Der Streaming-Gigant Netflix hat die Dating-Realityshows für sich entdeckt. Ein mehr als zweifelhaftes aufwärmen der immergleichen Story. Nichtsdestotrotz wagt man sich mit den Too Hot to Handle-Formaten in Bereiche vor, die in Sachen hypersexualisierter Oberflächlichkeit und korrumpierter menschlicher Intimität den Tiefpunkt erreicht haben.
Die Zeit vor Too Hot to Handle Germany: Netflix und der Zauber des Anfangs
Streamingdienste weltweit – den Anfang machte natürlich Netflix – haben nach einer Zeit den Markt mit Highend-Fiction geradezu überschwemmt. Wer heutzutage den Überblick behalten kann, was alleine auf Netflix angeboten wird, dem ist eine überdurchschnittliche Denkleistung nicht abzusprechen. Doch „dem Anfang wohnte ein Zauber inne“, wie Hermann Hesse wohl sagen würde. Und ja, zu Beginn waren die Beiträge von Netflix zur Film- und Serien-Geschichte durchaus beachtlich.
Wir erinnern uns: Im Februar 2013 – also vor zehn Jahren – startete Netflix mit ihrer ersten Eigenproduktion House of Cards. Hollywood-Größe David Fincher führte Regie und Weltklasse Schauspieler*innen wie der zweifache Oscarpreisträger Kevin Spacey (damals noch eine Art schauspielerisches Genie) und die schauspielerisch nicht minder geniale Robin Wright führten uns inhaltlich komplex und erzählerisch genial vor Augen, wie das in der Politik wirklich funktioniert.
Netflix: Der Zauber geht weiter
Die Serie House of Cards war damals in aller Munde und ja, man darf es ruhig sagen, eine Art Revolution in der TV-Welt. Etablierte Studios gefror panisch das Kaki in der Hose. Da war plötzlich ein neuer Player in the Game und der machte es viel besser als man selbst, trotz der jahrzehntelangen Erfahrung. Darauf folgte die Netflix-Serie Orange Ist he New Black, eine weitere bahnbrechende Serie und Netflix wurde eine Art Legendenstatus zuteil.
Es folgten Netflix-Kooperationen mit hochkulturell etablierten und von der Kritik gefeierten Filmemachenden wie zum Beispiel Martin Scorsese, Spike Lee und Jane Campion. Anstatt für Hollywood zu arbeiten, machten diese Regielegenden plötzlich lieber für und auf Netflix ihr Ding. Netflix drang in den Kreis seriöser Kunstschaffender vor.
© Paul Hepper / Netflix
Netflix und Dating-Realityshows ala Too Hot to Handle Germany
Viele orteten eine neue Hoffnung für die Filmbranche in diesen illustren Anfängen. Schnell wurde man diesbezüglich jedoch eines Besseren belehrt. Die Kooperationen mit namhaften Filmgrößen sind für Netflix nicht mehr als symbolische Rosinenstücke. Der Rest des Kuchens besteht aus einem recht minderwertigen Teig. Sieht man sich die Netflix-Landschaft heute an, dominiert dort leider nicht viel mehr, als das Mittelmaß. Bei anderen Streaming-Plattformen ist es da nicht viel anders.
Mit der Produktion mieser Filme und Serien stürzte sich Netflix immer tiefer in die Untiefen serieller Seichtigkeit. Und siehe da, ganz unten angekommen, mischt Netflix mittlerweile auch bei den Dating-Realityshows mit. Neuester Streich: Too hot to Handle – diesmal sogar mit deutschsprachigem Cast. Denn die Ausstrahlung des englischen Originals reicht wohl nicht mehr aus.
Streaminganbieter setzen auf Realityshows
Doch mit diesem Trend ist Netflix natürlich nicht alleine. Prime Video zum Beispiel fokussiert sich in Japan ganz auf das Realityshow-Format. Dort hat man die Big Brother-Formate wieder aufleben lassen. Den Bachelor darf man da natürlich auch nicht vergessen, obwohl man das vielleicht sollte, aber egal.
