Die Anthroposophie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch zwischen Menschenliebe, nachhaltiger Bio-Landwirtschaft, Meteoriten, Eisen und alternativer Medizin verbirgt sich eine esoterische Weltanschauung, die vor allem mithilfe spendabler Geldgeber immer einflussreicher wird. Und zur Gefahr für unser wissenschaftliches Weltbild werden kann.
Energiering für 95.000 Euro
Wir erinnern uns: Während des Baus des Krankenhauses in Wien-Floridsdorf erhielt ein ehemaliger Autohändler, der sich mittlerweile als „Energiearbeiter“ betätigt, den Auftrag zur Errichtung eines esoterischen „Schutzrings“. Und das für stolze 95.000 Euro. Gemäß dem Auftrag sollte dieser dazu dienen, „negative Energien des Umfelds daran zu hindern, Einfluss auf das Gebäude und die Menschen zu nehmen“.
Als diese untypische Verwendung von Steuergeld bekannt wurde, sorgte das natürlich für einen Aufschrei und die Erkenntnis, dass es diesen Hang zum Esoterischen in der österreichischen Krankenhauslandschaft wohl öfter zu geben scheint. Esoterikwahnsinn vom feinsten würden wohl viele dazu sagen. Doch wie kommt es, dass sogar beim Bau eines Krankenhauses (einer wissenschaftlichen Institution) auf solcherlei unwissenschaftliche Hilfsmittel zurückgegriffen wird?
Anthroposophie: was ist das?
Und diese Frage führt uns zur Anthroposophie, ein Denkansatz, der den Menschen ins Zentrum rücken will, doch dabei auch sehr stark ins wissenschaftsfreie Feld der Esoterik sich verirrt. Die Anthroposophie, von Rudolf Steiner (1861–1925) begründet, ist eine weltweit vertretende spirituelle Weltanschauung und zugleich auch der dazugehörige Ausbildungs- und Erkenntnisweg.
Die Anthroposophie vereint dabei Elemente des deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, der Gnosis (eine Erkenntnisform in Bezug auf ein religiöses esoterisches Wissen), der christlichen Mystik, der fernöstlichen Lehren und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.
Basierend auf einer okkulten „Geheimwissenschaft“, die Steiner durch Erforschungen der geistigen Welt mithilfe von sogenannten „Hellseherorganen“ entwickelt haben soll, setzt die Anthroposophie einen zentralen Fokus auf die Anwendung des Evolutionsgedankens auf die spirituelle Entwicklung.
Anything goes
Zusammengefasst handelt es sich bei der Anthroposophie somit um eine Weltanschauung, der das Phänomen der Postmoderne (Anything goes!) wie auf den Leib geschrieben scheint. Alle möglichen Anschauungen, von Esoterik bis Wissenschaft, finden hierin ihren Platz. Im Grunde sind das jedoch Bereiche, die nie und nimmer koexistieren dürften, da ein wissenschaftlicher Ansatz esoterische Erkenntnisse grundsätzlich ablehnt. Ganz einfach deshalb, weil diese wissenschaftlich nicht belegbar sind!
Dieser bunte Grundsatz der Anthroposophie erinnert dazu auch noch an den berühmten Satz aus Goethes Faust: „Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen, und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Bedeutet: Wenn man in einer Weltanschauung alle möglichen Ansätze vereint, dann wird schon jeder Mensch darin etwas finden, das ihm oder ihr zusagt und eben diesem Teilbereich folgen, auch wenn das Gesamtkonzept eher unstimmig ist. Apropos Goethe, auch er ist, wie schon erwähnt, Teil der Anthroposophie.
Esoterik auf dem Vormarsch
Auch wenn der Begriff der Anthroposophie die griechischen Worte Mensch und Liebe in sich birgt, und recht freundlich daherkommt, so wird schnell klar, dass dieses Konzept in eine extrem esoterische Richtung geht. Denn gerade das Esoterische ist ein großer Bestandteil dieser Weltanschauung, größer, als viele bisher angenommen haben.
Aber auch wenn sich dieses Anthroposophie-Konzept recht weird anhört, haben etliche Markenprodukte diese Anschauung in ihre Corporate Identity integriert. Ärztinnen und Ärzte, Kliniken, Schulen (Waldorf), Lebensmittelhersteller (dm, Alnatura) und sogar Banken haben diese Anschauung als Fundament für ihr Wirken entdeckt.
Demeter und Co: esoterische Landwirtschaft
Auch Demeter, die nachhaltigste Marke Deutschlands, die biologische Landwirtschaft als Grundvoraussetzung für ihre Produkte gesetzt hat, verfolgt einen anthroposophischen bzw. esoterischen Ansatz. Denn was fast niemand weiß: in all diesen Demeter-Produkten stecken esoterische Kräfte. So werden bei der Bestellung der Äcker für Demeter-Produkte, das Quarz oder der Kuhmist in Kuhhörner gefüllt und ein halbes Jahr in der Erde vergraben, um „kosmische Kräfte“ zu sammeln.
