Kleine Gewohnheiten, welche zu einer Alltagssucht werden können, begleiten wohl jede:n von uns. Für manche gelten sie nur als Gewohnheiten, die gelegentlich lästig werden können. Andere wiederum sehen darin ein gefährliches Potenzial zu einer ausgeprägten Abhängigkeit. Medizinisch gesehen definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sucht als: „Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge.“
Doch auch abseits davon können Menschen durch Gewohnheiten psychologische Abhängigkeiten oder sogar Zwänge entwickeln. Genauer gesagt ist eine Abhängigkeit nicht immer eine Sucht, aber aus einer Abhängigkeit heraus kann sich eine Sucht entwickeln. Wir haben uns für euch sieben Alltagssüchte näher angeschaut und versucht herauszufinden, ab wann aus einer Gewohnheit eine Alltagssucht wird.
1. Kaffee (Koffein): Massenphänomen und Alltagssucht
Wir steigen mit einem Dauerbrenner der Alltagssüchte ein. Und zwar mit dem hochheiligen und fast schon sakralen Kaffee. Das Brühgetränk genießt international schon seit dem 9. Jahrhundert einen Kultstatus. Seitdem die Pflanzengattung Coffea zuerst im tropischen Afrika entstand und später dann von Menschen kultiviert wurde, geht das Ding durch die Decke.
Gerade auch heute in unserer westlichen Leistungsgesellschaft ist Kaffee permanent und allzeit gegenwärtig. Egal ob bei privaten oder beruflich ritualisierten Zusammenhängen. Ob als Inhalt einer peinlichen Wanddekoration in der Küche oder als viel besprochenes Pausenthema. Kaffee ist für viele ein täglicher Begleiter. Die Auseinandersetzung über die richtige Art der Zubereitung grenzt dabei schon an Philosophisches. Von Kaffeemaschinen-Fetischismus bis hin zur Automaten Plörre ist hier alles dabei. Die richtige Bohne, die richtige Brühtemperatur, mit oder ohne Milch?
Das im Kaffee enthaltene Koffein simuliert dabei die Stoffwechselfunktionen im Körper. Dazu wirkt es anregend auf das Nervensystem und ebenso auf die Atmung so wie die Durchblutung der Organe. Ärzte empfehlen bei einem gesunden Erwachsenen, das eine Koffeinmenge von 300 bis 400 mg während eines Tages nicht überschritten werden sollte. Andere Getränke wie Energydrinks können ebenso Koffein enthalten.
Aus der Gewohnheit oder Alltagssucht des Kaffeetrinkens kann sich durchaus eine Koffeinabhängigkeit entwickeln. Doch auch wenn Koffein ein starkes Potenzial in sich birgt, ist es nicht zu vergleichen mit Nervengiften wie Nikotin. Eine stoffliche Abhängigkeit entsteht beim Kaffeekonsum nicht. Für gewöhnlich ist unser Organismus ganz gut in der Lage, uns mitzuteilen, wann wir zu viel Kaffee getrunken haben.
2. Sport: Gibt es eine „gesunde“ Art der Abhängigkeit?
Grundsätzlich ist Sport gut und wichtig für unsere Gesundheit. Es steigert unser Wohlbefinden, gibt uns Energie und sorgt für einen emotionalen Ausgleich durch Einwirkung auf unseren Hormonhaushalt. Seit etlichen Jahren ist sportliche Betätigung innerhalb der Bevölkerung im stetigen Aufwind. Die Fitnessklubkarte in der Geldbörse gehört für viele zu einem Fixum. Auch in der Selbstdarstellung der Onlinewelt sowie in der Übersetzung von Schönheitsidealen spielt sportliche Leistung und Ausdauer eine elementare Rolle.
Hier kann aber das Ganze gerade bei jungen Menschen aber auch negative Effekte mit sich bringen. Denn gerade wenn sich der Körper noch verändert, sollte beim Umgang mit dem Thema Sport eine differenzierte Herangehensweise angestrebt werden – ein Extrembeispiel zeigt sich im Adonis Komplex.
