Du bist traumatisiert? Kein Grund zur Hoffnungslosigkeit. Denn die Positive Psychologie mit ihren Posttraumatischen Wachstums-Theorien hilft dir da gerne wieder raus. Aber nur, wenn du dich selbst aus der Scheiße ziehen und gestärkt daraus hervorgehen kannst. Wenn nicht? Pech gehabt! Denn dann gehörst du einfach nur zu einem der vielen Loser:innen, die es selbst nicht schaffen. As simple as that! Ist die Welt wirklich so Schwarz-Weiß?
Erlernte Hilflosigkeit
Das psychologische Konzept der erlernten Hilflosigkeit zeigt, wie Menschen unter Bedingungen der Machtlosigkeit und Ohnmacht lernen, ihre misslichen Situationen anzunehmen, zu akzeptieren und als normal zu betrachten. Weil sie insgeheim davon ausgehen, dass sie daran ohnehin nichts ändern können. Sie resignieren, sozusagen.
Diese learned helplessnes ist dabei eine Art Grundphänomen. Doch, wie der Psychologe und Begründer der Positiven Psychologe Martin Seligman bemerkt hat, gibt es in diesem Kontext der allgemeinen Hilflosigkeit immer wieder Menschen, die anders sind. Individuen, die sich weigern, angesichts dieser Situation passiv zu bleiben. Diese Ausnahmemenschen ergeben sich nicht den äußeren Umständen. Diese suchen vielmehr weiter nach einem Ausweg aus ihrer Lage. Im Gegensatz zu den anderen, die sich dieser hoffnungslos ergeben.
Die Geburtsstunde der Resilienz
Seligman erklärte sich dieses Phänomen des Widerstands mit individuellen psychischen Eigenschaften wie z.B. Optimismus. Diese Menschen, die sich eben nicht ihrem vermeidlichen Schicksal ergeben, sind, im Gegensatz zu den anderen optimistisch und stecken nicht den Kopf in den Sand. Unter Optimismus versteht Seligman jedoch eine angeborene psychische Fähigkeit, sich vom Unglück nicht unterkriegen zu lassen.
As simple as that! Manche Menschen verfügen ganz einfach über eine Art Gabe. Mithilfe dieser Eigenschaft schaffen sie es, sich widrige Umstände in einer Weise umzugestalten, um sich nicht nur irgendwie daraus herauszuwinden. Nein, diese Optimisten und Optimistinnen sind auch noch in der Lage, aus diesen Situationen, denen andere nur hilflos gegenüberstehen zu lernen und an ihnen zu wachsen. Und genau darum geht es. Dieses Phänomen ist heute unter dem Namen Resilienz bekannt.
Das Douglas-System
2011 veröffentlichte Martin Seligman in der renommierten Harvard Business Review einen Artikel mit dem Titel „Building Resilience“. Eine kleine Geschichte am Anfang seines Textes bietet einen guten Einblick, worum es Seligman genau geht. Darin erzählt er die Story von Walter und Douglas. Knapp auf das wesentliche heruntergebrochen, verlieren beide ihre Jobs. Doch im Gegensatz zu Walter, der sich seiner Niedergeschlagenheit ergibt und sich in seinem Unglück suhlt, entscheidet sich Douglas dafür weiterzumachen, aus seinem Scheitern zu lernen und an dieser Erfahrung zu wachsen. Während Douglas aus seinem Misserfolg etwas lernt und aus seinem Scheitern gestärkt wieder hervorkommt, bricht Walter unter der Last des Misserfolges zusammen.
Fazit: Menschen wie Douglas schaffen es, aus Widrigkeiten Chancen zu machen, Leid in persönliche Siege und Negativität in existenzielle Positivität umzugestalten. Laut Seligman ist es daher möglich, negative Erfahrungen, Gefühle und Gedanken in etwas Positives zu überführen und in Mittel für das persönliche Wachstum zu verwandeln.
Aus negative mach positive
Menschen wie Douglas sind, Seligman zufolge, in der Lage, nach einer Niederlage „mit doppelter Kraft“ wieder zurückzukommen. Und lassen sich auch von einer Pechsträhne oder von belastenden Umständen nicht unterkriegen. Nachdem sie das Negative in eine Form der positiven Bewältigungsressource verwandelt haben, schlagen sie aus den so gewonnen positiven Gefühlen beträchtliches emotionales Kapital. „Wenn jemand trotz negativer Stressfaktoren weitermachen kann, spricht dies nicht dafür, dass er Glück hat, es spricht vielmehr für ein Konzept namens Resilienz.“1, so Michele M. Tugade and Barbara L. Fredrickson, zwei weitere Vertreter:innen der Positiven Psychologie.