Doch zurück zu Too Hot to Handle Germany. Das Prinzip ist bekannt: Zehn Singles werden einen Monat lang in eine luxuriöse Villa einquartiert. Erlaubt ist wie immer alles. Na ja, fast alles. Jegliche sexuellen Handlungen sind nämlich verboten. Klar, denn alles dürfen ist ja mehr als fad.
Too Hot to Handle Germany: eine Nummer für 20.000 Euro
Wird man in dieser Big Brother-haften Umgebung, wo alles überwacht wird, bei einer sexuellen Handlung erwischt (Küssen, Masturbieren usw.) wird das potenzielle Preisgeld von 200.000 Euro reduziert. Ein Kuss kostet 3.000 Euro. Sex 20.000 Euro und so weiter.
Innerhalb dieser Rahmenbedingungen entwickeln sich plumpe Annäherungen, vulgäre Verführungen und ein Spiel offensichtlicher Reize – wobei das alles menschlich oberflächlich bleibt. Bezüglich der Verführung würde Jean Baudrillard natürlich widersprechen, denn Verfrühung hat laut diesem immer auch etwas mit verstecken zu tun, mit Schein und Illusion. Doch Too Hot to Handle Germany versteckt rein gar nichts, alles ist offen, direkt, obszön.
Ein „Leck mich am Arsch, du siehst aber gut aus!“ hier. Ein „Wer isst schon jeden Tag gerne dieselbe Pizza.“ dort, und dazwischen lauter gutaussehende Menschen, die gegenseitig ihre Schönheit feiern und ab und zu weitere geistige Grandiositäten droppen. Untermalt von fetten Sounds und den Ausschnitten angesagter Popmusik, aber auch anderen Ausschnitten. Zwischendurch ein „whoow!“ und ein „huuu!“ und viel nackte Haut.
Doch es ist nicht das Grundformat, über das man reden muss, sondern über die zelebrierte Oberflächlichkeit, die im Grunde genommen gefährlich ist.
© Stella Tobiasc / Netflix
Too Hot to Handle Germany: Oberflächlichkeit, tief schmerzend
Es ist natürlich vorhersehbar, aber dennoch sehr beängstigend: Alles wird hier radikal auf Sex reduziert und das natürlich auf eine oberflächliche Weise. Es geht nicht um Intimität oder gar Verbundenheit. Das Intime wird in Too Hot to Handle aus dem einst privaten Raum geholt und nach außen gekehrt. Das Innere ist plötzlich draußen, hat dabei aber allen Zauber verloren. Vor allem den Zauber des Menschlichen, der menschlichen Begegnung.
In und mit dem Too Hot to Handle-Format betreten wir einen sterilen Raum, der in einem seelenlosen Luxus der Architektur – auch jener Architektur der Körper – schimmert. Und ja, es muss mittlerweile genau dieser Luxus zu sehen sein, damit man sich überhaupt etwas zu sehen glaubt. Und die Menschen bewegen sich als kleine Luxusgeschöpfe, wie Michel Houellebeq wohl sagen würde, durch die Szenerie.
Too Hot to Handle: menschliches, unmenschlich?
Und es sind diese Menschen, denen man die Verfehlung vorhalten muss. Denn diese Laiendarsteller*innen sind furchtbar und das in jederlei Hinsicht. Sollte es sich um Darsteller*innen handeln, so ist ihr Spiel eine Zumutung. Es wird aber so getan, als wären es keine Schauspieler*innen. Also gut.
Aber wenn dem wirklich so ist und dies keine Laien sind, sondern echte Menschen, dann sind diese Menschen als Repräsentanten für die Menschheit ebenfalls eine Zumutung. Die Annäherungen, die Dialoge, die Gedanken und Gefühle. Das alles ist dermaßen weit entfernt von der Vorstellung, die man mit einem mündigen und halbwegs intelligenten Menschen verbindet, dass man nur noch staunen kann. Genauso wie auch die Vertreter*innen der Kritischen Theorie oder der Frankfurter Schule nur noch staunen konnten, über die, zur ultimativen Idiotie gesteigerten Produkte der Kulturindustrie. Sind wir das geworden? Hält uns die Serie einen Spiegel vor?
