Interview mit DJ und Produzent UMEK: „Lasst euch nicht von der Industrie beeinflussen“

Seit über zwei Jahrzenten bewegt er sich bereits in der Technoszene. 1993 begann seine Reise und seitdem prägt der DJ und Produzent UMEK mit seinem Schaffen ein gesamtes Genre. Eine Ikone des Technos, ein Urgestein, wenn man so möchte, das nicht zu altern scheint und noch lange nicht gedenkt aufzuhören. Denn es gibt noch genug zu tun. Wir haben UMEK interviewt und ihn gefragt, welche Ziele er nach einer so steilen Karriere überhaupt noch hat, was die größten Unterschiede zwischen 1993 und heute sind und was Produzenten und DJs für ihre eigene Laufbahn wissen sollten.
Es gibt wohl weitaus schwierigere Interviews als jenes mit UMEK. Denn so viel hat er zu erzählen. Und zugleich so bodenständig und leicht zugänglich ist der DJ und Produzent. Selbst als langjähriger Teilnehmer dieser Szene und als Interviewer zahlreicher Artists bin ich noch beeindruckt von dem, was UMEK zu erzählen hat. Und das alles ohne Fragen vorab zu klären oder sich darauf vorzubereiten. Obwohl das genau das ist, was der erfahrene Artist trotz seiner langjährigen Tätigkeit eigentlich gerne macht – entgegen den Erwartungen vieler.
Club oder Studio: Musik muss man fühlen
„Ich plane meine nächsten Schritte sehr sorgfältig. Ich bin eine Person, der es schwerfällt, sich einfach treiben zu lassen.“ Sei es im Studio oder auch auf einem Live-Event. Doch zwischen den zwei Welten gibt es einen eklatanten Unterschied, den er später noch erklärt. Im Club jedenfalls erscheint UMEK immer bestens vorbereitet – ein Vollprofi eben.
„Ich checke immer ab, was gerade musikalisch abgeht. Was gut ankommt. Was funktioniert. Und bereite mich auch dementsprechend auf Gigs vor. Beim Gig schaue ich wiederum, wie die einzelnen Tracks bei der Crowd ankommen. Und manchmal funktioniert ein Track so gar nicht, obwohl er mir richtig gut gefällt. Dann spiele ich ihn nicht mehr, ganz einfach – also zumindest nicht mehr bei einem Gig. Sondern nur für mich, weil es eben nicht in den Club passt.“
Das Studium der Crowd liegt UMEK sehr am Herzen. Denn andere Producer und Musiker:innen beeinflussen ihn nicht mehr maßgeblich. Es ist die tanzende Menge, die ihn inspiriert.
„Eigentlich erlebe ich keine bewusste Beeinflussung mehr durch DJs und Artists. Ich werde vom Dancefloor beeinflusst. Ich spiele bei Gigs zwar Musik anderer Künstler und mein Hirn bekommt bei jedem Mal mehrere Stunden Musik und Sound ab. Doch es ist nicht so, dass ich ins Studio gehe, mir andere Producer anhöre und schaue, ob ich Ähnliches produzieren kann.“
Vom Studio und verworfenen Plänen
Natürlich geht UMEK seinem Naturell entsprechend auch mit einem Plan ins Studio. Aber dieser hängt einerseits nicht von anderen Artists ab und andererseits verwirft er diesen wieder – nicht ganz freiwillig. „Manchmal gehe ich im kompletten Darkmode ins Studio und es kommt am Ende der Produktion das gefühlsmäßig komplette Gegenteil dabei raus. Es ist eben ein Prozess. Musik zu machen, unterliegt einer Dynamik. Ich weiß in Wirklichkeit nie, was passiert, wenn ich ins Studio gehe. Obwohl ich all diese Pläne habe.“
Ihm ist nur eines besonders wichtig. Und das gilt seines Erachtens für die gesamte Musik. „Es spielt keine Rolle, welchen Stil sie hat. Sie muss Vergnügen bereiten. Sie muss bewegen. Oder muss berühren. Musik muss die Leute glücklich macht. Ob minimales, aufwändiges oder eben auch nur ein einzelner Ton – solange es ankommt, ist es richtig und ist es gut. Das ist die Kunst.“
