Wenn man die Handlung dieser zweistündigen, schmutzigen Schnulze beschreiben sollte, muss man vorerst lange überlegen. Nicht, weil die Szenen besonders gehaltvoll wären. Sondern weil sich kaum etwas wertvolles abspielt. Ein endloses Machtspiel, welches sich wie ein zäher Kaugummi über zwei Stunden zieht.
Die Hauptpersonen sind die naiv und dümmlich wirkende, ständige provozierende Polin Laura und der italienische Mafiaboss Massimo. Laura befindet sich bereits in einer toxischen Beziehung und beschwert sich bei ihrer besten Freundin über das ständige Desinteresse ihres Partners. Zu ihrem Glück wird sie noch in derselben Nacht von einem dominanten Helden entführt.
Massimo, ein trainierter, 1.90 Meter großer und tätowierter Typ, sei es „nicht gewohnt, dass man ihm nicht gehorche“. „Hast du dich verirrt, meine Süße?“ ist die signifikante Frage des gesamten Films. Massimo entführt Laura mit der Intention, dass sich diese binnen 365 Tagen Gefangenschaft in ihn verlieben soll. Ja, es klingt dumm und das ist es auch. Während Laura eigentlich fast die ganze Zeit schläft – zu meiner Verwunderung ist sie in den Sexszenen wieder wach – weil ihr permanent K.O.-Tropfen eingeflößt werden, bringt Massimo ein paar Leute um, die ihn stören. Normales Verhalten, man kennt es.
50 Shades of Grey 2.0
Laura unternimmt ein paar Fluchtversuche, aber findet sich nach ein paar Tagen schon mit ihrem Schicksal ab. Denn zum Glück ist ihr Entführer reich und gutaussehend. (Hier besteht auch die Parallele zu 50 Shades of Grey.) Die recht zierliche Polin badet in Reichtum und duscht schon kurze Zeit nach ihrer Entführung lasziv vor ihrem Peiniger. Massimo weist sie mehrmals darauf hin, ihn nicht zu provozieren, denn „er würde mit ihr machen, was er will“.
Irgendwann folgt dann auch die erste pseudo-sadomasochistische Szene. Moment, wird das hier 50 Shades 2.0? Mit Massimo sollte man außerdem – so wie auch mit Christian Grey – Mitleid haben. Sein Vater sei vor 5 Jahren erschossen worden und seitdem wäre er verzweifelt auf der Suche nach seiner großen Liebe: Laura. Die Auserwählte des Mafiabosses benötigt zum Glück nicht 365 Tage, um ihr Stockholmsyndrom* zu entwickeln, denn sie schafft es bereits binnen einer Woche. Endlich habe sie ihren starken Beschützer gefunden, welcher auch noch grandios im Bett ist. Hm, wenn man eingesperrt wird, muss man auch keine äußeren Gefahren fürchten.
(*Anmerkung: Das Stockholmsyndrom beschreibt das psychologische Phänomen, als Opfer einer Geiselnahme mit dem Täter zu sympathisieren oder sich gar in diesen zu verlieben.)
3096 Tage
„365 Tage“ erinnert an den Buch- und Filmtitel „3096 Tage“ von Natascha Kampusch. 365 days romantisiert Entführungen und sexuelle Gewalt und stellt das Stockholmsyndrom absolut erstrebenswert dar. Eine weitere Parallele zwischen der autobiographischen Verfilmung von Kampuschs achtjährigen Leidensweg und dem Netflixfilm, sind die in beiden Filmen immer wieder vorkommenden Sätze: „Du musst mir gehorchen“, „Gehorche!“ bzw. „Warum gehorchst du mir nicht?“
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Sexismus und krankhafte Eifersucht
Die sexistische Rollenverteilung darf auch nicht außer Acht gelassen werden. Der dominante, erfolgreiche und sadistische Gangster und das kleine, dumme, sich-an-jeden-Strohhalm-klammernde-Mädchen, welches offenbar keinen besseren Partner kriegt. Man kennt es bereits aus zahlreichen anderen Filmen. Diese Form der toxischen Beziehung scheint für viele Filmproduzenten das Leitbild einer erfolgreichen Romanze zu sein.
Am besten ist der Typ auch noch krankhaft eifersüchtig – wie in „YOU“. „Du wirst mir gehören, das garantiere ich dir. Und dann mache ich alles mit dir, was ich will und wann ich es will.“, so Massimo zu Laura. In einer Szene tanzt Laura kurz bekleidet im Club, ein Betrunkener wird übergriffig und sagt: „Das ist aber eine geile Hure.“ Vielleicht wäre ein Triggerwarning angebracht, denn das sind Szenen und Sätze, die viele Frauen bereits erlebt bzw. gehört haben.
Das dramatische Ende. ACHTUNG, SPOILER!
Laura und Massimo stehen kurz vor ihrer Hochzeit, die Braut ist außerdem schwanger. Ein ganz normaler Verlauf zwischen Opfer und Entführer. Zu guter Letzt wird Laura aber von Feinden des Massimo ermordet. Zwei Stunden durfte man auf den Dramateil des „Erotikdramas“ warten und jetzt ist er endlich gekommen. An dieser Stelle fragen sich sicher einige: „Was zum Teufel war das und wo bleibt die Erotik?“
Alles in allem kann gesagt werden, dass 365 days grundsätzlich von allem zu viel hat: Sexismus, Gewaltverherrlichung und Primitivität. Es entsteht der Eindruck, dass die Basis dieser Idee eine Vergewaltigungsfantasie ist, welche mit sinnbefreiten und teils auch langeweiligen Szenen verschleiert werden sollte.
Titelbild Credits: Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Kurz vor Weihnachten lockt der Hauptgewinn: El Gordo hat eine lange Tradition
Die Weihnachtstage sind nicht nur für Kinder eine aufregende Zeit. Auch viele Erwachsene fiebern den Festtagen zum Jahresende entgegen – […]
Absicht oder Versehen: Wie ordentlich kann Mann im Haushalt sein?
Auf Instagram und TikTok kursieren unzählige Videos von Pärchen, die die reale Situation zuhause festhalten und die negativen Eigenschaften der […]
EXPO WELTAUSSTELLUNG 2025 IN OSAKA/JAPAN LOHNT SICH EIN BESUCH? Wir waren am Sonntag bei der Eröffnung!
Wien/Osaka. Die Weltausstellung „EXPO 2025 Osaka, Kansai, Japan“ findet vom 13. April bis 13. Oktober 2025 zum Thema „Designing Future […]
Queerbaiting: Was bedeutet das und wieso betrifft es uns?
Regenbogenflaggen überall. Auf T-Shirts, Handyhüllen, Kaffeetassen. Bei genauerem Blick erkennt man jedoch, dass dies nur Marketingspäße sind, damit noch mehr Gewinn gemacht wird.
Kunstbiennale in Venedig 2024 – Highlights, die du nicht verpassen darfst
Die Kunstbiennale in Venedig, 2024. 86 Länderbeteiligungen und 331 Künstler*innen. Wir haben die besten Kunstwerke für euch herausgesucht.
Der Herr der Ringe Amazon-Serie: die schlechteste oder teuerste Serie aller Zeiten?
Lange hat man darauf gewartet. Nun ist die heiß erwartete und von vielen auch ersehnte Amazon-Serie endlich da. Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht. Und was man jetzt tun sollte ist folgendes: diese Serie einfach ungesehen an sich vorbeiziehen lassen. Denn alles was diese Serie ist, ist teuer. Sonst nichts.