Das posttraumatische Wachstum-Syndrom
Die von Martin Seligman begründete Positive Psychologie gab diesem Phänomen den Begriff des posttraumatischen Wachstums (PTW), also ein emotionales inneres Wachstum des Menschen, welches auf äußeren aber auch inneren Widrigkeiten beruht. Im Vergleich zu der schon bekannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zeichnen sich Vertreter und Vertreterinnen der PTW jedoch dadurch aus, dass sie aus ihren Traumen lernen, anstatt daran zu zerbrechen.
Im Vergleich zur Resilienz ist das posttraumatische Wachstum ein spezifisches Konzept, da es sich speziell auf traumatische Ereignisse und Personen bezieht, die nach einem solchen Ereignis nicht nur ins normale Leben zurückgefunden haben (also resilient gegen ein Trauma waren). Sondern die darüber hinaus auch eine größere Wertschätzung dem Leben gegenüber an den Tag legten, eine bewusstere und geistig reichere Existenz, das Gefühl einer Wiedergeburt oder ein stärkeres Bewusstsein, persönliche Authentizität und Besserung erfahren haben. Sie haben das traumatische Ereignis nicht nur einfach so weggesteckt (wie in der Resilienz). Sondern konnten sich daran sogar weiterentwickeln und daran wachsen.
Im Gegensatz zur PTBS geht es der PTW eher darum, die teils traumatischen Ereignisse, die uns widerfahren – im Sinne der Positiven Psychologie – positiv zu sehen und zu versuchen, daran zu wachsen.
Mit PTW sicher durch den Beruf und den Krieg
Dass es bei diesem Modell auch um Gewinn geht, bleibt dabei oft unbemerkt. So arbeiten die Vertreterinnen und Vertreter der Positiven Psychologie (allem voran natürlich Seligman selbst), mit ihrem Produkt (PTW) fest daran, dieses in unsere Arbeitswelt, aber auch in den militärischen Ablauf der Armee zu integrieren.
Es geht ihnen hierbei nachweislich darum, die Fähigkeit der Soldaten und Soldatinnen zu schärfen, sich an traumatisierende Erlebnisse während des Kampfeinsatzes anzupassen, diese schneller zu überwinden und natürlich, nach kurzer Zeit gestärkt, verbessert und noch kampfbereiter zurückzukommen.
Für die Berufswelt gilt dasselbe. Denn eine Organisation, die es schafft, eine Unmenge an Douglase an sich zu binden, wird vermutlich – marktwirtschaftlich gesehen – besser und lukrativer funktionieren, als ein Unternehmen voll von Walters, die chronisch überlastet sind und an ihren Niederlagen nicht wachsen können.
Das Posttraumatische Wachstum in der Kritik
Die wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit dieser PTW-Programme steht jedoch in Kritik. Denn (leider) es gibt keine Beweise dafür, dass all diese Programme der PTW überhaupt funktionieren. Auch der ethische Aspekt wirft Fragen auf: Wollen wir wirklich Soldaten und Soldatinnen haben, die sich schnell von ihren begangenen Grausamkeiten erholen, nur um danach noch um einiges grausamer vorgehen zu können? Wollen wir wirklich resiliente Mitarbetier:innen, die gegen soziale Ungerechtigkeit immunisiert sind und die gesamtgesellschaftlichen Strukturen unter denen alle Menschen zu gleichen Teilen leiden nicht sehen und einfach weiter arbeiten?
Fazit
Unternehmen und das Militär wollen solche Mitarbetier:innen vermutlich schon. Ob das für die Menschen die darunter und damit leben müssen, ist da natürlich eine andere Frage. Das größte Problem bei diesen Ansätzen der PTW ist vor allem das Leugnen der vorherrschenden sozialen Missstände.
Denn nicht immer ist der einzelne Mensch selbst für sein Unglück verantwortlich. Sondern öfter als individuelle Verfehlungen, sind es einfach nur die Umstände, die dazu führen, dass es hoffnungslos ist oder nicht. Denn ein:e Arbeitslose:r ist nicht selbst schuld an seiner oder ihrer Lage – vor allem dann nicht, wenn es immer weniger sinnvolle Jobs gibt.
1Zit.nach. Edgar Cabanas und Eva Illouz (2019): Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht, Seite 189
Titelbild © Unsplash | Fuu J
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