1993 VS 2021: War im Techno und der elektronischen Musik früher alles besser?
Natürlich ändern sich die Dinge mit der Zeit. So ist es eben auch in der Musik. Aber wie in vielen anderen Bereichen neigen die Leute auch bei Techno dazu zu sagen, dass die heutige Zeit nicht mehr vergleichbar wäre mit damals. In Sachen Flair, Realness, Spirit, aber auch im musikalischen Schaffen. UMEK sieht das anders und nennt auch mehrere Gründe dafür.
„Für mich hat sich so ziemlich alles über diese mehr als 20 Jahre verändert – zumindest zu 90 Prozent. Ich erinnere mich noch an die Clubs früher. Schlechte Technik. Schlechte Sound-Systeme. Seltsame Dancefloors. Die Architektur der Clubs war unvorteilhaft. Heute haben wir perfekt durchgeplante Clubs, von den Räumlichkeiten bis zur Technik. Die Akustik ist perfekt ausbalanciert. Die Sound-Systeme sind auf einem wahnsinnig hohen Niveau. Und es gibt aufwändige Lichtshows. Auch die Art, wie wir dort die Musik spielen, hat sich sehr verändert. Früher nur Vinyl, passiert heutzutage vieles digital.“
Aber da gibt es eben noch diese zehn Prozent, die sich laut dem DJ und Produzenten nicht verändert haben. Etwas, das all die Jahre gleichblieb. „Die Hauptsache des Ganzen hat sich nie wirklich geändert. Wir konsumieren die Musik nach wie vor mit unseren Ohren. Wir fühlen sie. Das war 1993 so. Und das ist eben auch heute noch so.“ Diese Ansicht teilen aber nicht alle aus der Szene mit ihm, wie UMEK auch immer wieder zu hören bekommt. Solchen Aussagen hat er ebenso etwas zu entgegnen.
„Für mich ist es ganz einfach – da sind noch immer zahlreiche Menschen, die das erste Mal auf so eine Party gehen und geflasht sind. Die lachenden Gesichter, während sie eine großartige Zeit haben, die Musik, die Emotionen, die uns durchfließen, wenn wir Musik konsumieren. Vor allem so eine Musik.“
Der große Unterschied als Produzent: „Lasst euch nicht von der Industrie beeinflussen“
„Analog oder digital, was davon ist besser?“, frage ich UMEK. Immerhin begann er in einer Zeit, in der das Digitale noch reine Zukunftsmusik war. Er hatte keine Wahl, doch mittlerweile kann er sich aussuchen, womit er produziert. „Jetzt bin ich komplett digital. Ich habe beinahe alles verkauft – 99,5 Prozent meines analogen Equipments. Während meiner Karriere hatte ich über 50 verschiedene Synthesizer.“ Aber auch ihm fiel es nicht unbedingt leicht, gleich von Beginn an auf den digitalen Zug aufzuspringen.