© Paul Hepper / Netflix
Too Hot to Handle Germany: alles auf Sex reduziert
Wie sich die Menschen hier näherkommen und verhalten ist dermaßen oberflächlich und flach inszeniert (und man muss hoffen, dass es wirklich inszeniert ist), dass es nur noch furchtbar ist – aber wir wiederholen uns. Zwischen der etablierten Germanys Next Top Modell-Ästhetik, dem Gepose trainierter und nahezu perfekter Körper, wird alles auf Sex reduziert, dem Sexualtrieb unterworfen.
Von der Porno-Produktionsfirma Brazzers gibt es das Brazzers House-Format, wo alle Darstellenden zusammenkommen und – man erahnt es sicher – wilden Sex haben. Der Unterschied zu Too Hot to Handle ist von der Grundidee nicht klar auszumachen. Außer, dass man bei Brazzers wirklich alles zu sehen bekommt. Aber das sind im Grunde nur mehr Feinheiten, denn es ist beides vom selben Geist beseelt.
Too Hot to Handle Germany: Körpergröße, Brüste und Ärsche
Als könnten Menschen es nicht aushalten, einmal nicht sexuelle Handlungen zu vollziehen, wird in Too Hot to Handle alles dem Sex unterworfen. Die Sexualisierung in Too Hot to Handle ist allgegenwärtig – und dabei nicht einmal gut. Eine dermaßen schamlose Oberflächlichkeit hat man selten wo gesehen. Selbst Gonzo-Pornos haben mehr Niveau und Inhalt, geschweige denn von den klassischen Pornos, wo es immer einen vermeintlichen Klempner gibt, der „sein Rohr verlegen will“. Da gibt es zumindest einen Annäherungs-Dialog – im Vergleich zu den Gesprächen in Too hot to Handle geradezu eine literarische Glanzleistung.
Das Menschliche wurde in Too Hot to Handle-Formaten entweiht, die Tiefe und Intimität geschändet. Auf die Frage, worauf man steht, werden ausschließlich oberflächliche Attribute aufgezählt: Körpergröße, Brüste, Ärsche, Augen – von Persönlichkeit keine Spur. Und auch wenn das von einem dieser Laien einmal erwähnt wird, ist das nichts anderes als Zierwerk, denn bei dem großen Jungen fragt frau sich natürlich, ob da nicht auch noch etwas anderes groß ist – haha.
© Paul Hepper / Netflix
Fazit
Mit den Sex Positive Partys hat man einen Schritt gemacht, Sex, Respekt und Einvernehmlichkeit zu verbinden, Räume zu schaffen, wo wirklich jede*r sein kann, wie er oder sie sein will. Den Raum, den Too Hot to Handle Germany und ähnliche Formate öffnen tut nichts anderes, als die Menschen einem körperlichen Ideal zu unterwerfen und zwischenmenschliche Beziehungen rein auf den Koitus zu reduzieren, auf Sexualität.
Der Skandal-Filmemacher Gaspar Noé hat mit seinem Film Love (2015) versucht, die Filmgenres Porno und Liebesfilm zu fusionieren. Auch wenn der Film seine Schwächen hat, ist ihm ein recht überzeugendes Werk gelungen. Er hat damit den Grundstein gelegt, wie man Sexualität in der Film- und Serienwelt aufwerten und menschlicher darstellen könnte. Anstatt ebenfalls in diese Richtung zu gehen driften Formate wie zum Beispiel Too Hot to Handle Germany immer mehr ins Oberflächliche und Pornesqe ab, ohne sich die Frage zu stellen, was für eine Form des Menschseins sie vermitteln. Man darf nur hoffen, dass die Menschen selbst hier schon weiter sind, als es Too Hot to Handle uns widerspiegeln will.
Titelbild © Paul Hepper / Netflix
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