Keine Woche ohne einen Bericht in den Medien über einen weiteren Frauenmord. Wobei sich die Gewalt, die Brutalität und der Wahnsinn von Mal zu Mal zu steigern scheint. Fast schon ein wenig spät möchte man sagen, haben die italienische Investigativ Journalistin mit dem Schwerpunkt sexualisierte Gewalt Margherita Bettoni und die Spiegel-Redakteurin, Politologin und Philosophin Laura Backes ein aufschlussreiches und nicht minder aufwühlendes Buch zu diesem Thema veröffentlicht.
Für die Schmerzen und das Blut hat eine Frau schon ihre Tage – europaweiter Protest mit Ausnahme Deutschland und Österreich
Paris. Am 23. November 2019 waren 49.000 Demonstrant:innen von der Place de l´Opéra bis zur Place de la Nation gezogen, um ihre Solidarität mit all den Frauen auf der Welt auszudrücken. Auf vielen Plakaten waren Namen von Opfern zu lesen, die 2019 in Frankreich von ihren (Ex-)Partnern ermordet worden waren. Auch in anderen europäischen Ländern (Italien und Spanien z.B.) gingen zu der Zeit Zehntausende auf die Straße, um ihren Unmut darüber Ausdruck zu verleihen.
Und in Deutschland? „Dem Aufruf eines Berliner Frauenzentrums zu Protesten folgten gerade einmal 1000 Menschen (…) die breite Gesellschaft schien kein großes Interesse an dem Thema zu haben.“ , lamentieren die Autorinnen in ihrem Vorwort. Zwar wird die Thematik Frauenmord allmählich auch bei uns medial präsenter, aber wirklich geändert hat sich nur wenig, konstatieren Bettoni und Backes.
Alle drei Tage – ein Titel wird leider zum Programm
Alle drei Tage. So der Titel des Buches. Ein Titel, gewählt, um die Problematik noch einmal zu veranschaulichen. Alle drei Tage, an jedem dritten Tag (!) im Jahr (so 2019) hat ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin getötet. Und noch schlimmer: Ungefähr einmal täglich hat ein Mann seine (Ex-)Partnerin versucht zu töten.
Eine sehr aufschlussreiche Perspektive auf diese Thematik. Denn in den Medien rückt die Zahl der missglückten Mordversuche in den Hintergrund bzw. scheint dort nicht einmal auf. Der Fokus wird dort lediglich auf die konkreten Morde gelegt. Dabei ist es ein Denkfehler anzunehmen, dass alle Mordversuche immer mit dem gewünschten Ergebnis der Täter enden. Zwei Drittel der Frauen überleben die lebensbeendenden Angriffe ihrer (Ex-)Partner nämlich. Überlebende, die in diesem Buch auch zu Wort kommen.
Mit großer Freude frisch ausgepackt: “Alle drei Tage”. Unser Buch (mit @LauraLBackes für @DVAVerlag ) über #Femizide in Deutschland und weltweit. Ab dem 1. März in den Buchhandlungen, jetzt schon online bestellbar ?? https://t.co/scLAaYB0y3 pic.twitter.com/bfF3ILjlyg
— Margherita Bettoni (@MargheBettoni) February 25, 2021
Femizide – Gewalt mit System
Und ein weiterer Fehler in der Berichterstattung. Laut den Autorinnen berichten die Medien nämlich völlig falsch von diesen Fällen. Sie sprechen zu oft von „Beziehungsdramen“ oder „Familientragödien“. Vor allem dann, wenn auch Kinder ermordet werden. In der Forschung ist dann von „Partnertötung“ oder „Trennungstötung“ die Rede. Der laut den Autorinnen passendere Begriff dafür – Femizide – wird nicht verwendet.
Dabei hat sich dieser Begriff „in vielen Ländern der Welt längst durchgesetzt und bezeichnet die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit.“ Warum also noch nicht bei uns? Und was ist das Problem, dass das noch nicht so ist? Die Autorinnen dazu:
„Worte wie Trennungstötung oder Partnertötung sind an sich nicht falsch. Die beiden Beteiligten Täter und Opfer, waren oft Partner, es war also kein Fremder, der die Frau erschlug, erschoss oder verbrannte. Häufig geschehen diese Taten während oder nach der Trennung. Problematisch an diesen Worten ist aber, dass sie ein essentielles Detail verschweigen.
