Die wohlbekannte Spitze des Eisbergs ist erreicht. Oder war diese sogar schon zuvor erreicht? Bereits mit dem Aufkeimen der Anti-Corona-Demonstrationen zeigte sich ein Bild der Polizei, das man als rechtmäßige:r Bürger:in nicht nachvollziehen kann. „ACAB“ steht bei vielen wieder hoch im Kurs. Weil Polizei mit rechten Demonstranten mitmarschiert. Weil sie mit Initiator Martin Rutter kooperieren – „zwecks Deeskalation“. Und weil am Samstag den 01.05. bei der Mayday-Kundgebung Polizeigewalt die Folge war. Doch wo war die Deeskalation da? Es steht sogar eine bewusste Provokation durch Polizeibeamte in Zivil im Raum.
„Die Polizei, dein Freund und Helfer“ – ein Ausspruch, der keine Bekanntheit hatte, bis Heinricht Himmler, bekennender Nationalsozialist und damaliger Chef der Polizei, diesem zu Popularität verhalf. In aktuellen Zeiten fast tragische Ironie, betrachten wir die Demonstrationen der Corona-Krise.
Während Rechtsradikale und Corona-Leugner:innen mit „sanften Anzeigen“ davonkommen – die aufgrund Nichteinhaltung von Verordnungen auch vollkommen legitim sind – werden neutrale und linke Demonstrationen gekesselt. Kesseln war schon immer so ein Ding bei Linken. Das bereitet der Polizei scheinbar schier endlos Freude. Da hatte man noch irgendwie Verständnis. Also, nicht wirklich, aber wegen Kesseln spielt sich doch niemand auf – außer vielleicht ich in meinen Artikeln, aber was zählt das schon?
Vor allem in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit fällt die Argumentation seitens Nehammer äußerst situationsflexibel aus. Gewalt werde nicht toleriert, sagte er in der Pressekonferenz zur „Mayday“-Kundgebung.. Doch wie sah es da bei den Übergriffen von Demonstrationsteilnehmer:innen gegen Journalist:innen bei den Anti-Corona-Demos aus? Ist das etwa keine Gewalt? Nehammer biegt sich die Verhältnismäßigkeit dorthin, wo er sie gerade braucht.
Erklärungsnot zum 1. Mai
Wir sitzen gemütlich am Heldenplatz, als gefühlt hundert Einsatzwägen der Polizei zum Stillstand kommen. Kurze Angst. Wollen die hier jetzt eine Schwerpunktaktion machen? Ein paar Minuten später kommt eine absurd kleine Gruppe grölender Corona-Leugner an uns vorbei. Mit Geleitschutz der Polizei. Was diese unverhältnismäßig große Zahl an Polizisten wenig später machen würden und warum es denn so viele waren, konnten wir da noch nicht einmal annähernd erahnen.
Twitter klärt auf – ich bin schockiert. Viel Verwirrung und eine Presseanfrage später war es klar. Deeskalation gescheitert. Aber warum?
Mail an die Pressestelle der LPD Wien – entschuldigt meine Kleinschreibung beim „Vorgehen“
Am Sigmund-Freud-Platz vor der Votivkirche kommt es zu einem Polizeieinsatz, der von den Teilnehmer:innen als gewaltsam und übertrieben beschrieben wird. Das Bildmaterial, das wenig später im Netz landet, beweist: Sie haben recht und die Polizeihandlungen waren vollkommen überzogen. Es scheint, als wäre die Zahl der Polizisten gleich jenen, die an der Kundgebung teilnahmen. Inklusive jener, die einfach zur Entspannung dort saßen. Samt Pack und Kindern.
Vom Presserservice veröffentlichte Bilder zeigen außerdem zwei Polizeibeamte in Zivil. Lange galt die Vermutung, dass es sich hierbei um Demoteilnehmer der Anti-Corona-Demonstration handle. Aufgrund des Aussehens nachzuvollziehen – deshalb auch meine provokante Anfrage, ob diese Herren im Auftrag der Polizei vor Ort waren, um eine bewusste Eskalation herbeizuführen.
Credits: Presseservice Wien
Dieses Faktum beleuchten wir etwas später genauer. Denn bereits beim „normalen Polizeieinsatz“ ergeben sich genügend Fragen. Warum keine Räumungsdurchsage? Vorwarnung? War Gewalt wirklich notwendig? Warum flächendeckend Pfefferspray?
