Das Phänomen des Prosumer kann durchaus als Ermächtigung interpretiert werden. Doch diesen als mündigen Konsumenten zu betiteln ist im Grunde nur ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit des Staates, ein für alle Menschen gleich lebenswertes und faires Umfeld zu gestalten. Denn würde von den gesetzlichen Rahmenbedingungen her alles passen, bräuchte es ja keine mündigen Konsumenten mehr. Denn Firmen könnten dann gar keine moralischen Verfehlungen mehr begehen.
Prosumer – eine Begriffserklärung
Das Wort Prosumer setzt sich aus den englischen Worten producer (Produzent) und consumer (Konsument) zusammen. Ein produzierender Konsument, wenn man so will. Der Begriff Prosumer geht auf den US-amerikanischen Futurologe Alvin Toffler zurück. Dieser war bekannt für seine Arbeiten zur Digitalen Revolution und Technologischen Singularität.
In seinem Buch The Third Wave (Die dritte Welle) aus dem Jahre 1980 führt Toffler das Wort zum ersten Mal ein. Er bezeichnet damit ursprünglich Menschen, die zugleich Konsumenten und Produzenten des von ihnen verwendeten Produkts sind. Als iPhone Verwender war Steve Jobs, als dessen Produzent und Erfinder, der Parade-Prosumer schlechthin.
Obwohl der Aspekt des globalen Weiterverkaufs und der weltweiten Vermarktung des hergestellten Produkts, von Toffler wohl außen vor gelassen worden wäre. Denn laut ihm war der Prosumer eine Person, die ein Produkt oder eine Dienstleistung erzeugt und entwirft, um sie für den persönlichen Gebrauch zu verwenden. Dass es aufgrund der neoliberalen Wirtschaftsideologie zu einer darüber hinaus gehenden Anwendung dieser self-made Produkte kam und die Prosumers ihre Produkte auch verkaufen, ist jedoch eine logische Entwicklung.
Prosumer im digitalen Zeitalter
Seit dem Ende der 2000er Jahre wird der Begriff Prosumer auch im Zusammenhang mit dem Phänomen des User-Generated-Content im Internet verwendet. Mit der Entwicklung und Verbreitung der sozialen Netzwerke sind die Konsument:innen der Informationen im Web teils auch deren Produzent:innen. Wenn man zum Beispiel das GIF hernimmt, wird klar, dass die Internet-Community Inhalte nicht nur konsumiert, sondern auch herstellt. Oftmals für das eigene Vergnügen.
Seit Mitte der 2010er Jahre wird das Wort Prosumer auch verstärkt in der Energiewirtschaft genutzt. Es bezieht sich auf Energieverbraucher:innen, die z. B. selbst Elektrizität produzieren und sich damit zum Teil selbst versorgen. Besitzer:innen von Solaranlagen wären da ein gutes Beispiel.
Diesbezüglich wird auch oft von Prosumage gesprochen (engl. producer, consumer und storage). Hauptsächlich dann, wenn zur Erhöhung des Eigenverbrauchsanteils auf zusätzliche Energiespeicher zurückgegriffen wird. Das wären dann an die Solaranlagen gekoppelten Batterien.
Der mündige postmoderne Konsument
Die Prosumer sind somit Menschen, die sich bewusst mit der Konsumwelt um sich herum befassen. Sie sind Verbraucher:innen, die, im Vergleich zum/zur durchschnittlichen Endverbraucher:in, professionellere Ansprüche an ein bestimmtes Produkt stellen. Also ein Produkt mit einer gewissen professionellen Ausprägung erwarten. Sich darüber hinaus aber auch mit Themen wie Nachhaltigkeit usw. beschäftigen. Ein mündiger Konsument, eine mündige Konsumentin, der/die sich mit den Produkten und deren Hintergrundgeschichten auskennt und sich nicht jeden billigen Schrott andrehen lässt.
Der Prosumer ist in diesem Sinne also jemand, der den Konsum kritisch hinterfragt und überdenkt. Durch bewussten Konsum soll so auf die Herstellungsbedingungen von Produkten Einfluss genommen werden. Die Prosumer, in diesem Sinne echte role models.
Staaten lehnen sich zurück – die Ohnmacht der Prosumer
Da man mit dem Phänomen des Prosumers angenommen hat – bewusst oder unbewusst –, die Konsumierenden seien nun mündig und würden schon wissen, fingen die Staaten der ersten Welt an, sich immer mehr und mehr aus den Bereichen von Industrie und Wirtschaft zurückzuziehen. Oder wie der Philosoph Robert Pfaller in seinem neuen Buch Zwei Enthüllungen über die Scham schreibt:
„Als sich ab Mitte der 1980er Jahre die politische Gestaltungskraft westlicher Staaten im Schwinden befand und diese nicht mehr in der Lage oder gewillt schienen, die großen Konzerne auch nur in den elementarsten Fragen zu lenken, entstand die Hoffnung, die Konsumenten könnten dies an ihrer Stelle leisten.“1
Von Moral und Ethik befreite Unternehmen und Firmen, die u. a. die Umwelt verschmutzen, Steuern hinterziehen, Menschenrechte verletzten usw. sollen dabei mit den Waffen der Verbraucher:innen bestraft werden – dem Konsumverhalten. Und auch immer noch kennen wir diese Aufrufe. Wir als Konsumenten und Konsumentinnen sind verantwortlich dafür, was wir kaufen. Der Markt wird es schon richten. Und so weiter. Und der Staat nimmt sich dabei geschickt aus der Rechnung.
Das Vertrauen in den mündigen Konsumenten – Eine fragwürdige Strategie
Diese Strategie ist jedoch mehr als fragwürdig. Denn sie verlangt von den Konsumenten und Konsumentinnen eine geradezu permanente Informiertheit, den Willen und vor allem die Zeit, sich dieses Wissen anzueignen und dann auch noch ethisch und moralisch einwandfrei zu handeln.
Dieser lean-back Ansatz der Politik setzt also Bedingungen voraus, die niemand mit einem Vollzeitjob, Kindern, Studium, oder was auch immer, erfüllen kann. Denn oftmals wissen nicht einmal die Firmen selbst um die gesamte Wertschöpfungskette ihrer benötigten Güter Bescheid. Bestes Beispiel ist die Modebranche: Es ist doch utopisch anzunehmen, die Menschen in der Verantwortung würden in den nächsten Flieger steigen, um sich die Fabriken, in denen ihre Kleidung hergestellt wird, genauer anzusehen.
Diese bekommen die dortigen Verhältnisse doch überhaupt nicht mit. Und es interessiert sie vermutlich auch gar nicht, denn wichtig ist nur, dass am Ende das Produkt den Erwartungen entsprechend geliefert wird. Und die Prosumer selbst? Die Zerstörung der Welt kümmert sie nur wenig, solange diese mit dem Flugzeug so schnell und so billig wie möglich von A nach B kommen. Phänomene wie die Klimatarier sind, was das betrifft, natürlich als Vorbild hervorzuheben. Doch solange die für die Welt überlebenswichtigen Dinge dem guten Willen der Menschen überlassen werden, gibt es kein Licht am Ende des Tunnels.
Diese „postmoderne Politisierung der Konsumenten“, wie Pfaller es nennt, erweist sich schlussendlich als trügerisch und der Staat, darf sich, was das betrifft, einfach nicht zurücklehnen und auf die Bevölkerung verlassen. Denn alles, was der Großteil der Menschen anrichten kann, ist leider immer noch zum Großteil nur Schaden.
1 Pfaller, Robert (2022): Zwei Enthüllungen über die Scham. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, Seite 15
Titelbild © Pexels
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