Die Opfer sind in der Regel Frauen, die Täter meistens Männer. Diese töten „ihre“ Ehefrauen, „ihre“ Verlobten, „ihre“ Ex-Freundinnen, weil sie sie nicht gehen lassen, sondern sie besitzen wollen. Sie töten die Frauen auch, weil sie Frauen sind. Diese Tötungen sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems der gesamten Gesellschaft. Weltweit. Im Begriff Femizid sind all diese Dimensionen enthalten.“
Femizid – ein Begriff stellt den Sachverhalt klar
Femizid. Dieses im deutschsprachigen Raum noch zu selten verwendete Wort, ist die Übersetzung aus dem Englischen femicide. Seine heutige Bedeutung ist auf die südafrikanische Soziologin Diana Russel zurückzuführen. 1976 versammelten sich in Brüssel über 2000 Frauen aus 40 Ländern für ein viertägiges historische Ereignis: Das Internationale Tribunal zu Gewalt gegen Frauen. Die Intention: Aufmerksamkeit zu generieren. Und zwar für Verbrechen, die Frauen weltweit erleiden mussten, und dass nur, weil sie Frauen sind.
In ihrer Rede sprach die Soziologin von femicide, heißt von Morden an Frauen, aus dem Grund, weil sie Frauen sind. Diana Russel wollte bewusst eine Alternative zum geschlechterneutralen Wort homicide, also Mord, finden, um klarzustellen, dass beim femicide die Weiblichkeit, das Frausein, zentral ist. Bei uns, in Deutschland und Österreich, hat sich dieser Begriff auch über vier Jahrzehnte später nicht durchgesetzt – erst seit letztem Jahr (2020) steht er im Duden. Immerhin das.
Nicht nur Beziehungsmorde gelten als Femizid
Dabei lässt sich der Begriff sehr breit fassen und ist nicht nur auf die Beziehungsmorde beschränkt. Ehrenmorde oder Ermordungen von Frauen und Mädchen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung sind ebenfalls Femizide. Auch weibliche Infantizide und Fetizide, also Tötungen von Kindern und die Abtreibung weiblicher Babys oder Föten aufgrund ihres Geschlechts, zählen dazu. Ein ganz großes Problem z.B. in Indien. Dort gehen jährlich zwei Millionen Mädchen „verloren“, wie das Buch beschreibt. Diese Mädchen werden abgetrieben, nach der Geburt umgebracht (!) oder sterben an Vernachlässigung oder unzureichender Ernährung, weil ihre Eltern sich lieber einen männlichen Nachkommen gewünscht hatten.
Auch Genitalverstümmelung ist ein Angriff (oft mit Todesfolge) auf Frauen. Diese abstruse Gewalt richtet sich auch gegen Menschen, die sich nicht als Frauen identifizieren, aber von den Tätern als solche wahrgenommen werden. Auch wenn sich das Buch auf die Femizide im Rahmen einer (Ex-)Partnerschaft bezieht, gilt es dennoch, bei einer weltweiten Analyse, diesen Begriff auch weitreichend zu bedenken.
Die Opfer kommen zu Wort
Auch wenn die Morde an Frauen einem Muster folgen, werden diese Femizide immer noch zu wenig strukturell analysiert. Das Interesse daran ist begrenzt. Das zeigt schon die „prekäre Datenlage“. „Zwar veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) einmal im Jahr eine Statistik zum Thema Gewalt innerhalb von Partnerschaften. Dort wird auch aufgeführt, wie viele Männer ihre (Ex-)Partnerinnen getötet oder es versucht haben. Darüber hinaus gibt es aber keine öffentlich zugänglichen Daten. Nicht über Tatmotive, nicht über die Vorgeschichte der Paare. Dabei wären derlei Informationen notwendig, um Femizide besser zu verstehen – und um sie gezielt zu bekämpfen.“
Gerade deshalb widmet sich dieses Buch auch der Täterforschung. Die Autorinnen gehen der Frage nach, ob es bei Femiziden einen besonderen Tätertyp gibt. Daher ist dieses Buch auch gespickt mit Opferberichten von Frauen, die die Anschläge ihrer (Ex-)Partner überlebt haben. Diese bieten, zusammen mit deren Analyse, einen besonders aufklärenden Einblick in die Thematik Femizid.
