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Der Bereich Kunst hat sich mittlerweile in einen Markt entwickelt, der alles andere als transparent ist. Kunstkenner*innen und Expert*innen halten an Preisphilosophie und -politik fest. Doch zielen sie damit vielleicht am Sinn des Schönen vorbei? Ein Einblick.
Jenseits des Tauschwerts
„Kunstwerke“, schreibt der deutsche Philosoph, Soziologe und Komponist Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie, „sind die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge, des nicht durch den Profit und das falsche Bedürfnis der entwürdigten Menschheit Zugerichteten. (…) Eine befreite Gesellschaft wäre (…) jenseits der Zweck-Mittel-Rationalität des Nutzens. Das chiffriert sich in der Kunst und ist ihr gesellschaftlicher Sprengkopf.“1
Kunst stehe somit, laut dem Hauptvertreter der Kritischen Theorie, für ein Phänomen jenseits marktwirtschaftlicher Interessen. Oder sollte es zumindest. Denn „Kunst hat inmitten herrschender Utilität zunächst wirklich etwas von Utopie“. Sie verweist auf „das Andere, vom Getriebe der Produktions- und Reproduktionsprozesses der Gesellschaft Ausgenommene, dem Realitätsprinzip nicht Unterworfene“2, so Adorno weiter. Das Andere, das jenseits der Produktionskette steht. Abseits der neoliberalen Markt- und Wertlogik. Das Schöne an sich! Das nicht in einen monetären Wert vereinnahmt werden kann.
Denn „Schön ist das“, laut Kant „was ohne Begriff allgemein gefällt.“ Auch ohne den Begriff von Geld. Und darüber hinaus, „als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird“, so Kant weiter in seiner Kritik der Urteilskraft.
Der Kunstmarkt 4.0
Die Kunstwelt heute sieht leider ganz anders aus. Nichts da! Mit Werken jenseits vom Mittel-zum-Zweck-Gedanken. Oder etwas, das außerhalb der Wirtschaft steht. Vom einst Unantastbaren hat sich Kunst lange schon von Kulturindustrie und Wirtschaft vereinnahmen lassen. Und ist, traurig oder nicht, zum Kunstmarkt mutiert. Und ist dieser noch zu retten? Ist uns noch zu helfen? Haben wir unseren Sinn für das Schöne (jenseits des Preises) vergessen?
Immer wieder aufs Neue „schockt“ uns der Kunstmarkt. Oder sorgt für Aufsehen. Aber nicht mit der ästhetischen Großartigkeit eines Werkes. Sondern vielmehr mit Skandalen, Fälschungen und Betrügereien. Künstler und Künstlerinnen interessieren schon lange nicht mehr aufgrund ihrer Kunst, sondern erhalten nur noch Aufmerksamkeit, wenn deren Werke aberwitzige Preise auf Auktionen erzielen.
Wir erinnern uns an Maurizio Cattelans 120.000 Dollar Banane. Diese wurde 2019 auf der Art Basel in Miami für 120.000 Dollar versteigert. Im Grunde war dieses „Kunstwerk“ eine lediglich mit Tape an die Wand geklebte Banane. Im Mittelpunkt des Interesses stand wieder einmal nicht die Kunst selbst, sondern lediglich der absurd hohe Preis, der dafür gezahlt wurde. Noch einmal skandalöser wurde es dann, als ein Aktionskünstler dieses „Kunstwerk“ auch noch vor den Augen perplexer Besucher einfach mal so verzehrte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Hohe Preise gerechtfertigt – meinen die Expert*innen
Wirft man einen Blick auf die Preise der Werke namhafter Künstler*innen wirft das einige Fragen auf. Sind diese hohen Preise überhaupt gerecht? Ist der Kunstmarkt überhaupt transparent? Oder einfach nur obszön? ExpertInnen aus der Kunstwelt verteidigen diese Preispolitik für Kunstwerke natürlich. Klar, wer beißt schon gerne die Hand, die einen füttert. Doch längst scheinen ihre Argumente den Raum rationaler Nachvollziehbarkeit verlassen zu haben. Oft wirkt es sogar so, als höre man einem Prediger zu, der einem die Richtigkeit seiner Religion einzubläuen versucht.
