Dark Data: Wie deine ungenutzten Daten die Umwelt belasten

Ein Foto hier. Ein Selfie da. Chatverläufe, die rund 10 Jahre zurückgehen… Wir produzieren täglich jede Menge Daten, die wir für die Nachwelt einfach in der Cloud speichern. Woran wir dabei nicht denken: Die Cloud ist mit einem Rechenzentrum verbunden. Dieses frisst reichlich Strom und Energie. Und so entstehen in der Cloud Datengräber von Privatpersonen und Unternehmen, die sich nie wieder jemand anschaut. Diese ungenutzten Daten alias Dark Data belasten unsere Umwelt stark. Das Ausmaß ist gewaltig. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Lösung so einfach wäre: Einfach mal löschen.
„iCloud Speicher ist voll. Fotos, Videos und iCloud Drive werden nicht mehr aktualisiert.“ Vielen von uns ist diese Fehlermeldung bekannt. Und die meisten klicken früher oder später auf „Speicher erweitern“. Nur die wenigsten haben wirklich Lust, die Fotos und Videos der letzten Jahre zu durchforsten und sich von den liebgewonnenen Erinnerungen (die sich keiner jemals wieder anschaut) zu trennen.
Diese „Man weiß ja nie, wenn man das noch einmal brauchen könnte“-Mentalität zeichnet uns allerdings nicht nur als Privatpersonen, sondern auch als Unternehmen aus. So archivieren Unternehmen und Privatpersonen jährlich Unmengen an Daten in Clouds – ohne darüber nachzudenken, dass auch diese Clouds mit einem Rechenzentrum verbunden sind, das gekühlt und mit Energie versorgt werden muss.
Laut dem Technologiekonzern Fujitsu haben Rechenzentren mit rund 45 Prozent einen hohen Anteil am Gesamtenergieverbrauch der IT eines Unternehmens. Das amerikanische Unternehmen Veritas Technologies gab in einer Presseaussendung aus dem Jahr 2020 an, dass auf diesem Weg jährlich rund 6,4 Mio. Tonnen CO₂ unnötigerweise in die Atmosphäre gepumpt werden.
Dark Data: Die Cloud als Daten-Friedhof
Warum unnötigerweise? Ähnlich wie bei Privatpersonen haben auch Unternehmen oft gar keine Übersicht, was überhaupt alles in der Cloud gespeichert ist. Laut Veritas Technologies kennen im Durchschnitt 52 Prozent der Verantwortlichen in den Unternehmen weder den Inhalt noch den Wert der Daten in der Cloud.
Dabei handelt es sich meistens um Dokumente, die von den Firmen an den Speicherorten abgelegt und in Vergessenheit geraten sind. Mutmaßlich könnte ein Großteil dieser Daten gelöscht und so wieder Speicher freigeräumt werden. Während die Kosten für den Erhalt von sogenannter Dark Data durchaus ein Thema für Unternehmen sind, werden die ökologischen Kosten jedoch geflissentlich ignoriert. Dabei prognostiziert Veritas Technologies, dass die weltweit gespeicherte Datenmenge von 33 Mrd. im Jahr 2018 bis 2025 auf 175 Mrd. ansteigen wird.
Digitales Ausmisten
Naheliegend, aber doch für viele so fern. Während Gen Z brav auf „Fridays for Future“-Streiks geht, sie ihren Take-Away-Kaffee im mitgebrachten, wiederverwendbaren Becher konsumieren und bei der Flugbuchung für ihr Gewissen ein paar Euro mehr bezahlen, um den ökologischen Fußabdruck zu kompensieren, lassen wir alle völlig außer Acht, dass wir doch einfach einmal unsere Smartphones ausmisten. Oder auch, dass wir alle ungelesenen Mails in unserem Spam-Postfach, alte Chats in Messenger-Diensten sowie Bilder und Videos löschen könnten, die es nicht in unser Insta-Feed geschafft haben – und es auch als #tbt nie werden.
