Teresa Präauers köstlicher Satire-Roman: Kochen im falschen Jahrhundert

Das neue Buch der Autorin Teresa Präauer ist ein wahres Meisterwerk der Satire und ein Werk, dass man unbedingt gelesen haben sollte. Selten war ein Roman so genial, wie Kochen im falschen Jahrhundert. Nachgeschmack garantiert!
Kochen, Essen, Dinner: der Wahnsinn unseres Jahrhunderts
Was haben wir gewartet darauf? Ohne es zu wissen, natürlich. Doch endlich ist es so weit! Endlich!!! Der mediale Koch-Hype rund um Jamie Oliver und Co. Die massenhaft produzierten Food-Porn-Dokus, wo sich Semi-Promis durch die Welt verkosten oder man zum Dinner lädt, geladen und bewertet wird. Der ganze Schwachsinn rund um die Inszenierung von Essen wurde endlich literarisch verarbeitet. Und wie! Entstanden ist dabei eine vorzügliche Satire, die ihresgleichen sucht. Seit dem Skandalfilm Das große Fressen (1973) gab es künstlerisch keine so gekonnte Abarbeitung des Themas Essen und Menschsein.
Namenlos mit klassenbedingten Konturen
Die Figuren in Teresa Präauers satirischem Geniestreich Kochen im falschen Jahrhundert bleiben namenlos. „Gastgeber“ und „Gastgeberin“ laden zum Dinner und es kommen „der Ehemann“, „die Ehefrau“ und „der Schweizer“. Später kommen noch zwei Amis, aber das war’s auch schon. Diese Namenlosigkeit ist jedoch nur Vorbotin für das, was folgt.
Miniaturenhafte Rezeptentwürfe, die explizite Nennung eines „dänischen“ Designertisches, natürlich mit dem dazu passenden dänischen Geschirrtuch. Die Titel der, vom Algorithmus ausgekotzten Jazz-Stücke, samt Interpret*innen. Das alles findet den jeweiligen Namen. Wie auch die Orte und Speisen. Namen für die Menschen gibt es keine.
Die Themen, worüber man spricht und vor allem, wie man spricht und welches Wort man verwendet, das alles entspricht einem bestimmten Habitus und Habitat. Sprache und Worte haben Gewicht, und so auch die Namen der Dinge. Dieses Namedropping, das ohne Menschlichkeit auskommt, fungiert als eine Art Formengeber. Eine Form ohne (seelischen) Inhalt, wenn man so will. Präauer entführt uns sprachlich in die Prototypwelt der kontemporären Mittelschicht oder Bourgeoise. Und wie sie das macht, gekonnt, wie es Claude Chabrol nicht besser hinbekommen hätte. Was wir sehen sind Menschen, die namen- und auch konturlos bleiben, aber radikal einer bestimmten soziologischen Form entsprechen wollen. Habitus essen Seele auf, könnte man, mit Anlehnung an Rainer Werner Fassbinder wohl behaupten.
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Teresa Präauer und der Bobo-Blick in den Spiegel
Wenn man Kochen im falschen Jahrhundert liest, dann werden viele sich selbst darin wiederbegegnen. Oder zumindest einen gelungen gezeichneten Blick auf eine Bobo-Kultur bekommen, die allgegenwärtig ist. Teresa Präauers Satire ist wie der Blick in einen Spiegel.
Doch was erkennt man darin? Die Grimasse! Präauer entwirft eine Welt, die uns nur allzu vertraut ist, entfremdet diese, nimmt ihr das Menschliche, die Herzlichkeit, die Wärme, die Tiefe, nur um uns zu zeigen, dass all diese essenziellen Dinge uns selbst schon lange abhandengekommen sind. Denn dieses Gastgeberpärchen, aber auch diese Gäste, das sind wir, die wir uns verzweifelt bemühen einem bestimmten Bild zu entsprechen. Zum Beispiel dem Bild eines Gastgebenden, einer Gastgebender.
Teresa Präauer: Kunst trifft Literatur
Was Teresa Präauer in einfachen Sätzen entwirft, das ist die Idee von Kunst, gekonnt aufs Papier gebracht, in Form von Sprache (die auch selbst wiederum zum Thema wird – wie kann es anders sein?). Jeder und jede, die schon einmal irgendwo geladen war oder selbst eingeladen hat, wird sofort erkennen und erschüttert sein, wie Präauer in eine Welt entführt, die wohlbekannt ist und dennoch sehr irritiert.
