Wer nicht mindestens zwei Projekte gleichzeitig schmeißt, ständig „on fire“ ist und jede freie Minute in Produktivität pumpt, gilt als faul oder ambitionslos. Die Welt der Hustle Culture ist eine Dauerschleife aus „grind now, shine later“, Kalender-Overkill und LinkedIn-Motivationstrash. Hier zählt nicht, wie gut du lebst, sondern wie viel du leistest, am besten sichtbar auf deinem Feed.
Erfolg gilt nur dann etwas, wenn er sich mit Müdigkeit, Verzicht und einem Energy-Drink in der Hand erkauft wurde. Schlaf wird als Schwäche gesehen, Feierabend ist eher theoretisch. Klingt wie das Intro zu einem TED Talk? Vielleicht. Eher aber wie das Rezept für den kollektiven Burnout einer Generation.
Die Welt der Hustler*innen
In der Welt der Hustler*innen sind 60-Stunden-Wochen ein Flex, „Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten“ eine Auszeichnung und Erholung ein Zeichen von Schwäche. Pausen sind dabei eher was für Amateure. Stattdessen geht es nonstop um Leistungsdruck, Selbstausbeutung und das Gefühl, nie genug zu sein. Besonders in sozialen Medien wird dieses Mindset glorifiziert. Wer hustlet, gehört zur Elite. Wer abschaltet, hat es halt „nicht genug gewollt“.
Aber was macht das eigentlich mit uns? Mental, körperlich, sozial? Und warum wird ein Lebensstil gefeiert, der messbar krank macht? Hustle Culture ist mehr als ein Arbeitsphänomen. Sie ist ein kulturelles Symptom einer neoliberalen Gesellschaft, die Menschen auf Output reduziert und Selbstwert mit To-do-Listen verwechselt. Doch woher kommt dieser Leistungswahn? Wer profitiert davon? Und wie vermeiden wir das Burnout, ohne gleich als „faul“ abgestempelt zu werden?
So macht uns die Hustle Culture krank
Hustle Culture verkauft sich gern als Motivationskick, ist in Wahrheit aber oft ein gesundheitliches Risiko im Hochglanzfilter. Wer ständig unter Strom steht, bringt nicht nur seinen Kalender, sondern auch seinen Körper an die Belastungsgrenze. Dauerhafter Leistungsdruck führt zu einem erhöhten Cortisolspiegel, der auf lange Sicht Schlafprobleme, Erschöpfung und vor allem Burnout begünstigt. Und ein Burnout ist nicht einfach ein bisschen „keine Energie mehr“, sondern eine tiefgreifende Erschöpfung von Körper und Psyche, die im schlimmsten Fall das komplette Leben lahmlegt.
Die WHO warnt, dass regelmäßige Arbeitszeiten über 55 Stunden pro Woche das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle massiv erhöhen. Wer ständig „durchzieht“, lebt gefährlich. Kopfweh, Rückenschmerzen, chronischer Schlafmangel, Gereiztheit. All das sind Vorboten eines Burnouts, die viel zu oft ignoriert oder sogar romantisiert werden.
Doch es bleibt nicht bei den körperlichen Folgen. Auch das Leben abseits des Jobs leidet. Freizeit, Freundschaften, Hobbys, alles wird zweitrangig. Beziehungen zerbröseln, weil kein Raum mehr bleibt. Selbst in der Freizeit ist da dieses nagende Gefühl, man müsste „produktiver“ sein. Social Media feuert dabei diesen Druck weiter an, indem es die Dauerperformance anderer ständig vor Augen führt.
Und dann ist da noch die Sache mit der Fairness. Nicht alle können sich den Hustle leisten. Wer Kinder betreut, chronisch krank ist oder aus weniger privilegierten Verhältnissen kommt, wird vom System oft abgehängt. Trotzdem gilt der Leistungsdruck für alle. Burnout ist längst keine Ausnahme mehr, sondern ein Massenphänomen und Hustle Culture einer seiner Hauptgründe.
Doch wer profitiert eigentlich von all dem Stress?
Spoiler: nicht du! Hustle Culture klingt nach individueller Selbstverwirklichung, ist aber in Wahrheit ein perfektes Werkzeug für ein System, das von Überarbeitung lebt. Je mehr Menschen freiwillig Überstunden schieben, ihre Gesundheit ignorieren und sich selbst ausbeuten, desto weniger müssen Unternehmen in faire Arbeitsbedingungen investieren. Produktivität wird zur Pflicht, und wer nicht mithalten kann, gilt als schwach oder ersetzbar.
Das nutzt vor allem denen, die bereits oben sitzen. Chefs, Konzerne, Plattformen. Sie kassieren die Gewinne, während unten das Hamsterrad rotiert. Selbstverantwortung klingt cool, solange man nicht merkt, dass sie oft bloß die Entschuldigung dafür ist, strukturelle Probleme zu ignorieren. Wer sich selbst permanent optimiert, hat keine Energie mehr, das System zu hinterfragen. Genau so soll es sein. Hustle Culture ist keine Rebellion. Sie ist die moderne Uniform der Anpassung. Und das ganz ohne Zwang.
Raus aus dem Dauerstress: Burnout & Hustle Culture den Mittelfinger zeigen
Was wir brauchen, ist ein radikales Umdenken. Denn nicht jede Pause ist Faulheit. Nicht jedes Nein zur nächsten Aufgabe ist ein Mangel an Ehrgeiz. Echtes Wachstum entsteht nicht durch Selbstoptimierung im Akkord, sondern durch Balance. Pausen, kreative Leere, Erholung. Das sind keine Hindernisse, sondern Voraussetzungen für nachhaltige Leistungsfähigkeit.
Es geht darum, Arbeit neu zu denken. Nicht als Selbstzweck oder Selbstdarstellung, sondern als Teil eines Lebens, das auch Platz lässt für Sinn, Spiel und Stille. Und ja, das ist unbequem in einer Welt, die rund um die Uhr funktioniert. Aber wer immer funktioniert, ist irgendwann kein Mensch mehr, sondern eine Maschine. Und das kann nicht der Plan sein.
Die Antwort auf Hustle Culture ist kein kompletter Rückzug, sondern die bewusste Entscheidung, sich nicht länger kaputtzumachen. Und das am besten, bevor das Burnout zuschlägt. Weil Erfolg erst dann wirklich zählt, wenn man ihn bei klarem Kopf erleben kann.
Titelbild © Shutterstock
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