Schon klar, die NS-Zeit ist vorbei und viele können die Erinnerungspolitik diesbezüglich nicht mehr hören – obwohl es wichtig ist, sich zu erinnern und nicht zu vergessen, damit es sich nicht wiederholt. Der Punkt an der Sache ist: was, wenn die NS-Zeit nicht so radikal vorbei ist, wie wir das Denken oder gerne hätten? Wenn sich die NS-Ideologie bei den einen mehr, bei anderen weniger stark gehalten hat? Aber sie hat sich gehalten.
Und hier geht es um etwas nicht so naheliegendes wie die FPÖ oder die AfD. Es geht um ein Konstrukt, das still unser Leben strukturiert: die Arbeitswelt. Und viele Begriffe, vor allem aber die dort waltende Ideologie, die uns so vertraut ist, uns so neu und innovativ erscheint, stammt genau aus der Zeit, die wir als so verabscheuungswürdig empfinden. Hitler lässt grüßen.
Sprechen wir wie die Nazis?
Viele Wörter wirken harmlos, geradezu unscheinbar. Doch haben einige davon eine ganz „spezielle“ Vergangenheit. Sie wurden in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt und es haucht ihnen ein unvermuteter NS-Geist inne. Der Historiker und Linguist Matthias Heine hat sich „auf die Suche nach den „braunen Flecken“ unserer Alltagssprache“ begeben. Und stellt fest: „teilweise unschuldig anmutende Begriffe gehörten zum propagandistisch und ideologisch aufgeladenen Vokabular der Nationalsozialisten.“
Dabei geht es ihm nicht um die offensichtliche Nazi-Terminologie mit den Schlagworten wie z.B. „Rasse“ oder „Judenfrage“. Der Linguist spürt diese vorbelasteten Begriffe vielmehr in unserer unschuldig anmutenden Alltagsprache auf. Dort werden diese Worte einfach unbefangen weiterverwendet. Sehr oft ist deren problematischer Ursprung sogar nur noch schwer auszumachen und alles andere als naheliegend. Wie bei dem Wort „Eintopf“ z.B. Mit seinem Buch „Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht“ möchte Heine die Leserinnen und Leser „für einen bewussten Umgang mit der deutschen Sprache sensibilisieren.“
Der Sprachgebrauch des rechten Flügels
Diesbezüglich interessant, die Frage, ob es gesellschaftliche Gruppen oder Fraktionen gibt, die heute besonders häufig NS-belastete Begriffe verwenden? Die Antwort: Ja, gibt es! „Im Zusammenhang mit dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen in den letzten Jahren gibt es einen auch ganz bewusst von diesen Leuten gepflegten Sprachgebrauch. Einerseits gebrauchen sie – zumindest die rechtsextremen Rechtsausleger – Nazi-Begriffe, wie sie die Nazis auch gebraucht haben.“, so Heine. Nicht sehr überraschend. Wir erinnern uns an die vielen konsequenten „Einzelfälle“ der FPÖ.
NS-Ideologie in heutigen Unternehmen
Was jedoch als Überraschung daher kommt und jeden politisch ultra-korrekten Spießer aus den Latschen kippen lässt, ist die Beobachtung, die der französische Historiker Johann Chapoutot in seinem neuen Buch gemacht hat. Dieser stieß unverhofft auf einen NS-Text aus dem Jahre 1941.
In „zwölf Geboten“ wird darin erklärt, wie sich „der Deutsche im Osten zu verhalten hat.“ In diesem Text kamen Worte wie „flexibel“, „agil“, „autonom“, „leistungsbereit“ und „leistungsfähig“ vor, wie der Autor erzählt. Chapoutot war verblüfft. Und das ist verständlich. Waren ihm diese Begriffe doch weniger aus den Geschichtsbüchern, sondern vielmehr aus aktuellen Wirtschaftsbeiträgen vertraut.
In seinem aus dieser Recherche entstandenem Buch „Gehorsam macht frei – Eine kurze Geschichte des Managements – von Hitler bis heute“ stellt Chapoutot fest, dass einige, für das nationalsozialistische Denken typische Begriffe den Krieg und die Aufarbeitungsphase überlebt haben. Und heute noch in unserem Sprachgebrauch geläufig sind. Doch ist es nur bei Worten geblieben?
Der Optimierungswillen der Nazis
Die Nationalsozialisten waren vieles, ein Optimierungswillen ist ihnen dennoch nicht abzusprechen. Sie haben schon früh erkannt, dass es in Deutschland wirtschaftlich einigen Nachholbedarf gab. Daher waren sie mehr als gewillt, die USA in Sachen Wirtschaft zu überholen. Sie wollten Deutschland konsequent in allen Belangen modernisieren. Autobahnen, größere Gebäude etc. „Mobil machen“, lautete die Devise, so Chapoutot. „Jeder Deutsche sollte mit einem Wagen ausgestattet und eine fortschrittliche Konsumgesellschaft kreiert werden, mit Ferien für deutsche Arbeiter, Kreuzfahrtschiffen und riesigen Hotels.“ Bigger, Better, Faster, Stronger sozusagen.
