Bekommst du an deinem Arbeitsplatz plötzlich deutlich mehr Verantwortung aufgebürdet? Zugleich aber keine förmliche Beförderung oder mehr Lohn? In diesem Fall könnte es sich um das Phänomen Quiet Hiring handeln. Was es damit auf sich hat, erfährst du hier.
Fachkräftemangel, Personalmangel: der Ursprung des Quiet Hiring
Wir alle kennen das in letzter Zeit bis zur Obsession hinauf stilisierte Lamentieren der Unternehmen über Fachkräfte- bzw. Personalmangel. Sieht man sich die Erwartungen an die Arbeitnehmenden bei vielen der ausgeschriebenen Stellen jedoch genauer an, wird man oft mit einer gewissen Realitätsentferntheit seitens der Ausschreibenden konfrontiert.
Betreibe suchen am Arbeitsmarkt nämlich hauptsächlich den Perfect Match für die offene Stelle. Bedeutet, jemand der alles schon kann und nicht mehr eingeschult werden muss. Darüber hinaus soll er oder sie auch noch über jahrelange Berufserfahrung verfügen und natürlich bezahlt werden, wie jemand ohne. Alles, immer und das am besten sofort. Wie in der Liebe scheitert man als Unternehmen hier oftmals an der konkreten Realität. Das Jammern über fehlende Kandidat*innen nimmt dabei Dimensionen wie auf dem Dating-markt an.
Die stille Reserve
Dieser vermeintliche Mangel an fähigen Arbeitskräften ist dabei zum Teil sogar selbst verschuldet, wie im Standard nachzulesen ist. Denn auf die sogenannte „stille Reserve“ – Menschen, die arbeitswillig sind, aber nicht suchend, sowie unterbeschäftigte Teilzeitkräfte – wird nicht zurückgegriffen. Demnach gibt es sogar mehr ungewollte Teilzeitarbeitende als Arbeitslose.
Vor allem Frauen und Migrant*innen werden in Teilzeitpositionen gedrängt, obwohl sie gerne mehr arbeiten würden. Laut der Studie „Aktivierbare Arbeitsmarktpotenziale und ‚Stille Reserven‘ in Österreich“ zählen sogar rund 312.000 Menschen zur stillen Reserve, sind als ohne Job, suchen aber auch nicht aktiv. Dazu kämen noch 139.000 unfreiwillige Teilzeitkräfte.
Quiet Hiring
Der Perfect Match lässt auf sich warten und die stille Reserve lässt man außen vor. Aber die Arbeitgebenden bedienen sich anderer Tricks, um die Arbeit erledigt zu bekommen. Dieser Trend nennt sich Quiet Hiring. Aber wie funktioniert er?
Das Szenario ist bekannt: Kolleg*innen kündigen oder werden gegangen. Natürlich soll die so entstandene Lücke mit einer Neubesetzung geschlossen bzw. nachbesetzt werden. So wird behauptet. Was dann aber in der Regel viel eher passiert ist, dass die Arbeit des entschwundenen Kollegen auf andere aufgeteilt wird – klar, die Arbeit gehört ja doch auch gemacht.
Macht natürlich Sinn, wenn man schnell keinen Ersatz findet. Doch oft ist es der Fall, dass die Arbeitsaufteilung einfach so bestehen bleibt, vom neuen Kollegen, der neuen Kollegin* aber jede Spur fehlt. Vor allem kritisch zu betrachten: die auf die vorhandenen Arbeitnehmenden aufgeteilte Mehrarbeit wird nicht mit mehr Gehalt entlohnt, noch mit einer Aufstufung bzw. offiziellen Beförderung.
Lösung für den Personalmangel
In einem zusehends anspruchsvollen Arbeitsmarkt scheinen Arbeitgeber eine Lösung für den Mangel an Fachkräften gefunden zu haben. Diese erweitern die Verantwortungsbereiche ihrer Mitarbeiter*innen einfach, ohne diese Veränderungen im Vorfeld mit ihnen zu besprechen oder auch mehr dafür zu bezahlen. Fazit: mehr Arbeit, aber keinerlei Benefits.