Doch wann wird aus dem gesunden Lieblingshobby zahlreicher Kinder, Jugendlicher und Erwachsener eine gefährliche Alltagssucht? Hierbei steht die Frage nach der psychologischen Abhängigkeit der Sportsucht besonders im Mittelpunkt. Denn so kann sich aus einer Alltagssucht durchaus eine Abhängigkeit entwickeln. Dabei werden die Personen abhängig nach dem Endorphin-Ausstoß und dem Wohlgefühl, welches nach dem Sport eintritt. Der Körper gewöhnt sich dabei an den Rausch und verlangt immer wieder nach demselben Hormoncocktail. Führt man ihm diesen nicht zu, treten Entzugserscheinungen auf.
Bei Sport handelt es sich um eine Alltagssucht, die auf den ersten Blick gesundheitsfördernd und wohltuend wirkt, jedoch auch ein gewisses Potenzial einer dunklen Gefahr in sich birgt. Wichtig ist, dass, sobald man regelmäßig Sport treibt, sich auch Informationen einholt. Und gegebenenfalls auch einen ärztlichen Rat einholt. Ebenso gilt es sich über das richtige Training zu informieren.
3. Nasenspray: Süchtig danach durchatmen zu können
Nasenspray ist ebenso ein Kandidat, der sich bei den Alltagssüchten hartnäckig hält. Hier ist aber eine differenzierte Herangehensweise extrem wichtig. Denn Nasenspray ist ein allgemeingültiger und gängiger Begriff. Welche Präparate mit welchen Inhaltsstoffen, wird bei der Alltagssucht allgemein nicht näher definiert. Das es bei den zahlreichen Präparaten auch sicher einige Kandidaten gibt, welche das Potenzial für eine Sucht haben, ist sicher unumstritten.
Durch das unmittelbare Gefühl, nach dem Gebrauch von Nasenspray frei zu atmen, kann sich aber auch eine psychologische Abhängigkeit bei dieser Alltagssucht einstellen. Dabei gibt es Berichte, dass Betroffene Nasensprays über Monate bis hin zu Jahren verwenden – auch der deutsche Rapper Sido litt unter einer Nasenspraysucht. Dies kann durchaus für die Nasenschleimhaut bleibende Schäden verursachen. Bei Nasenspray als Alltagssucht entwickelt sich alles stets über die psychologische Abhängigkeit. Falls man davon betroffen ist, sollte man dies auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen. Betroffene sind in solchen Situationen gut damit beraten, sich medizinische Hilfe zu suchen.
4. Social Media: Wann wird aus einer Alltagssucht eine Abhängigkeit
Wie viel Bildschirmzeit ist eigentlich zu viel? Eine Frage, die sich in einer immer mehr im digitalen Raum befindlichen Welt wohl zusehends schwerer beantworten lässt. Denn war zu Beginn für viele Social Media ein Zeitvertreib, stellt es heute einen elementaren Teil des Alltags dar, wo oftmals Berufliches mit Privatem und der Selbstdarstellung verschmolzen is.
Die Social Media-Sucht eine moderne, aber doch schon bekannte Alltagssucht dar. Hier gilt es, das eigene Verhalten zu beobachten und differenziert zu analysieren, um eventuelle Schlüsse auf eine Abhängigkeit ziehen zu können – als Gegenbewegung bildet das Digital Detox eine wirksame Methode gegen aufkeimende Social Media-Sucht.
Wichtig dabei ist es zu beobachten, über welchen Zeitraum ein zwanghaftes Verhalten an den Tag gelegt wird und ob es sogar schon in das Chronische übergeht. Die psychologische Abhängigkeit entsteht hierbei ganz klassisch über den Ausstoß von Dopamin. Wir zeigen ein Verhalten, dass unserem Gehirn mit einem Hormoncocktail belohnt. Und so beginnt das Hirn sich einzulernen, immer wieder nach diesem Verhalten zu verlangen.
Da die sozialen Medien mittlerweile sehr gut in unseren Alltag integriert sind, lässt sich oftmals schwer sagen, ob bei dem Verhalten eine negative Auswirkung für den Alltag stattfindet oder noch nicht. Hier sprechen wir über eine Alltagssucht, die sich einschleichen kann. Da es für den Organismus aber keine Auseinandersetzung mit Substanzen gibt, entsteht hierbei keine Sucht nach klassischen Kriterien.