Aus dieser Zielsetzung heraus fokussierte sich die NS-Kriegswirtschaft auf Leistungsfähigkeit. Und in diesem Weltbild wurde der Mensch zum Produktionsfaktor. Eine Ideologie, die sich noch bis in die Bundesrepublik fortsetzte. Die Kriegsmaschinerie von damals wurde später somit von der Massenproduktion der Konsumgesellschaft abgelöst. Aus „Menschenführung“ wurde Management.
Johann Chapoutot, historien spécialiste du nazisme, contre la réédition de «Mein Kampf».https://t.co/nNMvZE9Drq
— Jean-Luc Mélenchon (@JLMelenchon) October 26, 2015
Das Beispiel Reinhard Höhn
Sinnbildlich dafür sieht Chapoutot die Karriere des deutschen Unternehmerberaters Reinhard Höhn. Anhand dessen Lebens beleuchtet der französische Historiker von der Sorbonne das ökonomische Denken vor und nach 1945. „Die Karriere von Höhn ist aufschlussreich für unsere Welt. Die Tatsache, dass er so leicht von einer Epoche in die andere gleiten konnte, sagt viel über die Zeit nach 1945 aus. Die Kader sind auf ihren Posten geblieben.“
Die Denkfabrik der deutschen Industrie
Besonders aufschlussreich: Im Jahre 1956 wurde die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, eine Art Denkfabrik der deutschen Industrie, ins Leben gerufen. Gegründet und geleitet just von dem Herren, der noch 11 Jahre zuvor SS-Oberführer Prof. Dr. Reinhard Höhn gewesen war. Ziel: Effizientes Management. Erreicht durch die Förderung zeitgemäßer Formen der Menschenführung.
Das Harzburger Modell
Und wie hat Höhn sein Führungsmanagementansatz verkauft? Durch „Scheinselbstständigkeit“, wie Chapoutot feststellt. Indem er sagte: „Wir bekommen die Ziele vorgeschrieben, aber wir haben die Wahl der Mittel. Also sind wir freie germanische Arbeiter.“ Und diese vorgegaukelte und vermeintliche Freiheit war wichtig. Ein Trick und Grundbaustein des so genannten Harzburger Modells.
Dieses behauptete, die MitarbeiterInnen als selbstständig denkende Menschen zu behandeln. Gab vor, diese als handelnde und entscheidende Individuen zu betrachten. Zielorientierung statt Verfahrensorientierung, hieß die Devise. Das Versprechen, die Mitarbeitenden würden selbst die Kontrolle übernehmen. Ein Versprechen, dass nur scheinbar eingehalten wurde.
Knapp 20 Jahre nach der fulminanten Erfolgsstory des Harzburger Modells, kam 1972 jedoch zunehmend Kritik auf. Denn dieses „freie“ Modell verfügt über 350 Organisationsregeln und besitzt eine hohe Regelungsdichte. Fazit: Hinter der propagierten Selbstständigkeit wurde im Grunde ein autoritär-bürokratischer Führungsstil präferiert.
Daher ist Höhns System weit von Eigenständigkeit entfernt. Denn diese frei denkenden MitarbeiterInnen durften lediglich Routineentscheidungen treffen. Ganz im Gegensatz zu den Vorgesetzten, welche in außergewöhnlichen Situationen regelmäßig einzugreifen haben.
Somit war die vorgegaukelte Selbstständigkeit nur ein Trick. Es konnten nur nicht relevante Dinge selbst entschieden werden. Die Kluft zwischen frei sein auf dem Papier und frei handeln in der Realität war daher riesengroß.
Leistungsbereitschaft
Höhns System wurde schlussendlich „abgesetzt“. 1989 meldete seine Harzburger Akademie Konkurs an. Höhn selbst verschied im Jahr 2000. Er wurde fast 96 Jahre alt. Doch viele Dinge seines Denkens sind geblieben. Das Ziel unbedingter Leistungsbereitschaft z.B. zieht sich von den Vordenkern der NS-Kriegswirtschaft bis in die Handbücher der Unternehmensführungen von heute. Fakt ist, dass sich alle Pioniere des deutschen Wirtschaftswachstums von Höhn haben „ausbilden“ lassen. Das betrifft mehr als 600.000 Führungskader von Aldi, BMW, Bayer, Esso, Hoecht, Krupp, Opel und Thyssen, die diese Seminare durchliefen. Nicht zu vergessen, auch Beathe Uhse.
Es geht Chapoutot alles andere als darum, zu behaupten, das Phänomen Management sei nationalsozialistischen Ursprungs. Oder per se eine kriminelle Tätigkeit. Wohl aber will er zum Nachdenken anregen: Darüber, dass vieles, was in der heutigen Arbeitswelt auf eine bestimmte Art und Weise gehandhabt wird, in der NS-Ideologie wurzelt.
