Unsere Ernährung ist zu einem äußerst emotional besetzten Thema geworden. Wir essen schon lange nicht mehr nur, um zu überleben. Kochshows, Food-Reise-Dokus und die endlos fetischisierten Bilder von Gerichten auf den sozialen Medien haben unsere Ernährung in den Raum des Symbolischen enthoben. Unsere Ernährung radikal emotionalisiert. In ihrem lesenswerten Buch Food Feelings erklärt die Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Diätologin Cornelia Fiechtl, wie die Themen Ernährung und Psychologie zusammenhängen.
Diätologische Ernüchterung
Ihre Ausbildung führte die Autorin gleich zu Beginn ihrer Karriere in eine Klinik für Psychosomatik. Dort wurde sie zum ersten Mal mit Essstörungen und Stoffwechselerkrankungen konfrontiert. Trotz nie enden wollender Bemühungen war Fiechtl dort jedoch immer wieder mit derselben Problematik konfrontiert: Warum werden die Betroffenen nicht gesund?
Egal wie oft sie klinisch behandelt werden. Es stellte sich keine Besserung ein. Frustrierend! Es konnte ihnen einfach nicht geholfen werden, so schien es. Trotz wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse aus tausenden von Studien schien die Umsetzung in der Praxis nicht so einfach, wie es die Theorie so gerne hätte.
Das Problem? Es fehlte an der Psychologie rund um das Essverhalten. Statt nur das Symptom zu bekämpfen, plädiert Fiechtl daher dafür, lieber die Ursache von Essdrang zu behandeln. „Anstatt Betroffene mit noch mehr Disziplin und strengen Ernährungsregeln tiefer in den Essdrang zu treiben.“, ist es sinnvoller, sich mit den Emotionen rund ums Essen zu befassen.
Emotionales Essen
Anstatt sich einem kompromisslosen Ernährungsplan zu unterwerfen – den man ohnehin nicht durchhält –, schlägt die Psychologin vor, sich mehr auf die Emotionen zu fokussieren. „Der Begriff emotionales Essen meint, dass die Nahrungsaufnahme nicht durch körperliche Hungersignale, sondern durch Gusto oder Appetit, die eng mit Emotionen verbunden sind, ausgelöst wird.“
Diese impulsiven Gefühle entstehen spontan und übernehmen Kontrolle über unser Essverhalten. Denn Essen ist eine Strategie des Körpers, uns zu beschützen. Wenn wir uns also emotional nicht gut fühlen, lindert das Essen uns mit seinen wohltuenden Effekten.
Das Hauptproblem: Unsere Gedanken
Wenn von emotionalem Essen die Rede ist, dann legt dieser Begriff nahe, dass Emotionen der Auslöser für das individuelle Essverhalten sind. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Denn: Wenn dem so wäre, dann würden ja alle Menschen gleich reagieren und Ärger und Traurigkeit immer einen Essvorgang auslösen, so die Psychologin. Dem ist aber nicht so.
Hauptursache für die impulsive Nahrungszunahme ortet Fiechtl in unseren Gedanken. Erst die Bewertung einer Situation – wie wir darüber denken – erzeugt die Emotionen, und die Emotionen wiederum erzeugen ein Verhalten (Essanfall oä.) Tatsächlich gibt es sogar „eine ganz konkrete Art von Gedanken, die Emotionen samt Essdrang hervorruft.“
Gedanken stehen in Verbindung mit Emotionen
Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass Binge Eating (Essanfälle) nur dann auftritt, wenn die Betroffenen zum Grübeln und ständigen Nachdenken neigen. Es sind hauptsächlich negative Gedanken, die zu einer Bedrohung des Selbstwerts führen. Gedanken, die meist in Verbindung mit Emotionen wie Scham, Ärger oder Traurigkeit auftreten. Ein Gefühl der Gleichgültigkeit wird es kaum schaffen, einen Essanfall auszulösen.
Gut zu wissen: Erinnerungen werden nämlich zusammen mit den dazugehörigen Emotionen abgespeichert. Eine einzige Erinnerung oder ein Gedanke kann hierbei schon ausreichen, um eine zusammenhängende Kette an Emotionen zu triggern. Und einen Essanfall herbeizuführen.
Heißhunger vs. Essdrang – worin liegt der Unterschied?
Ein weiterer Punkt ist die Unterscheidung zwischen Heißhunger und Essdrang. Heißhunger ist dabei nichts Schlechtes, denn es tritt in Kraft, wenn dem Körper wichtige Bau- oder Energiestoffe fehlen. Weil der Mensch diese z.B. unterm Tag nicht bekommen hat, stürzt dieser sich eben in der Nacht oder am Abend auf den Kühlschrank und isst solange, bis der Körper das bekommen hat, was er braucht.
