Die Frage nach dem Sinn ist auch in der Wirtschaft angekommen. Innerhalb der Purpose-Bewegung versuchen sich Unternehmen umzuorientieren und stellen den Kapitalismus auf die Probe.
Selbst auf der besten WG-Party kommt man ab einem gewissen Alter nicht mehr an dem beschwerten Gespräch über die berufliche Zukunft vorbei. Neben Alkohol und Playlists fließen dann allerlei Visionen durch den Raum: „Ich will gern etwas Sinnvolles machen“, „Ich will die Welt wenigstens ein bisschen verbessern“, „Ich will Gutes mit meiner Arbeit tun“.
Aussagen, die man eher von Geistes- und Sozialwissenschaftlern kennt, neuerdings aber immer mehr aus Richtung der „Justus, TUM-BWLer“ verlauten. Nicht wenige von ihnen engagieren sich neben der Arbeit im Consulting-Office für den Tierschutz, beteiligen sich an Projekten im Globalen Süden oder achten bei ihrer Berufsauswahl auf die Diversität im Unternehmen.
Vor der Frage nach dem Sinn scheinen also auch die Karrieremenschen der Generation Y nicht mehr gefeit zu sein. In einer Studie zur Einstellung von 20 bis 35-Jährigen zum Arbeitsleben, initiiert vom „Zukunftsinstitut“ in Deutschland, gaben 87% der Befragten an, dass es ein wichtiges Lebensziel sei, in einem sinnvollen und erfüllenden Job zu arbeiten. 64% sagten zusätzlich aus, dass sie die Welt mit ihrer Arbeit ein bisschen besser machen wollen.
Die Sehnsucht nach Werten und persönlicher Sinnstiftung wird nicht mehr nur privat gedacht, sondern immer mehr in Kombination mit dem Beruf. Eine Entwicklung, die sich auch durch das zunehmende Verschwimmen von Arbeit und Privatleben bemerkbar macht.
Mit „Purpose“ zum Erfolg
Auf diese Entwicklung müssen sich auch Unternehmen einstellen. Sie müssen dieser Sinnfrage gerecht werden und einen Zweck für sich definieren, um zukunftsfähig zu sein. Im ökonomischen Fachjargon spricht man in dem Zusammenhang von „Unternehmenspurpose“. Einer Mission, die sich nach außen richtet und den Zweck des Unternehmens in der Gesellschaft symbolisiert.
Unternehmen, die einem solchen Zweck folgen und danach handeln, sind laut dem Global Leadership Forecast 2018 42% erfolgreicher am Markt. Eine andere Studie, in der Führungskräfte und Mitarbeitende zum Thema „Purpose“ befragt wurden, zeigt, dass 93% von ihnen es als wichtig erachten, dass Unternehmen für sich eine „Daseinsberechtigung“ definieren. Drei Viertel der befragten Führungskräfte berichten von einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, nachdem im Unternehmen ein neuer Purpose eingeführt wurde.
Und auch die zu Accenture Interactive gehörende Innovations- und Designberatung Fjord kommt in ihrem Report „Trends 2020“ zu dem Ergebnis: Gewinnorientierung allein reicht nicht mehr aus, Firmen brauchen einen tiefergehenden Sinn – sowohl zu Gunsten der Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden, als auch ihrer Kund*innen.
Kapitalismus 2.0
Nun wird nicht nur jede*r Kapitalismuskritiker*in anmerken: Das passt nicht zusammen. Zum rational motivierten „homo oeconomicus“ soll sich nun plötzlich ein Gegenspieler gesellt haben, der seinen Emotionen Raum gibt? Profit und Sinn, wie soll das nachhaltig und insbesondere glaubhaft nebeneinander funktionieren? Diese Frage stellen sich immer mehr Unternehmer*innen und gehen radikalere Wege.
Für sie muss sich das ganze Unternehmen diesem Zweck verpflichten. Es darf zudem nicht mehr in der Entscheidungsgewalt einer oder weniger Personen liegen. Ein prominentes Beispiel ist Christian Kroll, der Gründer der Suchmaschine „Ecosia“. Seine Firma hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bäume zu pflanzen. Damit dieses Ziel nicht zugunsten von Kapitalinteressen im Sand verläuft, hat er sich 2018 dazu entschieden „Ecosia“ über ein Stiftungsmodell in ein sich selbst gehörendes Unternehmen zu überführen und hat sich damit quasi selbst enteignet.
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Bei der Transformation des Unternehmens kann man sich Unterstützung holen, denn so einfach ist das nicht. Herkömmliche Unternehmensstrukturen – wie die klassische GmbH – lassen das nicht so einfach zu. Die „Purpose-Stiftung“ mit Sitz in der Schweiz setzt auf das sogenannte „Verantwortungseigentum“. Eine Alternative zu herkömmlichen Eigentümerstrukturen. Es ermöglicht, die Unabhängigkeit und Werteorientierung eines Unternehmens rechtlich bindend in der DNA – dem Eigentum — zu verankern.
Gewinn wird zum Mittel zum Zweck und die Stimmrechte liegen bei den aktiven Unternehmer*innen. Die Stiftung betreut Unternehmen bei der Umstellung. Sogenannte „Purpose-Berater“ verfolgen grundsätzlich einen ähnlichen Zweck, beziehen bei ihrer Beratung die Perspektive aller Stakeholder ein, adressieren Spannungen im Geschäftsmodell und zielen darauf ab, dass Unternehmen einen klaren Standpunkt formulieren.
Purpose im Abverkauf?
Doch ist es wirklich möglich jedem Unternehmen einen höheren Zweck zurechtzuschustern? Ist ein Energiekonzern damit entschuldigt, wenn er gleichzeitig Bäume pflanzen lässt? Darf ein fast Fashion Shop weiterhin seine Mitarbeiter*innen ausbeuten, wenn er die Möglichkeit bietet Kleidung zu recyceln? Denn der Grat zwischen authentischem Zweck und Marketingtool ist schmal. Mit Green-, Pink-, oder Social-Washing gaukeln Unternehmen regelmäßig einen höheren Zweck vor – der in Wahrheit nur einem nützt und zwar dem Geldbeutel des Unternehmens.
Bei bekannten Fast-Food-Ketten wird man bei der Bestellung mittlerweile gefragt, ob man für Kinder in Armut spenden möchte („Charity-Shopping“), obwohl Softdrinks und Co. weltweit als einer der größten Krankmacher gelten. Luxus-Modemarken werben mit Feminismus, während sie „Magermodels“ über ihre Laufstege stelzen lassen. Und turbokapitalistische Unternehmen preisen sich selbst als mitarbeiterfreundlich an, ohne jemals Belege dafür zu liefern. Slogans wie „Geiz ist geil!“ mögen für kommende Generationen zwar ausgedient haben, aber wichtiger ist der Blick hinter die bepinselte Werbefassade.
Wie im privaten Leben liegt auch im wirtschaftlichen Bereich der Frage nach dem Sinn eine Ambivalenz zu Grunde. Oft hapert es dann eben an der ernsthaften Umsetzung. Drei Bier und eine ausgiebige Beweihräucherung des guten Willens später kennt man sich besser und die ersten werden ausgelassener: „Naja, schön wäre das schon, aber Geld muss ich eben auch verdienen.“
Wer kann es ihnen verdenken? Die nächste Alkohol-Lieferung muss bezahlt werden. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Sinnsuche der Manager von Morgen nicht auf der nächsten WG-Party endet, sondern tiefer geht. Denn sonst wäre es ja zwecklos.
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