Negativ angelerntes Verhalten lässt sich ebenso durch Training, Kommunikation und Hilfe abtrainieren. Die Betroffenen können dabei aber Entzugserscheinungen erleben, die durchaus mit anderen Abhängigkeiten verglichbar sind. Also vielleicht nebenbei ein Auge auf die eigene Bildschirmzeit haben und gegebenenfalls Selbstkontrolle ausüben.
5. Zucker und die Dauersucht unserer Gesellschaft
Bei Zucker als Alltagssucht handelt es sich um eine Gefahr, welche, wenn sie sich erst mal eingeschlichen hat, schwer kontrollieren lässt. Denn hier ist der sogenannte „Substanz Gebrauch“ kaum mehr vermeidbar. Zucker finden wir nämlich in fast allen Nahrungsmitteln. Egal ob als Laktose, Fructose, Saccharose oder Glucose, Zucker lässt sich kaum komplett vermeiden. Durch die schnelle Übersetzung des Körpers nach dem Konsum in den Blutkreislauf generiert es zudem einen schnellen Belohnungsausstoß im Gehirn. Gerade dieses Unmittelbare macht Zucker als Alltagssucht so perfide.
Umgangssprachlich und allgemein spricht man von einer Zuckersucht, wenn Betroffene es nicht schaffen, obwohl sie es sich vornehmen, auf zuckerreiche Speisen und Süßes zu verzichten. Hier können die Betroffenen eine regelrechte Gier auf das Verbotene entwickeln. Gerade das starke Verlangen und die mangelnde Selbstkontrolle lassen sich mit anderen Suchterkrankungen vergleichen. Bei dem Suchtmechanismus gilt jedoch zu betonen, dass die Dopaminausschüttung im Gehirn nicht nur aufgrund von Zucker als Substanz erfolgt, sondern generell, weil wir das Belohnungssystem aktivieren. Außerdem handelt sich bei dem Dopaminausstoß und einen vergleichsweise geringen im Gegensatz zu dem, den man bei Alkohol oder Drogen erlebt. Daher gilt der Suchtbegriff bei Zucker als umstritten.
Es empfiehlt sich aber den Zuckerkonsum auf ein sinnvolles und geringes Maß selbstkontrolliert zu beschränken. Hierbei kann es von Vorteil sein, wenn man die Selbstkontrolle bei potenziell starken Substanzen wie Zucker bereits von klein auf erlernt.
Insgesamt können wir als Menschen aber Zucker niemals komplett aus dem Weg gehen, dafür ist es in viel zu vielen Nahrungsmitteln. Das sollten wir stets im Hinterkopf behalten, wenn wir uns mal wieder eine süße Köstlichkeit gönnen. Ebenso fungiert Zucker als Teilsucht, die bei vielen anderen Alltagssüchten wie zum Beispiel Schokolade, welche wir uns hier in einem extra Unterpunkt näher anschauen möchten, zum Tragen kommt.
5.1. Schokolade: Die süßte aller Alltagssüchte
Schocki und die oft damit assoziierte Schokoladensucht ist ein viel behandeltes und durchaus ambivalentes Thema. Denn hier prallen zwei Interpretationsweisen und unterschiedliche Thesen aufeinander. Auch wenn sich Menschen darin einig sind, dass Schokolade verführerisch, lecker und glücklich macht, scheiden sich die Geister bei der gewohnheitsmäßigen Abhängigkeit nach dem süßen Gold.
Die einen führen das Fehlen der Selbstkontrolle, wenn es um Schokolade geht, auf psychoaktive Substanzen zurück, die durchaus in dunkler Schokolade enthalten sind. Andere reden von einem psychologischen Effekt, der mit dem kulturellen Stellenwert von Schokolade einhergeht und sich auf keine substanziellen Stoffe zurückzuführen lässt. Das Verbotene, was wir begehren, was uns glücklich macht, aber uns auch gleichzeitig in zu großen Mengen schadet, wird in dieser These als Auslöser für den unwiderstehlichen Drang beschrieben.
