Rassismus, Privilegien und White Fragility – #blacklivesmatter nur ein klitzekleiner Schritt
Auf den #blacklivesmatter-Demonstrationen kommen dieser Tage weltweit Menschen zusammen, um Solidarität zu zeigen im Kampf gegen Rassismus. Das ist ein gutes Zeichen, doch damit die Bewegung Erfolg hat, braucht es viel mehr – davon sind auch bekennende Anti-Rassisten nicht ausgenommen.
Anti-Rassismus Bewegung online und offline
Die tragische Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis am 25. Mai hat der Rassismus-Debatte neuen Aufschwung gegeben. Aus Städten wie London, Amsterdam, Berlin, Tel Aviv, Toronto, Kapstadt oder Rio de Janeiro sieht man aktuell Bilder von Menschenmassen, die Schilder mit der Aufschrift „I can’t breathe“ und „Black Lives Matter“ in die Lüfte halten. Auch in Wien wurde diese Woche demonstriert, die Polizei geht von 50.000 Demonstrant*innen aus. Neben diesen physischen Zusammenkünften findet auch im Netz eine starke Anti-Rassismus-Bewegung statt.
Am vergangenen Dienstag erschienen die meisten Social-Media-Feeds in schwarzer Farbe. Die Musikindustrie postete unter #BlackOutTuesday und #TheShowMustBePaused Statements gegen Rassismus und setzte damit den Beginn einer übergreifenden Social-Media-Bewegung. Allein auf Instagram finden sich über 28 Millionen Einträge zu den Hashtags.
Außerdem gibt es unzählige Posts mit Aufrufen dazu, sich zu bilden, die eigenen Privilegien zu hinterfragen und laut zu werden – denn nichts zu sagen bedeute Mittäterschaft. Das dachten sich wohl auch viele der – weißen – Demonstrant*innen, die am 4. Juni in Wien auf die Straße gingen. Ein kraftvolles Zeichen gegen Rassismus: Einige der Teilnehmer*innen berichten von einem unglaublichen Solidaritätsgefühl, man habe sich ermutigt gefühlt und trotz des tragischen Anlasses lag Hoffnung in der Luft.
Being Black in the EU – Rassismus in Österreich
Ein Argument, das in den letzten Tagen trotzdem oft zu hören war: Rassismus gegen Schwarze ist eher ein Problem der USA. Ohne zu negieren, dass sich Rassismus in Österreich und der EU auch gegen andere Ethnien oder Religionen richtet – wir sehen diese Art von Rassismus an der hiesigen Asylpolitik und der Einstellung vieler Menschen gegenüber „den Ausländern“ – möchte ich zunächst mit diesem Vorurteil aufräumen.
Hautfarbe ist auch in der EU der meist genannte Grund für Diskriminierung. Das fand die Studie „Being Black in the EU“ der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2018 heraus. Für die Studie wurden 5.803 Migrant*innen aus Afrika bzw. ihre Nachkommen in zwölf der 28 EU-Mitgliedstaaten befragt. Die Fragen bezogen sich auf Erfahrungen zum Thema Rassismus in dem Zeitraum der letzten fünf Jahre und letzten zwölf Monate. Österreich schnitt darin in allen Bereichen vergleichsweise schlecht ab.
Neben Finnland und Irland zählt Österreich zu den drei EU-Ländern, in denen sich die meisten Befragten mit rassistisch motivierter Gewalt konfrontiert sahen (13%). Insbesondere junge Männer erfuhren rassistisch motivierte Polizeigewalt (5 %) und hatten in ihren letzten Polizeikontrollen das Gefühl, Opfer von „Racial Profiling“ auf Grund ihrer Hautfarbe (5 Jahre: 66 %, 12 Monate: 49 %) gewesen zu sein.
Damit ist die Rate der Befragten, die ihre letzte Polizeikontrolle als rassistisch motiviert aufnahmen acht Mal so hoch wie in Finnland, das als zweitschlechtestes Land abschloss (31 %/4 %). In Österreich herrscht unter allen Befragten zudem das geringste Vertrauen in die Polizei. Alle weiteren Ergebnisse der Studie zu Themen wie Wohnsituation, soziale Inklusion, Bildung und Beschäftigung findet ihr auf der Homepage der FRA.
White Privilege
Neben Solidaritätsbekundungen wie „I stand with you“ konnte man auf den Plaketen einiger Demonstrant*innen auch den Satz „Privilege is when you think that something’s not a problem because it’s not a problem for you personally…“ erkennen. Eine Anspielung auf einen zentralen Punkt der Debatte: Das „White (skin) Privilege“.