Denn laut dem Mobilfunk-Anbieter Vodafone produzieren alle Cloud-Nutzer in Deutschland, die je 1.000 Fotos in Clouds speichern, jährlich gemeinsam rund 11.000 Tonnen CO₂. Das entspricht etwa der Menge, die durch 87.000 Flüge von Hamburg nach München entstehen! Dazu kommen weitere 291 Tonnen CO₂-Emissionen durch E-Mails. Und 3.758 Tonnen durch Messenger-Daten in Clouds. In Österreich sieht es nicht besser aus: Laut VCÖ hat Österreich 2020 pro Kopf fast doppelt so viele Treibhausgase wie der globale Durchschnitt verursacht.
Cloud-Anbieter in der Verantwortung, Dark Data zu reduzieren
Nicht nur jede:r einzelne kann durch das Löschen von Daten einen Beitrag für die Umwelt leisten. Privatpersonen als auch Unternehmen tragen gleichermaßen Verantwortung. Cloud-Anbieter müssen Nachhaltigkeit immer mehr in ihre Geschäftsstrategien integrieren. Fujitsu beispielsweise nutzt seine Erfahrung bei der Messung des individuellen Ausstoßes an Treibhausgasen zur Identifizierung von Optimierungsmöglichkeiten. Diese zielen nicht nur auf Einsparungen bei den Emissionen, sondern auch bei den Betriebskosten ab.
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„Wesentlich dafür sind vor allem die Standardisierung und Automatisierung von Prozessen“, so Wilhelm Petersmann, Geschäftsführer Fujitsu Österreich und Schweiz. Auch bei der Energieversorgung der Rechenzentren setzt Fujitsu auf nachhaltige Alternativen: So nutzen sie etwa die Abwärme der Rechenzentren für die Klimatisierung. Zudem decken sie den Strombedarf durch erneuerbare Energien.
Cloud-Anbieter sind sich bei Dark Data der Verantwortung bewusst
Amazon Web Services (AWS), einer der weltweit führenden Anbieter von Cloud-Diensten, hat es sich selbst zum Ziel gesetzt, bis 2040 Netto-Null-CO2-Emissionen in seinen Betrieben zu erreichen. „Zudem sind wir auf dem besten Weg, unseren Rechenzentrums-Betrieb bei Amazon Web Services bis 2025 mit 100 Prozent erneuerbarer Energie zu versorgen – fünf Jahre vor unserem ursprünglichen Ziel von 2030“, berichtet Constantin Gonzalez, Principal Solutions Architect bei AWS.
Um den Betrieb nachhaltiger zu gestalten, setzt man bei Amazon unter anderem auf den Einkauf von erneuerbaren Energien und die effiziente Nutzung der AWS Infrastruktur, z.B. durch bessere Auslastung der Server. „Außerdem entfernen wir Kohlendioxid-Emissionen aus unserer Lieferkette, indirekte Emissionen im Zusammenhang mit dem Bau von Rechenzentren und der Herstellung von Hardware. Wir nutzen beispielsweise recycelte Produkte aus der Industrie, etwa Eisen und Stahl aus der Fertigung, um Kohlendioxid-intensive Materialien in der Konstruktion von Rechenzentren zu ersetzen“, erzählt Gonzalez.
Darüber hinaus ist auch die Kühlung der Rechenzentren und der damit verbundene Wasserverbrauch ein wichtiger Faktor. „Hierfür verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem sowohl der Energie- als auch der Wasserverbrauch in unseren Rechenzentren reduziert werden. Auf diesem ganzheitlichen Ansatz ruht auch unsere Strategie zur Wassernutzung für jede unserer AWS Regionen – angefangen bei der Untersuchung von Klimagegebenheiten, über die lokale Wasserverwaltung und -verfügbarkeit, bis hin zu Optionen, die Nutzung von Trinkwasser zu vermeiden“, so Gonzalez.
