Basquiat und der Klub 27: Ausstellung in der Albertina mit Einblick in das Leben und Schaffen

Erstmal ist das Werk von Jean–Michel Basquiat in Österreich zu sehen. Bis zum 8. Jänner 2023 stellt die ALBERTINA den Künstler aus und zeigt in einer wohldurchdachten und gut kuratierten Ausstellung sein Lebenswerk. Nicht unumstritten in seinem Stil und seiner Entwicklung erzielen seine Werke einen Wert jenseits der 100 Millionen Euro Grenze. Während er als autodidakter Künstler begann, eine sagenhafte künstlerische Geschichte zu schreiben, erlag er bereits in jungen Jahren den Drogen – und schließt sich damit dem unrühmlichen Klub 27 an.
Gesellschaftskritik geformt in teils wirren Figuren und Worten – bei genauer Betrachtung doch in einer besonderen Ästhetik und eigenen Ordnung. Nicht immer auf Leinwand. Öfter auf Holz. Oder gar alten Türen. Öl trifft Acryl. Acryl trifft auf Ölstifte. Poesie und Graffiti verschmelzen mit Zeichnungen und Cartoons. Im Hintergrund stets das von Weißen dominierte Kunstestablishment, in dem er es nach und nach schaffte, zu mehr und mehr Ruhm zu gelangen.
Jean-Michel Basquiat, Self Portrait, 1983; Öl auf Papier und Holz Collection Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul | Foto: Ulrich Ghezzi | © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Während die Kunst seiner Zeit – geboren am 12. Dezember 1960 – durchzogen war von einer Umbruchstimmung, wuchs er hinein in etwas, das ihm später zum Verhängnis wird. Denn die 60er waren zwar künstlerisch geprägt von Pop Art und Neo-Expressionismus, doch auch von einer beginnenden Kapitalisierung der Kunst, die es den Künstler*innen dieser Zeit ermöglichte, aus ihrem Schaffen viel Geld zu scheffeln. Während Ordnung in der popkulturellen Kunst von Andy Warhol und Co. ein Stilelement bildetet, regierte in dieser künstlerischen Epoche das Chaos in Form von Eskalation – wilde Nächte mit LSD, Koks, Heroin, Jazz und Sex. Alles im Sinne der Befreiung.
Jean-Michel Basquiat: Ein Schwenk durch sein Leben
Das künstlerisch-ästhetische erst einmal außer Acht lassend, spiegelt seine Kunst vor allem die Gesellschaftsordnung seiner Zeit wider. Eine, in der BPoC (Anm. d. Red.: Black and People of Color) laufend Diskriminierung, Unterdrückung und Übergriffe erfuhren. Als Kind einer Puerto-Ricanerin und eines Haitianers erlernte er die Kunst etwa nicht durch Kurse oder Schulen, sondern durch das Tun an sich. Was aber dem Ausdruck letztlich keinen Abbruch tat.
Jean-Michel Basquiat, Flesh and Spirit, 1982/83; Acryl, Ölkreide und Papier-Collage auf Leinwand, zwei Paneele Parker Foundation | Foto: Courtesy of Fredrik Nilsen. On loan from the Parker Foundation | © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Öffentlichkeitswirksam begonnen hatte er mit Graffiti, obwohl er sich selbst nicht als Teil dieser Strömung sah. Doch war es SAMO© – die von ihm und Al Diaz erschaffene Kunstfigur (Abkürzung für „Same old shit“) –, die auf den Straßen New Yorks die Aufmerksamkeit mit Sprüchen auf sich zog. Stadtbekannten Zitate wie „SAMO© Saves Idiots And Gonzoids“ („gonzoids“ als hispanisches Wort für Verrückte) oder „SAMO© As An End To Mass Mindlessness“ schuf bei den Medien bereits Ende der 70er-Jahre den Wunsch, die „Täter“ kennenzulernen.