Diese Ideologie hat die Verdinglichung der Menschen, wie selten ein anderes Phänomen, angetrieben. Klar, die Nazis sprachen noch von „Menschenmaterial“. Doch heute ist man modern und sagt „Human Ressource“.
Totgesagte leben länger
Auch wenn Höhns Harzburger Modell mit diesem zusammen „untergegangen“ schien, so wurde es in den letzten Jahren wieder Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit. Grund dafür war das von Andreas Straub veröffentlichte Buch Aldi, einfach billig. Ein ehemaliger Manager packt aus.
Darin legt er die bedrückenden Methoden bloß, mit denen der Discount-Gigant, seine Angestellten an der Kandare hält. Straub zeichnet ein Bild ständiger Überwachung und Gängelung und belegt, dass Höhns Harzburger Modell dort immer noch angewendet wird. „Seit seinen Anfängen beruft sich Aldi voller Stolz auf die Harzburger Management-Methoden, wie aus dem internen Geschäftsführer-Handbuch hervorgeht.“, so Chapoutot zu dieser Causa.
Das Aldi-Handbuch lässt keinen Zweifel am Einfluss des Harzburger Modells. Und der französische Historiker ist mit dieser Bestandsaufnahme nicht allein. Auch der Spiegel beschreibt Aldi (am 29.April 2012) als einen „Konzern im Kontrollrausch“, der seine Kunden wie Beschäftigte überwacht und seine Lieferanten gängelt. „Die Paranoia ist überall.“, heißt es dort. In einem Interview mit dem Spiegel unterstreicht der ehemalige Aldi-Manger Andreas Straub: „Das System (Aldi A.d. Redaktion) lebt von totaler Kontrolle und Angst.“ Das selbstständige Lösen von Problemen und die versprochene Verwirklichung eigener Entscheidungsfindungen? Nur ein Vorwand für die totale Kontrolle.
Status Quo
Optimierungswahn. Kontrolle. Überwachung. Burn-out. Und so weiter. Wir sind weit davon entfernt. Von den immer lustigen, Ping-Pong spielenden Entwickler-Teams von Google, die nur so nebenbei die genialen Sachen raushauen. Freiheit? Wohl kaum. Es gilt wohl eher die Herabwürdigung des Menschen zum Material oder Produktionsfaktor.
Der Mensch, zweckentfremdet und verdinglicht. Reines Arbeitsmaterial. „Es erweist sich, dass das was im Krämerladen und in der Werkstatt, selbst noch in der Manufaktur gültig war – Gespür, zwischenmenschliche Beziehungen, Improvisationstalent –, für die riesigen Produktionseinheiten und die gigantischen Arbeitermassen nicht mehr gilt.“. so Chapoutot.
Es ist vielleicht ein wenig erschreckend, wenn man bedenkt, dass die Art, wie mein Chef mit mir umgeht und die Dinge, die von mir als Arbeitnehmer erwartet werden, genauso auch schon zu NS-Zeiten erwartet wurden. „An die Stelle der starren und autoritären Verwaltung vergangener Zeiten sollte die nationalsozialistische „Menschenführung“ treten, da die Arbeitskraft, das Humankapital und das „Menschenmaterial“ nur dann vollkommen effizient und rentabel sein konnten, wenn sie frei und glücklich, selbstbestimmt und initiativreich waren – oder zumindest die Illusion hatten, es zu sein.“
Vom Geist der NS-Zeit geprägt
Wenn man bedenkt, wie viel Zulauf die rechten Fraktionen immer wieder genießen, darf man sich die Frage stellen, ob in unserer Erziehung, in unserer Ausbildung zum Arbeitnehmenden nicht schon der Grundstein gelegt wird, für diesen Impuls, den rechten Weg zu gehen. Man dünkt sich frei, doch im Grunde hat man nur die Gedanken eines Menschen, der glaubt, frei zu sein. Meine Empfindungen, nichts als ideologische Standardeinstellungen. (Auch im Sinne des Philosophen Martin Heidegger.)
Man glaubt sich selbstbestimmt und frei. Doch im Grunde unterwirft man sich der erstbesten „Führerperson“, die einem sagt, wo es wie langzugehen hat. Eine „Führerperson“ die einem nur die Illusion von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zugesteht, damit man lediglich glaubt, seine Schritte frei und unabhängig zu machen. Und genau das ist der Trick. Zu glauben, man wäre frei, man würde selbstständig Denken. Doch im Grunde sind diese Gedanken und Empfindungen nichts weiter als vorgefertigte Standardeinstellungen. Ein komplexer Teufelskreis. Wenn ihr das versteht, gehört ihr dann zum Widerstand?
Titelbild Credits: Bundesarchiv, Bild 183-E10855 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
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