Wobei bei einer Heißhungerattacke kopflos und unbewusst gegessen wird. Den Tag hindurch nicht auf die regelmäßige Zunahme von Essen zu verzichten oder zu „vergessen“, beugt dem Heißhunger natürlich vor.
Der Körper braucht Zeit, um zu begreifen, dass er gegessen hat
Fehlende Mahlzeiten schnell mal in einem Gang zu kompensieren ist dabei ebenfalls nicht hilfreich. Da der Körper Zeit braucht, um zu begreifen, dass er überhaupt was gegessen hat, ist ein bewusstes Essen nahezulegen. Damit nicht nur die physische, sondern auch die emotionale Sättigung eintreten kann.
Denn Emotionen spielen immer eine Rolle, auch bei der Nahrungszunahme. Diese auszuschließen und sich radikal an einen Plan zu halten ist genauso sinnlos, wie der umgekehrte Ansatz. Wir sehen Ernährung leider viel zu einseitig, wenn wir nur über Lebensmittel und Kalorien sprechen, erklärt die Autorin. Aber wir sind keine Maschinen. Gefühle spielen immer mit. Doch der Unterschied ist unglaublich: Isst man abwechslungsreich, ist man länger satt, körperlich und mental zufriedener und der Heißhunger bleibt aus.
Dass die Gesellschaft ein großes Problem mit emotionalem Essen hat, zeigt allein schon die Tatsache, wie viele GIFs es zu diesem Thema gibt, von denen wir uns bemüht haben, die ansprechendsten hier einzubetten.
Essdrang: Das große emotionale Problem
Essdrang ist anders als Heißhunger und zugleich viel gefährlicher. Dieser entsteht nämlich auch dann, wenn man eigentlich satt ist. Bei manchen äußert sich der Essdrang z.B. darin, dass die Mahlzeit nicht beendet werden kann, bevor der ganze Teller leer ist, selbst wenn man schon satt ist. Moralisch natürlich fragwürdig hier etwas stehen zu lassen, will man doch nichts wegwerfen. Doch genau dieses schlechte Gewissen, dieser Denkansatz reitet uns schließlich hinein. Aber auch das Gefühl, die ganze Packung aufessen zu müssen, ist ein weitverbreitetes Phänomen des Essdrangs.
„Essdrang wird in der Regel von bestimmten Verhaltensweisen begleitet. Manche von ihnen führen zu einem nicht zu unterschätzenden Leidensdruck in Form von Scham, schlechtem Gewissen, Ärger, Traurigkeit oder Gewichtszunahme.“, so die Psychologin. Vor allem bei emotionalen Verstimmungen greifen viele zu einem „kleinen“ Snack, um sich zu beruhigen.
Wie immer man den Essdarng angeht. All diese Strategien sind ein verzweifelter Versuch, sich besser zu fühlen. Leider der falsche Weg ans Ziel, denn häufiger Essdrang geht oftmals mit Gewichtszunahme einher. Und äußerst sich vor allem in Form eines Kontrollverlusts.
Fazit
Das Leben in einem kulinarisch bzw. geschmacklichen Luxus (hauptsächlich natürlich in der westlichen Welt) hat unsere Ernährung von einer rein körperlichen Funktion in eine emotionale Achterbahnfahrt verwandelt. Gekoppelt mit den gesellschaftlichen Idealen ist Essen eine extrem komplizierte Angelegenheit geworden. Stetig pendeln wir zwischen nie erreichbarem Idealgewicht und dem hinter jedem Bissen lauernden Übergewicht. Auch unser stressiger Lebensstil hat dazu geführt, dass wir verlernt haben, richtig zu essen. Cornelia Fiechtl versucht unser Essverhalten umzudenken:
„Statt Menschen (und vor allem Frauen) zu einem Ideal hinzumodellieren, geht es darum, das zu bewahren und zu beschützen, was in uns von Geburt an vorhanden ist. Innerer Frieden, innere Leichtigkeit mit dem eigenen Körper und ein befreites und leichtes Essverhalten ohne Kalorienzählen, Essdrang, Heißhunger, Körperhass oder ständige Gedanken, welches Essen das „Richtige sei“ – darum geht es.“
Und um diesem Ziel etwas näher zu kommen, hat Fiechtl dieses lesenswerte Buch geschrieben. Dass dabei helfen soll dem Heißhunger vorzubeugen, dem Essdrang auf die Spur zu kommen und beides nachhaltig aufzulösen.
Titelbild © Shutterstock
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