1980 stellte Jean-Michel Basquiat erstmal mit anderen jungen Künstler*innen aus und wurde kurz darauf schon von New Yorker Kunstkritiker*innen entdeckt. 2 Jahre später folgte der Durchbruch. Und kurz darauf die gemeinsamen Arbeiten mit Andy Warhol. Dieser starb 1987, was Basquiat aufgrund der engen Beziehung sehr mitnahm: ein Einbruch im Schaffen, der Verlust der Inspiration. Woraufhin erst ein Jahr später in New York eine Ausstellung folgte, die ihm wieder positive Resonanz brachte. Die letzte Ausstellung Basquiats. Denn 1988 starb er an einer Überdosis.
Die Kunst Basquiats: Zwischen Genie und „einer fehlenden künstlerischen Entwicklung“
Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1982; Acryl und Ölstift auf Leinwand; Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam | Foto: Studio Tromp | © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Bei rascher Betrachtung möchte man meinen, die Werke entstanden aus der Hand eines Kindes – teils zufällig scheinende Linien und vereinfachte Figuren. Doch der Geist seiner Kunst lag in der Aussage und ihrer ganz eigenen Intensität. So sprach er mit den für manch einen infantil erscheinenden Gemälden aus, was vielen auf der Zunge lag. Außerdem zeigte sich in der Kunst seiner Zeit eine emotionale Kälte, die er vehement durchbrach. Trans-Avantgarde genannt, in Europa als „Junge Wilde“ bezeichnet, spiegelt der „neue Stil“ ein entgegen des Minimalismus starken Ausdruck von Emotion und Tiefe wider. Der Nerv der Zeit.
„Kaum ein anderer Künstler steht als Ausnahmeerscheinung so repräsentativ für die 1980er Jahre und deren pulsierende New Yorker Kunstszene wie Jean–Michel Basquiat. Er verdichtet seine Werke zu einem persönlichen Universum an assoziativen Zeichen, Bildern und Worten von hohem Wiedererkennungswert. In ihnen kritisiert er Themen wie allgegenwärtigen Rassismus und Ungleichheit in der Gesellschaft. Aktueller denn je, ist sein Werk bis heute bahnbrechend und visionär, formal wie inhaltlich. Ein exzentrischer Outsider wie ausgebeuteter Superstar seiner Zeit behauptet sich als eine der bedeutendsten Schlüsselfiguren für die zeitgenössische Kunstdiskussion“, so ALBERTINA–Kuratorin Antonia Hoerschelmann.
Was wäre wenn? Eine Frage, die bei Jean-Michel Basquiat fast erdrückt. Sehen seine Kritiker*innen doch in der fehlenden Entwicklung und der Wiederholung des Immergleichen eine Möglichkeit, das Werk des Künstlers als überbewertet zu bezeichnen. In der Tat gab es keine große Entwicklung. Doch vergisst man bei dieser Kritik nicht selten das Alter von Basquiat. 27. Welche Künstler waren in diesem Alter bereits in voller Reife ihres Schaffens? Wo wäre Basquiat heute mit seiner Kunst, wäre er nicht den Drogen erlegen?
Ein Türöffner für die Entwicklung der Kunst ohne eigene Entwicklung?
Egal, wie weit sich Basquiat entwickelt hätte – oder eben nicht entwickelt hätte –, sein Einfluss auf die Kunst und deren Entwicklung ist unbestritten. Den damaligen Kunstströmungen entgegenwirkend, brach er mit den Konventionen. Wie es viele nach ihm gleich tun sollten.
Gerade deshalb solltest auch du dir die Ausstellung BASQUIAT. Die Retrospektive in der Albertina ansehen. Bis zum 8. Jänner 2023 sind die Werke des Künstlers noch im Museum zu sehen. Solltest du die jetzt schon legendäre Ai Weiwei-Ausstellung in Wien verpasst haben, ist die Basquiat-Retrospektive eine akzeptable Wiedergutmachung.
Jean-Michel Basquiat; Tuxedo, 1983, Siebdruck auf Leinwand Nicola Erni Collection | Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Titelbild: Jean-Michel Basquiat, Untitled (Infantry), 1983; Acryl auf Leinwand | Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
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