In Zeiten schwerer Identifikationskrisen und 5- Sterne- Bewertungen scheint es wichtiger denn je zu sein, in welchem Bezirk du daheim bist. Ich war lange auf der Suche nach dem Stadtteil, in dem ich mich wirklich wohlfühle.
Von Kärnten aus ging es für mich damals direkt in die Schleifmühlgasse – meiner Meinung nach etwas overhyped die Straße, aber zumindest hatte mir der rauschige Alfred Dorfer beim nächtlichen Durchqueren des Innenhofes nach dem Zigaretten Kaufen richtig derbe Lacher beschert. Natürlich fand ich es cool, zwischen namhaften Wiener Persönlichkeiten zu residieren und damals mit Schikaneder und Kiosk gleich zwei richtig lässige Lokale um die Ecke zu haben. Dennoch war mir alles ein bisschen zu artsy-fartsy und ich fühlte mich dort nie so wirklich daheim.
Es folgte ein kurzes „Wientermezzo“ in Ottakring – inklusive wiederkehrender Geruchsbelästigung durch die Brauerei und dem süßen Duft der Mannerfabrik. Durch die hohe Dönerbudendichte war der Bezirk für einen frischgebackenen Studenten bei einem Durchschnittspreis von 2 Euro pro Sandwich das Kebapparadies schlechthin und in der Brauerei waren die Feten damals auch noch am Monatsende erschwinglich. Aber trotz des horrenden Einsparungspotentials, das durch die niedrigen Kosten für die unwichtigen Dinge des Studentenlebens, wie Essen, entstanden war, fehlte mir etwas, nämlich der soziale Anklang durch halbwegs Gleichgesinnte.
Fast angekommen, aber nur fast
Auch die Aufenthalte im 3., 12. Und 17. Bezirk konnten mich nie so recht glücklich stimmen. Als ich jedoch im Siebten, in Hipsterville, gelandet war, dachte ich, angekommen und einer von den Coolen zu sein – Essen beim La Pausa, saufen im Europa und shoppen in der Neubaugasse. Mein Schnurrbart und meine Meldeadresse hatten mich in den Olymp der Wiener- Hipsteria gehoben.
Damals empfand ich das noch als erstrebenswert, wollte dazugehören und obwohl mir alles sehr aufgesetzt vorkam – ich mir aufgesetzt vorkam – war ich ein Weilchen ganz glücklich. Tief im Inneren wusste ich jedoch, dass ich hier nicht hingehöre. Es sollte etwas zwischen Neubau und Wieden sein – alternativ, offenherzig, natürlich, künstlerisch und halbwegs zentral. Dass das „Zwischen“ auch geographisch interpretierbar wäre, war mir damals noch nicht bewusst.
Home Sweet Home
Zehn Jahre wandelte ich quer durch Wien auf der Suche nach einer neuen Heimat und diese schien kein baldiges Ende zu nehmen. Wie soll denn der Kärntner hier auch jemals zufrieden sein? In der Tat liebe ich die Berge, wandere gerne und möchte, dass meine „Wadln“ schön stramm bleiben. Und wo sollte das besser funktionieren, als in einem der (wortwörtlich) steilsten Bezirke Wiens.
Auf der Suche nach den großen Abenteuern bin ich also im zweitkleinsten Bezirk Wiens gelandet – genauer gesagt im Magdalenengrund oder umgangssprachlich Ratzenstadl. Urban, sehr betonlastig und eine Vielzahl an Stiegen stehen eigentlich im Widerspruch zu einer Wohlfühloase, doch für mich ist der Bezirk die perfekte Mischung aus Erleben und Entspannen.
Leben und Erleben in Mariahilf
Natürlich gilt es zu erwähnen, dass hier in puncto Infrastruktur alles zu finden ist – abgesehen jetzt von Bankomaten, was mich manchmal schon ordentlich auf die Palme gebracht hat. Die Mariahilferstraße, der Naschmarkt, das Haus des Meeres und der Esterhazypark – sind alle wohlbekannt und auch für Bezirksfremde immer wieder eine Anlaufstelle.
Abgesehen von der politischen Couleur und dem Eingang zum Raimundhof ist der Bezirk nicht wirklich grün, obwohl Mariahilf die drittgrößte Spielplatzdichte Wiens aufweist – für mich als Schaukelliebhaber in rauschigen Stunden immer wieder ein Highlight. Aber trotz des sehr urbanen Flairs mag es verwundern, welch eigenartige Ruhe in manchen Teilen des Bezirks vorherrscht. Deshalb gehen mir hier auch nie die Grünflächen ab und wenn ich etwas Action brauche, dann muss ich hier auch nicht lange suchen.
Die ganzen Cafés und Bars wie beispielsweise das Tanzcafe Jenseits, das Monami, das Cafe Jelinek, das Top Kino und das phil empfinde ich als wirklich einzigartig. Sonst findet man in Wien doch sehr häufig Kopien von Kopien. Kulinarisch kommen meiner Meinung nach auch nur wenige Bezirke an die multikulturellen Gaumenfreuden des Sechsten ran – sei es nun der Naschmarkt oder ein geiles Pad Thai im Thai Isaan, mexikanisch im Al Chile oder auch bodenständig beim Gschupften Ferdl.
Mariahilf – mehr als nur ein Bezirk
Was aber Mariahilf wirklich besonders macht, sind nicht etwa die Lokale oder die Architektur und die Infrastruktur – es sind vor allem die Menschen hier. Auch in meiner Nachbarschaft gibt es zwar konservative Leute, doch im Gesamten präsentiert sich der Bezirk als regenbogenfarbenes Herz Wiens. Die LGBTQI– Bewegung findet hier eines ihrer Zentren in der Rosa Lila Villa und auch für die Europride 2019 fiel der Startschuss in Mariahilf.
Und nicht nur in Bezug auf Queere Leute präsentiert sich der Bezirk äußerst tolerant, was wahrscheinlich auch den überdurchschnittlich vielen jungen Bewohnern geschuldet ist. Durch Street Art, Straßenfeste, den Flohmarkt und auch durch die hier lebenden Menschen wirkt der Bezirk rundum bunt – und ich als schräger Vogel mittendrin.
Im Grunde genommen ist es doch unwichtig, in welchem Bezirk du daheim bist, solange du dich wohlfühlst. Denn eigentilch sind es ja erst die 5- Sterne- Bewertungen und das Streben nach Perfektion, die uns in diese Identifikationskrisen treiben.
Du hast noch nicht genug vom 6. Bezirk? Dann gibt’s hier noch ein Video der Stadt Wien:
Titelbild Credits: Shutterstock
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