„Ich habe noch länger nur mit Sequenzern gearbeitet. Mit meinem MPC60, ganz ohne Computer. Nur ich, der Magie mit den Fingern und dem Geist erzeugt. Aber dann habe auch ich einen Wandel durchgemacht. Ich wurde ganz digital. Es gab schon auch eine Zeit, als die digitalen Mittel nicht wirklich gut waren – vor allem nicht so gut wie heute.“
© Kimi95 at Italian Wikipedia., CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Nostalgie kann zwar etwas Schönes sein, doch ist sie nicht immer sinnvoll. Vor allem, wenn Nostalgie die Arbeit erschwert. So sieht es UMEK in Sachen analoger und digitaler Produktionen. „Grundsätzlich ist es heute viel leichter, Musik zu machen, weil der Zugang durch Tutorials und das Internet es viel leichter macht. Du musst schon sehr faul sein, wenn du es trotz Interesse nicht schaffst, elektronische Musik zu machen.“
Aber auch beim Equipment und der Technik sieht er große Vorteile. „Heute musst du nur einen Computer kaufen und ein paar Plugins und schon bist du bereit, Musik zu produzieren. Das ist das Geile an der heutigen Zeit. Für den alten Style brauchst du viel Geld, um dir ein Studio leisten zu können.“
Der Wandel in der Musikindustrie
„Heute gibt es viel mehr Menschen, die Musik machen können. Darum ist es umso schwieriger, den Durchbruch zu schaffen. Da gibt’s viel Lärm. Die Leute fühlen sich verloren in der Masse. Für mich ist es halt einfach, weil ich schon so lange im Geschäft bin.“ Aber vor dem Erfolg braucht es sowieso erstmal gute Musik. Hier warnt UMEK vor der Industrie, denn natürlich hat diese das Ziel, Geld zu verdienen.
„Ich möchte mich auch mit einem Tipp an Producer richten. Wenn du gute Musik machen möchtest, brauchst du keine teure Hardware – spart es euch. Es ist nur deine Ausrüstung. Du kannst deine Musik mit komplizierter Technik machen – oder eben mit einfacher beziehungsweise mit digitalen Plugins. Das einzig Entscheidende ist, dass du dein Equipment kennst. Lasst euch nicht von Unternehmen beeinflussen, immer die neueste Technik zu kaufen. Denn es ändert nichts an deiner Musik. Es geht nicht darum, welches Equipment du nutzt, sondern das Wie ist entscheidend. “
Mit mehr als 700 Track und ungefähr 150 EPs weiß dieser Mann auf alle Fälle, wovon er spricht. Zudem hat er den Wandel über fast 30 Jahre mitgemacht und kennt die Vor- und Nachteile der jeweiligen Technik. „Früher war die Musik viel einfacher aufgebaut, als es das heute ist.“ Dies meint UMEK keineswegs wertend.
Von Vorteilen und Nachteilen
„Musik, die ich heute mache, hat 50-100 Channels. Damals waren es gerade einmal 24 Kanäle. Es wurde live aufgezeichnet. Das Arrangement hatte ich mit meinen Händen geschaffen. Es war nicht so detailliert, wie es heute ist. Ganz speziell der Techno. Ich sag nicht, dass es heute keinen guten Techno mehr gibt, der auf wenigen Kanälen aufbaut. Denn den gibt es.“
Es hat alles seine guten und schlechten Seiten. Die aufwändigeren Arrangements zollen nämlich auch ihren Tribut. „Früher brauchte die Produktion von Tracks nicht so lange. Damals konnte ich teilweise bis zu 4 Tracks an einem Tag machen. Heute brauche ich für einen einzigen Track manchmal eine ganze Woche. Natürlich liegt es auch an meinem Stil, der weitaus komplexer als früher ist.“
Corona und die Schockstarre einer ganzen Szene
Budapest und Wien – zwei richtig fette Gigs von UMEK. Doch das war davor lange nicht mehr möglich – die ganze Welt war im Würgegriff der Pandemie. Die Nachtclubs und die elektronische Szene traf es besonders hart. Routine brach weg, Vergnügen war verboten, das Leben stand still. „Für mich war es eine wahnsinnige Umstellung. Am Wochenende fielen natürlich die live Gigs weg. Unter der Woche war es zwar wie immer, ich ging ins Studio, habe produziert, doch es fehlte etwas Essenzielles.“
Umek im Club Exil © Tim König
UMEK bezieht seine Inspiration wie bereits erwähnt nicht mehr von anderen Musiker:innen. Sondern von der Masse, die in den Clubs die Hüften schwingt. „Es hat mir sehr gefehlt, die Crowd zu spüren, mit ihr zu feiern, sie glücklich zu sehen.“ Nach anfänglicher Angst über das, was die Zukunft bringt, begann UMEK das beste aus der Situation zu machen. Entspannung, Abkühlen, Kraft tanken und außerdem veranstaltete er ein Coaching, um jungen Producern etwas auf ihren Weg mitzugeben. Aufgrund seiner vielen Projekte brach für UMEK glücklicherweise nicht alles weg. Mit seinem Label 1605 und einem weiteren Projekt, bei dem er sich engagiert, nämlich Viberate blieb genug zu tun.
