenwashing betreiben, desto mehr beschäftigen sich die Menschen mit dem Thema Umwelt und Klima. Denns und Maran Vegan funktionieren, weil es jetzt einen Markt dafür gibt. Und Greenwashing trägt dazu bei, dass die Nachfrage in der Gesellschaft steigt. Mittlerweile gibt es in österreichischen Wirtshäusern ein, zwei vegane Optionen und genau das macht Greenwashing. Deshalb ist es gleichzeitig scheiße und gut. Es erreicht Menschen, die man sonst nicht erreicht hätte.“
„Jeder entwickelt sich unterschiedlich schnell oder langsam. Das Problem ist nur, dass wir nicht mehr die Zeit haben, diese Veränderung langsam vonstattengehen zu lassen.“
„Die einzige Veränderung, die man machen kann, ist an sich selbst und vielleicht an seinem Umfeld. Aber was entscheidend ist, wenn du dich veränderst, verändert sich auch der Markt.“
Dirtwater zeigt auf, dass jeder einen Teil beitragen kann. Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen und zu 100% nachhaltig und umweltfreundlich zu leben. Vielmehr geht es darum, sich mit der Thematik auseinanderzusetzten und für sich eine individuelle Lösung zu finden, die sowohl einem selbst als auch der Umwelt zugutekommt.
„Ich rauche und ich brauche mein Auto. Beides ist nicht nachhaltig. Mir ist das absolut bewusst. Aber Menschen brauchen Zeit. Man kann nicht auf Leute zugehen und sie ermahnen. Mir geht es vielmehr darum, Alternativen aufzuzeigen. Zu zeigen, okay es gibt die und die Alternativen und nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Leute zugehen. Es sind die kleinen Schritte.“
„Ich würde es auch nicht Klimawandel nennen, sondern vielmehr Klimazonenverschiebung. Die Sachen mit denen Entwicklungsländer gerade kämpfen müssen, wie Dürre und Einbruch der Landwirtschaft, das wird uns auch treffen.“
„Landwirtschaft ist klimaabhängig, braucht keine 40 Grad und auch keine Stürme und Dauerregen. Wirtschaftliche Schäden und Einbußen sind da vorprogrammiert. Klimazonenverschiebung hat es schon immer gegeben. 1870 hat man in England Wein angebaut, weil die klimatischen Bedingungen dafür da waren.“
„Bis 2050 kann man laut Klimaschutzindex mit 150 bis 850 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen.“
„Mein Wunsch ist, dass die Leute herkommen und sich damit auseinandersetzten und etwas reflektieren. Es ist mein Wunsch, aber nicht meine Erwartung. Ich bin zu nüchtern und realistisch. Die meisten Menschen können und wollen sich nicht mit allem auseinandersetzten.
Jeder entwickelt sich unterschiedlich schnell oder langsam. Das Problem ist nur, dass wir nicht mehr die Zeit haben, diese Veränderung langsam vonstattengehen zu lassen.„
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