Mit dem Ausdruck wird auf das gesellschaftliche Privileg des „Weißseins“ aufmerksam gemacht: Weiße haben in unserer Welt im Vergleich zu Nicht-Weißen für sie selbst oft „unsichtbare“ Vorteile. Die jahrhundertelange Vorherrschaft der Weißen, historisch ausgelöst durch Sklaverei und Kolonialismus besteht immer noch. Nach Abschaffung der Sklaverei und des Kolonialismus jedoch zumeist in subtiler aber dennoch signifikanter Art und Weise und ist für ihre Profiteure oft nicht direkt erkennbar.
Damit trifft das Konzept einen Punkt: Rassismus ist ein strukturelles Problem, ein gefestigtes Denkmuster, das aufgebrochen werden muss, indem sich vor allem die Privilegierten ihrer Position bewusstwerden. Doch gerade in mehrheitlich weißen Gesellschaften wie jener in Österreich bleibt dieser Aspekt zu oft unbeachtet, weil man als weißer Mensch nicht damit konfrontiert wird und man dazu bei sich selbst anfangen muss.
Alice Hasters schreibt in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“: „Rassismus wird man also nicht los, nur weil man behauptet, nicht rassistisch zu sein. Es kann zum Beispiel sein, dass man am Tag gegen Rassismus demonstriert – und trotzdem Angst bekommt, wenn ein Schwarzer Mann einem nachts über den Weg läuft.“
Darüber sollte jeder weiße Mensch einmal nachdenken. Denn rassistisches Denken ist so tief verwurzelt, dass nur, weil man nie bewusst über Herkunft, Hautfarbe, oder Identität nachgedacht hat, oder besser gesagt nie dazu gezwungen wurde, läuft man nicht vorurteilsfrei durch die Gegend. „Man bemerkt bloß nicht, dass man diese Vorurteile hat.“
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White Fragility
An diesen Punkt knüpft auch die amerikanische Soziologin Robin J. DiAngelo an. Mit ihrem Buch aus 2011 hat sie den Begriff der „White Fragility“ geprägt. Darin analysiert sie, warum es Weißen so schwer fällt, selbstkritisch über Rassismus zu sprechen, welche Argumentationsmuster sich für „Ich bin doch nicht rassistisch“ finden lassen und wie wichtig die aktive Auseinandersetzung mit den eigenen inneren Rassismen ist, um sie zu überkommen.
Dabei betont sie immer wieder, dass nicht nur böse Menschen rassistisch denken und Rassismus nicht unbedingt böse motiviert sein muss. Rassismus fängt in alltäglichen Situationen an und steckt in unserem Denken. Genau das gilt es zu akzeptieren und hinterfragen, um einen Umgang damit zu finden. „Color blindness“ bedeutet nichts anderes, als jene Rassismen in sich selbst nicht anzuerkennen und damit die reale Diskriminierung Schwarzer Menschen zu leugnen. Natürlich zählt jedes Menschenleben, aber nicht jedes Menschenleben ist gleichmäßig gefährdet.
Antirassismus leben!
Tausende Menschen auf der ganzen Welt zeigen gerade, dass das Problem des systemischen Rassismus gegen Schwarze Realität ist – nicht nur in den USA: Schwarze Menschen werden nach wie vor diskriminiert aufgrund ihrer Hautfarbe. Schwarze Menschen sterben aufgrund ihrer Hautfarbe. Schwarze Menschen werden getötet aufgrund ihrer Hautfarbe. Schwarze Menschen verdienen weniger Geld aufgrund ihrer Hautfarbe. Schwarze Menschen sind signifikant mehr gefährdet an Krankheiten wie Covid-19 zu leiden – aufgrund ihrer Hautfarbe. Schwarze Menschen werden gesellschaftlich, politisch und institutionell benachteiligt aufgrund ihrer Hautfarbe. Diese Liste hört an dieser Stelle nicht auf.
Dies ist kein Lehrstück, auch ich nehme mich als weiße Frau dieser Kritik nicht aus. Ob in der Diskussion um Feminismus, über die Klimakrise oder eben um Rassismus ist die Verortung der eigenen Position unabdingbar und kann sehr schmerzhaft sein. Wie in allen Bereichen, die mit Selbstreflexion verbunden sind, ist Einsicht (nur) der erste Schritt zur Besserung.
Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass sich auf den Straßen aktuell so viele Menschen gegen Rassismus starkmachen und das Thema an Aufmerksamkeit gewinnt. Noch wichtiger als ein Schild in die Luft zu halten, ist es jenen zuzuhören, die wissen wie sich Rassismus anfühlt und antirassistisch zu handeln. Auch wenn das bedeutet die eigenen Privilegien aufzugeben – denn Privilegien gibt es nur, weil andere darunter leiden.
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