Das Label 1605: die Ziele, die Zukunft und eine geplante Entwicklung
UMEK hatte damals sein Label 1605 begonnen, um die eigene Musik zu veröffentlichen. Doch mit den Jahren entwickelte es sich zu etwas Großem. „Ich hatte immer den Plan, andere Artists unter Vertrag zu nehmen, sobald das Label läuft.“ Dabei geht er aber auch sehr akribisch vor und setzt vielmehr auf Qualität als auf Quantität. „Ich suche immer nach neuen Künstler:innen. Doch ich schaue mir die Artists immer sehr genau an, bei denen ich Interesse habe, sie unter Vertrag zu nehmen.“
Es ist aber nicht immer leicht, denn wie UMEK anmerkt, sind viele der interessanten Artists bereits bei einem Label untergebracht. Deshalb gilt es, neue Gesichter zu finden. Mit Sam Wolfe und Mha Iri hat er solche gefunden. Zwei großartige Artists, die das strenge Anforderungsprofil von UMEK erfüllen konnten.
„Ich checke immer ab, wie sich potenzielle Künstler:innen im Club präsentieren. Außerdem schaue ich mir auch ihr Social Media an, weil es viel über die Artists aussagt. Versteht mich nicht falsch. Das wichtigste ist gute Musik. Aber man kann gute Musik machen und sie über ein schlechtes Label oder mäßige Präsentation vermarkten, dann passiert nichts. Ich signe nur Artists, dich sich auch bemühen.“
Wo geht es mit dem Label 1605 hin?
Mittlerweile gibt es das Label schon seit 10 Jahren. Die Ziele sind jedoch die gleichen wie früher – gute Künstler:innen, gute Musik, gute Promotion. „Früher war es nur ein bisschen lockerer. Ich habe nicht viel über soziale Medien oder über die Modalitäten der Releases nachgedacht. Heutzutage bin ich sehr vorsichtig, wann und wie ich veröffentliche.“
Wie genau es mit dem Label weitergeht, sollte UMEK nicht mehr aktiv sein, ist noch nicht ganz sicher. „Wenn ich als DJ aufhöre, dann endet vielleicht auch das Label. Oder ich gebe es an jemanden, dem ich es anvertrauen möchte. Aber eigentlich ist das Label ja etwas sehr Persönliches. 1605 ist ja auch mein Geburtsdatum. Ich bin am 16. Mai geboren.“ Bis dahin sieht er aber seine Mission weiterhin darin, mit seiner Bekanntheit die Aufmerksamkeit auf junge DJs und Producer zu ziehen.
Viberate: Ein Projekt für Künstler:innen, Festivals und Labels
„Viberate ist eine musikalische Datenbank mit dem Fokus auf Live-Gigs. Dort teilen wir eine Menge an Informationen, die die Entscheidungsfindung für alle Parteien erleichtern. Es fungiert als zentrale Stelle zur Analyse. Es zeigt, wo Künstler:innen gut performen und wo sie Defizite haben.“ UMEK ist zwar der Meinung, dass Kunst und Musik nicht wirklich in Zahlen wiedergegeben werden kann. Doch die Hintergründe, das Drumherum, die Fakten bilden zusammen mit der Musik und den Gefühlen, die diese vermittelt, eine gute Basis für Entscheidungen von Bookings und Gigs. Mehr Informationen dazu findet ihr auf viberate.com
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