Was die These von der substanziellen Abhängigkeit schwächt, ist die Tatsache, dass bereits 2006 Forscher von der University of New South Wales herausfinden konnten, dass die Anteile der psychoaktiven Substanzen in Schokolade dermaßen gering sind, dass sie keinen nachweislichen Wirkungsmechanismus auslösen. Ganz egal wie man sich gegenüber der Schokolade sieht. Ob als willenloser Junkie oder heimlicher Sünder: Wir alle kennen wohl den Effekt, den Schoki auf uns hat. Ein bisschen ist gut, zu viel schadet.
6. Gaming: Alltagssucht in einer sich veränderten Welt
Allein die Debatte rund um die Alltagssucht Gaming hat sich mehrere Jahrzehnte gezogen. Ein Mittelweg war dabei stets schwer zu finden. Auf der einen Seite gab es Befürworter:innen der Gamingkultur, welche die positiven Eigenschaften in den Vordergrund stellten. Auf der anderen Seite waren die Games für Gegner:innen für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich. Dabei handelte es sich aber auch häufig um eine Stellvertreterdebatte, bei der politisches Verständnis und Verantwortung jeweils auf Medien und den popkulturellen Umgang damit ausgelegt wurden.
Unbestritten ist mittlerweile, dass Gaming aus einer Abhängigkeit zu einer handfesten Sucht führen kann. Und das allerspätestens seitdem 2019 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Frage ein Machtwort gesprochen hat. Denn in diesem Jahr wurde die Gamingsucht als offizielle Krankheit bei einer Tagung in Genf bestätigt.
Davor war Gaming bereits seit 2018 unter der Spielsucht erfasst. Das Novum war nun das mit der „Gaming Disorder“ eine offizielle Kategorie für Videospiel-, Computerspiel- oder Online-Spielsucht festgelegt wurde. Laut WHO versteht man eine medizinische Spielsucht unter folgenden Kriterien:
„Spielsucht zeichnet sich durch ein Muster aus anhaltendem oder immer wiederkehrendem Verhalten im Bezug auf Videospiele aus. Sowohl online als auch offline kann sich dies wie folgt zeigen:
- Beeinträchtigte Kontrolle über das eigene Spielverhalten (zum Beispiel in Sachen Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beginn oder Ende des Spielens).
- Zunehmende Priorität für das Spielen, bis zu dem Punkt, an dem Gaming Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten hat.
- Weiterspielen, obwohl bereits negative Konsequenzen auftreten.“
Hier gilt wirklich selbstreflektiert auf sich zu achten und bei Ansätzen von unkontrollierten Verhalten oder zwängen professionelle medizinische Hilfe zu suchen.
7. Shoppen & Konsumsucht
Die letzte Alltagssucht, welche wir für euch auf unserer Liste haben, lässt sich in unserer Gesellschaft oftmals schwer als problematisches Verhalten erkennen. Denn die Kaufsucht lässt sich in der Konsumgesellschaft allzu leicht kaschieren. Im Gegenteil, in einer Welt, in der das Werbenarrativ bereits in die persönliche Kommunikation übergegangen ist und materielle Angeberei als erstrebenswerte Eigenschaft erachtet wird, ist Kaufsucht häufig eine logische Alltagssucht.
Das Zwangsverhalten kann dabei für die Betroffenen jedoch die absolute Hölle sein. Denn wer hier nur an unterforderte Wohlstandsjugendliche denkt, die nichts anderes zu tun haben, außer zu konsumieren, der irrt gewaltig. In einer Konsumgesellschaft kann die Kaufsucht die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und Menschen treffen. Zudem wird Konsum wie erwähnt meist als positiv bewertet.
Offiziell ist die Kaufsucht von der WHO keine anerkannte Krankheit. Jedoch ist es eine Alltagssucht, welche passiv und oft unbemerkt finanziellen so wie psychologischen Schaden im großen Maße anrichtet. Oftmals können betroffene Personen ihr Verhalten ebenso nicht mehr rational reflektieren. Hier gilt es von außen als Freund:in oder Familienmitglied gemeinsam mit der betroffenen Person Hilfe zu suchen. Denn auch wenn Shoppen cool sein kann, sobald sich daraus eine Alltagsucht entwickelt, dann gehts schnell bergab. Also dass nächste Mal vielleicht genauer hinhören, wen ein:e Freund:in Konsum als persönliche Freiheit deklariert.
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