Die Polizei bleibt Antwort schuldig
Auf meine Anfrage bei der Pressestelle bekam ich folgende Antwort:
„Es kam zu größeren Aggressionshandlungen und gewalttätigen Übergriffen (Bewurf mit Glasflaschen und Dosen) gegen die Polizei, bei welchen insgesamt sieben Polizisten verletzt (unter anderem Schnittverletzungen im Gesicht) wurden. Um diese unmittelbaren gefährlichen Angriffe zu beenden, mussten die Einsatzkräfte von polizeilichen Maßnahmen (Abdrängen, Einsatz von Pfefferspray) Gebrauch machen.“
Von diesen unmittelbar gefährlichen Angriffen gibt es sogar ein Video einer fliegenden Dose. Aber dies war offensichtlich schon zum Zeitpunkt der Eskalation. Und sollte „Freund und Helfer“ nicht vorab deeskalieren? Immerhin werden Polizist:innen dazu ausgebildet, im Gegensatz zu Passant:innen. Oder habe ich eine Passant:innen-Ausbildung verpasst und bin hier schlecht informiert? Ich lasse mich gerne aufklären.
Dieses Zitat heb ich mir auf. Ich habe das leise Gefühl, das könnte irgendwann wieder Thema sein. #zib pic.twitter.com/aNqXVn8YLj
— Matthias Schnetzer (@matschnetzer) March 8, 2021
Natürlich gehört es zur Aufgabe der Polizei, Gefahr abzuwenden. Aber da bleibt das Stichwort der Verhältnismäßigkeit. Ein Banner kann es wohl nicht gewesen sein, das einen derartigen Einsatz legitimiert. Da muss es Aggression gegeben haben. Übergriffe. Im ganz großen Stil. Aber wie kam es zu den von der Polizei auch in der Beantwortung der Presseanfrage proklamierten Aggression? Ab hier wird es besonders spannend.
„Im Zuge einer Demonstration im Siegmund-Freud-Park (sic!) wurden zwei Beamte in Zivil von einer aggressiven Gruppe von Kundgebungsteilnehmern umzingelt und angegriffen. Ein Beamter setzte in der für ihn offensichtlich bedrohlichen und gefährlichen Situation seine Dienstwaffe „Pfefferspray“ zur Verteidigung ein. Dieser Vorfall wurde dokumentiert und wird natürlich so wie jede polizeiliche Maßnahmensetzung geprüft.“
Natürlich habe ich eine weitere Anfrage bezüglich des Einsatzprotokoll der Polizeibeamten in Zivil an die Pressestelle gestellt.
Polizeibeamte in Zivil: ein bewusstes Zündeln gegen die Kundgebung?
Alles beginnt mit einem Widerspruch. Die Pressestelle der LPD Wien übermittelt mir auch die offizielle Aussendung, die wie folgt das Handeln legitimiert: „Während der Abschlusskundgebung im Park versuchten Kundgebungsteilnehmer das Baugerüst einer Kirche zu erklettern, um Transparente anzubringen. Im Zuge des Einschreitens kam es zu massiven Aggressionshandlungen gegen die Polizei. Die Einsatzkräfte wurden mit Glasflaschen und Dosen beworfen.“
War es nun das Klettern auf das Baugerüst? Oder doch der Angriff auf die Polizeibeamten in Zivil? Und warum gab sich die Polizei in Zivil nicht als solche zu erkennen? Darf eine Amsthandlung – also das Ziehen und Nutzen der Dienstwaffe „Pfefferspray“ – erfolgen, ohne dass man sich als Beamter der Polizei zu erkennen gibt? Sind Panik und Gegenaggression nicht eine logische Folge, wenn jemand mit Pfefferspray in die Maße „pfeffert“?
Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um eine bewusste Provokation handle. Denn mit Deeskalation hat dies so gar nichts gemein.
Soll das etwa heißen, dass 1 Zivilpolizist 1 ohnehin angeheizte Situation befeuert, indem er Pfefferspray gegen Demonstrant_innen einsetzt? Ich dachte gestern auch, dass d 1 Rechter sei, d absichtlich provoziert. & warum erkennt d Polizei ihn dann nicht? Fragen über Fragen #w0105 https://t.co/d9v6BbeULu
— Vicky – unsteuerbar – Spielfrau (@VickySpielfrau) May 2, 2021
Das traurige Resumee
Während einige Demonstrant:innen der Mayday-Kundgebung in Gefangenschaft gehalten wurden, bleibt die Polizei noch immer eine offizielle und wirklich der Aufklärung dienliche Stellungnahme schuldig Stattdessen Stille und Schuldzuweisungen an die Demonstrationsteilnehmer:innen.
Doch nennen wir das Kind beim Namen. Das Vorgehen am 01.05. war Polizeigewalt. Es war übertriebene Härte. Die Verhältnismäßigkeit war nicht gegeben. Und das dubiose Zutun der Polizeibeamten in Zivil macht die Sache nicht unbedingt besser.
Es gibt Erklärungsbedarf. Von Innenminister Nehammer. Von Polizeipräsident Pürstl. Und von der Polizei selbst. Unsere Recherche geht jedenfalls weiter – sofern uns die Polizei nicht im Bürokratiedschungel abwürgt.
Titelbild Credits: Presseservice Wien
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