Dann werden diese Kuhhörner ausgegraben, und der Inhalt als quasi kosmischer Dünger stark verdünnt auf die Felder verteilt. Dabei handelt es sich um sogenannte „biodynamische Präparate“, die das Wachstum der Pflanzen positiv beeinflussen sollen. Wissenschaftliche Beweise dafür gibt es natürlich nicht! Doch dass die von Demeter verkauften Produkte auf diesen obskuren Herstellungsprozess zurückgreifen müssen, ist vorgeschrieben.
Anthroposophische Medizin
Doch nicht nur in der Landwirtschaft, auch in der anthroposophischen Medizin geht es esoterisch-kosmisch zur Sache. Wie von Dr. Harald Matthes, dem Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe, erklärt, wird dem Meteoreisen eine heilende Wirkung zugesprochen. Dies liegt daran, dass der enthaltene Meteorstaub die verschiedenen Seinsschichten eines Menschen positiv beeinflussen soll. Auch dafür gibt es keinerlei wissenschaftliche Beweise.
Ebenso wird in der anthroposophischen Medizin die Option gelehrt, dass Krankheiten möglicherweise auf Verfehlungen in einem vorherigen Leben zurückzuführen sind. Zum Beispiel könnte ein mangelndes Interesse an den Sternen in einer früheren Existenz nun zu Bindegewebsschwäche führen. Und wieder gibt es keinerlei wissenschaftliche Nachweise für diese Behauptung. Dennoch sind viele dieser anthroposophischen „Arzneien“ in den Apotheken erhältlich und werden sogar von der Krankenkasse gefördert. Das alles auch deshalb, weil reiche Förderer der Anthroposophie alles daransetzen, die anthroposophische Medizin salonfähig zu machen. Trotz der Tatsache, dass diese „Arzneien“ keinen nachprüfbaren Effekt haben, jenseits des Placebo-Effekts natürlich.
Anthroposophie: eine esoterische Weltansicht
Wie wir gesehen haben, beinhaltet die Anthroposophie eine Fülle esoterischen Denkens, das oft im klaren Gegensatz zur wissenschaftlichen Herangehensweise steht. Hierbei zeigt sich ein gewisser „Doppelsprech“, wie eine ZDF-Reportage verdeutlicht: Nach außen hin wird von nachhaltiger Landwirtschaft und einer Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, gesprochen.
Hinter den Kulissen jedoch werden esoterische Glaubenssätze praktiziert, welche in einer wissenschaftlichen Aufmachung daherkommen und trügerisch sind. Hat sich die Esoterik langsam in die Anthroposophie eingeschlichen? Ganz im Gegenteil! Laut dem Blogger und Journalisten Oliver Rautenberg, der sich auf das Thema spezialisiert hat und darüber auf seinem Blog berichtet, ist die Esoterik sogar eine Art Basis der Anthroposophie.
Schrullen mit Einfluss
Früher hat man die sogenannten Schrullen vieler Menschen einfach toleriert, weil diese keinen Einfluss auf gesellschaftliche Grundwerte hatten. Doch die Anthroposophie, eine gesellschaftlich gut organisierte Schrulligkeit, die immer mehr an Einfluss gewinnt, verdeutlicht, dass wir vorsichtiger werden müssen. Der Platz in den Apotheken sollte daher nicht ohne Bedacht vergeben werden.
Denn wenn man einmal eine wissenschaftliche Ausnahme macht, öffnet man Präzedenzfälle und gibt dem Unwissenschaftlichen immer mehr Raum, sich zu entfalten. Wie sonst hätte es dazu kommen können, dass esoterische Praktiken immer mehr Anklang im medizinischen Alltag finden.
Fazit
Wie viele Anthroposophen es genau gibt, kann man nicht sagen. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Anthroposophie in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Spätestens seit Herbert Kickls obskurem Corona-Plan B ist klar, dass die Wissenschaft bzw. rationales und wissenschaftliches Denken, seine Vormachtstellung immer mehr einbüßt.
Auch der Skandal um den Esoterik-Ring, der für teures Steuergeld um das Wiener Krankenhaus gelegt worden ist, zeigt, dass wissenschaftliche Werte, die sehr lange, sehr hart erkämpft worden sind, ihre Vormachtstellung verlieren und durchlässig werden, für alle möglichen pseudowissenschaftlichen Alternativen. Obskure Substitute, jenseits evidenzbasierter Medizin, wo finanzstarke Gönner und Stiftungen im Hintergrund dafür sorgen, dass diese immer mehr in unseren Alltag integriert werden.
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