Ehrfürchtig sprechen diese KunstexpertInnen vom „sich auskennen müssen“. Davon, dass alles „eine Basis“ habe. Und den Preis für ein Bild zu ermitteln, eine „ernsthafte Angelegenheit“ sei. Dass es „Wissen erfordert“ und man „den Kontext des Werkes“ kennen muss, um den Preis zu bestimmen. Der Kunstmarkt scheint eine eigene kleine Welt zu sein, in der der Irrsinn akzeptiert wird. Und all jene, die das nicht nachvollziehen können, gehören eben einfach nicht dazu, zum Kunstclub.
„Menschen außerhalb der Kunstwelt verstehen das nicht“, hören wir die ExpertInnen im O-Ton. Ein Bild, das so aussieht, als stamme es von einem Fünfjährigen und noch einen Wert von 50 Million Dollar hat. Klar können das Normalsterbliche nicht verstehen. Doch all diese absurden Preise sind vor allem eines, heißt es: „Objektiv“. Klar, die Profis vom Kunstmarkt kennen sich aus. Und die Preise sind daraus folgend natürlich nicht Subjektiv, sondern rein Objektiv.
All diese Erklärungen u.a. von Giovanna Bertazzoni hören sich dabei immer noch leicht obskur an. Diese ist Leiterin der Abteilung Zeitgenössische Kunst, des berühmten Auktionshaus Christie‘s, das für seine Versteigerungen geradezu berüchtigt ist.
Der Markt
Klar kann „das Revolutionäre“ in den Werken moderner KünstlerInnen auch heute noch erkannt werden. Und in den damaligen Kontext gestellt, ist eine Genialität den Werken natürlich nicht abzusprechen. Das kann man akzeptieren. Sollte man auch. Klar.
Doch warum sollte man, wie genial ein Bild auch immer ist, einen bestimmten Wert dafür verlautbaren? Interessanter Weise versuchen diese Kenner*innen gerade den Dingen einen finanziellen Wert zu geben, die jenseits des Wertsystems stehen sollten. Wieso kann das nicht auch wertfrei sein?
Es ist klar, dass Künstler und Künstlerinnen auch hart arbeiten an ihrer Kunst und dass diese Arbeit auch gerecht entlohnt gehört. Doch wie viele dieser Big Player am Kunstmarkt schaffen ihre Kunst überhaupt noch selbst? Und lassen nicht vielmehr, einem gut funktionierenden Unternehmen gleich, Leute für sich die Arbeit machen. Denn profitable Kunst zu machen, hat mittlerweile mehr mit der Leitung eines Unternehmens zu tun, als mit dem tatsächlichen Prozess des Schaffens.
Der Doppelcharakter der Kunst
Und was der Wert aus dem Markt macht, ist augenscheinlich. Und grenzt nicht mehr nur an Spekulation, sondern ist Spekulation. Folgendes Beispiel: Wenn ihr einen Picasso schon besitzen solltet, dann macht es für euch Sinn, bei der nächsten Auktion den Preis eines anderen Picassos mit in die Höhe zu treiben. Denn wenn dieser einmal pervers teuer verkauft ist, steigt auch der Wert eures eigenen Picassos gleich mit. Ihr könnt also nicht verlieren. Außer die Kunstblase platzt. Nichtsdestotrotz steigert ihr den Wert eures eigenen Picassos.
Und die Vorstellung, die Illusion der Expert*innen, die Sammler und Sammlerinnen würden die Bilder am Ende ihres Lebens einem Museum spenden, ist mehr als blauäugig. Viel wahrscheinlicher ist, dass von den Erben damit einfach weiter spekuliert wird. Die Welt der Kunstexperten und –expertinnen. Eine blauäugige Welt? Oder eine Welt mit ihrer ganz eigenen Realität.
Dieser Doppelcharakter der Kunst hält die authentischen Werke in der Spannung zwischen ästhetischem Erfahrungsgehalt und reinem Spekulationsobjekt. Und so ist es, wie Adorno vielleicht sagen würde, auch nicht mehr nur Kunst. Und die Frage bleibt, ob diese Werke es schaffen, sich die Utopie und den Funken zu bewahren, der jenseits marktwirtschaftlicher Interessen steht.
Titelbild Credits: Shutterstock
1 Theodor W. Adorno (2002): Gesammelte Schriften, Bd. 7. Ontologie und Dialektik. Frankfurt am Main, Seite 337f.
2 Theodor W. Adorno (2002): Gesammelte Schriften, Bd. 7. Ontologie und Dialektik. Frankfurt am Main, Seite 461.
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