Femizide – eine gesellschaftliche Herausforderung
Die Einsicht, dass es sich bei Frauenmorden nicht um Einzelfälle, sondern um eine gesellschaftliche Herausforderung handelt, ist hierzulade leider noch gering. Wobei das bei einer genaueren Betrachtung der Zahlen mehr als deutlich wird. Im Jahr 2017, so die Autorinnen, waren rund acht von zehn (Mord)Opfern weltweit männlich. Gleichzeitig sind auch die Täter in den meisten Fällen Männer. Rund neun von zehn Verdächtigen bei Mordfällen sind laut UNODC-Studien aus den Jahren 2014,2015 und 2016 Männer. Betrachtet man jedoch nur die Morde innerhalb von Partnerschaften, ändert sich dieses Verhältnis geradezu elementar.
Wer wird also hauptsächlich von seinem (Ex-)Partner oder Familienmitgliedern umgebracht? In rund acht von zehn Fällen sind es Frauen. Während Männer eher von Fremden und Tätern außerhalb der Familie umgebracht werden, ist das bei den Mördern von Frauen anders. Diese kennen ihre Täter. Fazit: „Ihr Zuhause bleibt für Frauen der gefährlichste Ort.“
Männer mit Beziehungsproblemen und der Mythos des Mordes aus Leidenschaft
Die Frage die „Mann“ sich hier stellen muss: Haben Männer ein Problem, Beziehungen zu führen? Denn wenn man sich die Schilderungen der Opfer so durchliest, lässt das nur einen Schluss zu und zwar, dass Männer wirklich daran arbeiten müssen, lernen müssen, eine Beziehung zu führen.
Aber auch Frauen müssen lernen, ihre Grenzen zu ziehen. Diesbezüglich ist das Buch genauso klar, vor allem bei Frauen, die schon als Kind Gewalt in der Familie erlebt hätten. „Ihnen falle es unter Umständen als Erwachsene schwerer, Grenzen zu ziehen.“ Eine Tatsache, die dann später zum Verhängnis wird. Ein weiterer Punkt. „Habe eine Frau keine Gewalt in der Herkunftsfamilie erlebt, sei es unerheblich, ob sie deutschland-,türkei- oder russischstämmig sei – das Risiko, Gewalt durch einen Partner zu erfahren, sei dann gleich groß.“ Häusliche Gewalt, das bestätigen Studien, sind ohnehin der größte Risikofaktor für einen Femizid.
Auch der Mord im Affekt ist ein Mythos, der in diesem Buch aufgelöst wird. Denn bei Femiziden handelt es sich in den meisten Fällen nicht um eine spontane Tat, sondern die Täter gehen gezielt vor. Das sogenannte Verbrechen aus Leidenschaft, auf das sich die Täter oft berufen und dabei meist mit einem mildernden Urteil davonkommen, ist somit entkräftet. Denn die Forschungen zeigen das Gegenteil. „In der Mehrheit der Fälle wurde mit erheblichem Aufwand reflektiert, geplant und entschlossen gehandelt.“ Ein Denkfehler, vor allem der Justiz, der oft den Tätern zu Gute kommt, da diese sich auf diese leidenschaftlichen Blackouts beziehen und oft nicht für Mord belangt werden.
Alle drei Tage ist ein extrem wichtiges Werk, dass den Horizont erweitert. Den Autorinnen gelingt es bravourös, etliche Denkfehler von Menschen und System zu entlarven. Man darf nur hoffen, dass die richtigen Menschen dieses Buch auch lesen, um besser früher als später einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.
Titelbild Credits: Shutterstock
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