Meisterhaft destilliert Präauer die Ess-enzen unserer gegenwärtigen Ess- und Gastkultur und lässt den schieren Horror zurück. Dabei ist nichts bewusst schockierend. Es werden keine Menschen verkocht oder sonst etwas. Alles, was sich hier ereignet, ist im Grunde genommen recht gewöhnlich, langweilig sogar. Zwei Gastgebende, die ihre Probleme schildern, ihre first world problems, wohlgemerkt, von denen die Mittelschicht erkennen wird, dass sie die ihren sind.
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Kochen im falschen Jahrhundert: Pierre Bourdieus Lieblingsbuch
Und was ist das größte Problem der Mittelschicht: doch bitte keine Flecken auf die Hose zu bekommen und sich über weltlichen Kleinkram dermaßen zu echauffieren, als hätte man den Fuß abgehackt bekommen. Man will eine gute Gastgeberin sein, das ist alles. Doch die Träume, die Utopien, das Ideal, das man dabei imaginiert, weichen der Realität.
Der Realität von Menschen, die großartige Gastgebende sein wollen, aber im Grunde komplett unfähig sind. Praktisch eine Anlehnung an die Mittelschicht selbst, die vorbildliche Bürger*innen sein wollen, Nachhaltigkeit und Menschenrechte hochhalten, nur um dann übers Wochenende ans andere Ende der Welt zu jetten. Oder sich mit dem Kauf teurer Klimafreundlichkeit von den unteren Klassen abzugrenzen.
Das Ideal frisst seine Kinder. Politische und gesellschaftliche Verantwortung wird auf dem Altar der Eigenverantwortlichkeit geopfert. Alles ist den Regeln eines Habitats unterworfen. Kompromisslos. Herzlos. Erbarmungslos. Der Soziologe Pierre Bourdieu hätte wahrlich seine Freude an diesem Roman.
Kochen im falschen Jahrhundert: Können, wollen, scheitern
Die Bobos, sie würden gerne die Welt kredenzen. Doch reicht es nur für eine langweilige Quiche Lorraine. Man würde gerne groß auftischen wie ein Jahrhundertkoch, doch alles was man zustande bringt, ist das Öffnen einer Fasche elitären Weines. Aber ja, Geld hat man genug.
Soziologisch mit sehr feiner Klinge seziert Präauer eine ganze Gesellschaftsschicht mit diesem Dinner-Roman, wo es den Gastgebenden so sehr ums Dinner geht, dass klar ist, dass diese Gastgeberschaft nur Stellvertretende ist für eine ganzes Habitat.
Dort lebt man in einer Welt, in der jede*r gerne etwas, ja alles will, vor allem sich zeigen in Form der gesellschaftlichen Distinktion, aber einfach nicht kann. Obwohl das neoliberale Angebot ja durchaus da ist. Doch das Ideal ist zu mächtig! Wir alle scheitern daran. Ob beim Dinner, im Job oder im Leben. Auch die Gespräche, man würde gerne geistreich sein und nach jedem Gespräch verwandelt sein, auf einer nächsten intellektuellen Ebene wiedergeboren werden. Doch alles was es gibt, sind Plattitüden.
Teresa Präauer und das Spiel mit der Oberflächlichkeit
„Ehemann“ und „Ehefrau“ haben ein Kind, das nur der „Säugling“ genannt wird. Keine Namen, nein, das wäre zu menschlich. Die Themen? Man spricht über alles, bleibt aber an der Oberfläche hängen. Das ist unsere Welt, die Oberfläche, wie auch der Philosoph Byung-Chul Han schon festgestellt hat.
Und das ist auch das, was uns Präauer hier gekonnt ins Gesicht wirft. Selten gab es eine so gelungene Satire auf unsere Gesellschaft. Wenn es ein Buch gibt, dass man lesen sollte, um endlich aus dem Irrsinn der Gegenwart wachgerüttelt zu werden und aus unseren zwischenmenschlichen Pseudo-Beziehungen aufzuwachen, dann ist es Teresa Präauers Kochen im falschen Jahrhundert.
In seinem eher unbekannten Essay Von der Gastfreundschaft definiert Jacques Derrida Gastfreundschaft wie folgt: Gastfreundlich ist nicht der, der zu sich eingeladene Gäste freundschaftlich behandelt, sondern jemand, der Fremde bei sich aufnimmt und diese freundschaftlich behandelt. Teresa Präauers Satire-Roman Kochen im falschen Jahrhundert ist dieser Fremde, der irritiert. Aber ihn nicht in sei Sortiment aufzunehmen wäre nicht nur nicht gastfreundlich, sondern auch noch ein großer literarischer Fehler!
Titelbild © Wallstein Verlag
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