Datenhoheit und Überblick zurückgewinnen
Und was können die Unternehmen tun, welche die Cloud-Dienste nutzen? Hier sind die Cloud-Anbieter gefordert. Diese geben zum Teil ihren Kunden Tools und Möglichkeiten in die Hand, damit diese den Überblick über ihre Daten gar nicht erst verlieren. Und zugleich gewinnen diese die Hoheit über ihre Daten zurück. Bei AWS beispielsweise gibt es seit März 2022 das AWS Customer Carbon Footprint Tool. Mit dem können Kunden die Umweltauswirkungen ihrer AWS-Workloads berechnen.
„Dieses neue Werkzeug verwendet leicht verständliche Datenvisualisierungen, um Kunden ihre historischen Kohlenstoffemissionen zu zeigen, Emissionstrends im Zuge der Entwicklung ihrer AWS-Nutzung zu bewerten, die voraussichtlichen Kohlenstoffemissionen zu schätzen, die sie durch die Nutzung von AWS anstelle eines lokalen Rechenzentrums vermieden haben, und die prognostizierten Emissionen auf der Grundlage der aktuellen Nutzung zu überprüfen“, erklärt Constantin Gonzalez.
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Dazu kommen weitere Tools. Mit diesen können Kunden wenig verwendete Daten – also Dark Data – automatisch und kostenlos in weniger aufwändige und damit auch Energie sparende Speicherebenen verlagern oder nach einer festgelegten Aufbewahrungszeit automatisch löschen. Auch die Beratung der Kunden und das Geben von Empfehlungen hinsichtlich der Schaffung einer nachhaltigen Architektur können helfen, weniger Black Data zu produzieren.
Fujitsu auf der anderen Seite ist Mitglied der Climate Savers Computing Initiative. Diese Initiative bringt Industrie, Verbraucher und Umweltschutzorganisationen zusammen, um die Energieeffizienz von Computern und Servern signifikant zu verbessern. „Als Mitglied verpflichtet sich Fujitsu, Produkte zu entwickeln und anzubieten, die Energieeffizienzstandards einhalten oder übertreffen“, so Wilhelm Petersmann.
Fluch und Segen
Während die Digitalisierung ganz klar Schattenseiten für die Umwelt mit sich bringt, birgt sie gleichzeitig auch jede Menge neue Chancen. Beispielsweise, um unsere Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Erst im März 2022 schlug die Europäische Kommission im Rahmen des „Green Deals“ neue Vorschriften vor. Diese soll fast alle physischen Waren auf dem EU-Markt während ihres gesamten Lebenszyklus umweltfreundlicher, kreislauffähiger und energieeffizienter machen.
Dabei sollen unter anderem produktspezifische Informationsanforderungen dafür sorgen, dass die Umweltauswirkungen der Produkte klar erkennbar sind. In Hinblick auf die Ressourcenknappheit ein wichtiger Schritt. Damit diese Produkte leichter repariert oder recycelt und bedenkliche Stoffe entlang der Lieferkette zurückverfolgt werden können, sollen sie darüber hinaus digitale Produktpässe haben.
Das hört sich so ganz sinnvoll an. Vor dem Hintergrund von Black Data jedoch bleibt nur zu hoffen übrig, dass diese digitalen Produktpässe nicht auch eines Tages in der Cloud – in einem der unzähligen Datengräber – landen. Denn sowohl für Privatpersonen als auch für Cloud-Anbieter und Unternehmen gibt es also mehr als genug Möglichkeiten, den Bergen an Datenmüll und der Dark Data Einhalt zu gebieten. Ein erster Schritt könnte sein, sich diesem „unsichtbaren“ Müll bewusst zu werden und den Kampf dagegen – sei er auch noch so mühselig – aktiv voranzutreiben. Also los – jetzt geht’s ans Löschen.
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