Dieser neue Trend auf dem Arbeitsmarkt ist natürlich keine Neuerscheinung. Mitarbeiter*innen wurden schon immer dazu aufgefordert, Lücken im Team zu schließen, die durch Personalwechsel oder das Wachstum des Unternehmens entstanden sind – oft ohne klare Zeitvorgaben. Doch korrekt ist diese stille und verschwiegene Praxis dabei trotzdem nicht.
Um den Begriff Quiet Hiring (also stilles Anwerben) aufzunehmen: Mitarbeiter*innen werden für neue Positionen effektiv eingesetzt, ohne dass sie sich aktiv dafür beworben haben. Still und heimlich bürdet man diesen somit mehr Arbeit auf, ohne an der Entlohnung oder der Jobbezeichnung etwas zu ändern. Dieser Trend, der sich an Konzepten wie Quiet Quitting und Quiet Firing orientiert, wird als Quiet Hiring bezeichnet.
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Quiet Hiring: eine Möglichkeit für den Karrierepush?
Quiet Hiring muss dabei nicht zwangsläufig im Verborgenen stattfinden und sich negativ auf die Arbeitnehmenden auswirken. Die interne Identifizierung von Talenten kann ein entscheidender Bestandteil der Mitarbeiterentwicklung sein und Arbeitnehmer*innen dabei helfen, aufzusteigen und ihre geeignete Rolle zu finden. Natürlich nur, wenn es eben Absicht ist, den Arbeitnehmenden durch extra Arbeit fördern zu wollen und das auch so kommuniziert wird.
Leider geschieht Quiet Hiring jedoch viel zu oft nicht im besten Interesse der Arbeitnehmer*innen. Daher ist an dieser Stelle besondere Vorsicht geboten. Denn die meisten von uns dürften solche Situationen, in denen wir praktisch „heimlich eingestellt“ wurden, gut kennen. Anfangs wird uns das oft als eine einmalige Ausnahme oder als freundliche Unterstützung dargestellt, da das Team gerade unter Arbeitslast leidet. Doch bevor wir es realisieren, finden wir uns in einer völlig anderen Position wieder, die mit deutlich mehr Verantwortung verbunden ist als noch vor wenigen Wochen — und das alles ohne zusätzliche Vorteile.
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Quiet Hiring: ein Fazit
Wenn du also bemerkst, dass deine Vorgesetzten heimlich versuchen, dir zusätzliche Aufgaben aufzubürden, und du ohnehin schon jede Woche Überstunden leisten musst, um mit deiner derzeitigen Arbeitslast Schritt zu halten, sollten deine Alarmglocken läuten. Aber auch wenn du nicht überlastet bist, sind Aufgaben, die bei deiner Einführung oder in deinem Vertrag nicht genannt werden, ein heikles Thema, dass du nicht außer Acht lassen darfst.
Es ist wichtig zu erkennen, dass der Mangel an Personal, Ressourcen und Kosteneinsparungen in Wirklichkeit Probleme der Arbeitgebenden sind. Dieses Mehr an Verantwortung wird uns jedoch oft in Form von Quiet Hiring-Praktiken als Gelegenheit präsentiert, uns im Beruf zu bewähren und schließlich irgendwann dafür belohnt zu werden. Irgendwann, ja. Doch bis es so weit ist, hat sich die Mehrarbeit lange schon als Status Quo etabliert.
Hier gilt es für dich klar abzustecken. Es muss klar kommuniziert werden, welche neuen Tasks du erfüllen sollst und welche alten du vielleicht abgeben kannst. Und sollten die neuen Aufgaben mit mehr Verantwortung verbunden sein, solltest du vor einer Gehaltserhöhung oder formellen Beförderung nicht aus falscher Bescheidenheit zurückschrecken.
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