Die UNO warnt vor einer absoluten humanitären Katastrophe in Afghanistan. Schätzungsweise hätten 14 von 38 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Auch in Kabul spitzt sich die Lage weiter zu: Die mit den Taliban verfeindete Terrormiliz IS plant einen Anschlag auf den Flughafen. In der Zwischenzeit plant Innenminister Nehammer weitere Abschiebungen nach Afghanistan.
Während Menschen in Kabul neben den schießenden Taliban um ihr Leben fürchten, sitzt Bundeskanzler Sebastian Kurz für ein Interview mit Puls 24 bei Sonnenschein in den Weinbergen und profiliert sich bei seiner rechten Wählerschaft damit, auf keinen Fall weitere Afghan:innen aufnehmen zu wollen.
„Ich bin klar dagegen, dass wir jetzt freiwillig mehr Menschen aufnehmen und das wird es unter meiner Kanzlerschaft auch nicht geben“, erklärt Kurz. Seine Begründung: Das diktatorisch regierte Nachbarland Turkmenistan könne ebenso Afghan:innen aufnehmen. Einige Minuten zuvor spricht er noch davon, sich aufgrund der christlich-sozialen Werte schon immer zur ÖVP zugehörig gefühlt zu haben.
Unter seiner Kanzlerschaft werde es keine freiwillige Aufnahme von Menschen aus #Afghanistan geben, das stellt Bundeskanzler @sebastiankurz im "PULS 24 Sommergespräch" klar. https://t.co/pkWEEJ3z4h
— PULS 24 (@puls24news) August 23, 2021
„Österreich schiebt weiter Afghanen nach europarechtlichen Möglichkeiten ab“
Sein Parteikollege Karl Nehammer ist aufgrund der aktuellen Vorkommnisse offenbar wieder auf den Geschmack gekommen, mit den Abschiebungen fortzufahren. Wären die Taliban nicht Gesprächsthema Nummer eins, hätte er vielleicht sogar vergessen, dass Afghanistan existiert. Wie gut also, dass wir eine großartige Medienlandschaft, aber keinen funktionierenden Rechtsstaat haben.
Das dürften die Gedanken des österreichischen Innenministers sein, sonst würde er wohl nicht versuchen, Grundrechte auszuhebeln. „Österreich schiebt weiter Afghanen nach europarechtlichen Möglichkeiten ab“, behauptet er in einer Pressekonferenz am 18.8.2021. Von welchen europarechtlichen Möglichkeiten ist hier die Rede?
Österreichs Innenminister Karl Nehammer faselt immer noch von Abschiebungen nach Afghanistan. Zum jetzigen Zeitpunkt. Und die Grünen, Koalitionspartner dieser rechtsrechten ÖVP, sagen: nichts. Was für eine beschämende Regierung.
— Hasnain Kazim (@HasnainKazim) August 19, 2021
Das Rückverweisungsverbot gilt auch für Österreich
In Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention wird nämlich normiert, dass niemand der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe bzw. Behandlung unterworfen werden darf. Daraus wird ein Rückverweisungsverbot abgeleitet, das die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Das sogenannte Non-refoulement-Gebot ist als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und ist für jeden Staat verbindlich.
Des Weiteren wird der Grundsatz in Artikel 33 der Genfer-Flüchtlingskonvention sowie in Artikel 3 der UN-Antifolterkonvention normiert. Außerdem gilt dieses sogar für straffällig gewordene Flüchtlinge. Karl Nehammer hat sogar schon von der EMRK gehört, dennoch „müssen Alternativen angedacht werden“, sollte die Konvention keine Abschiebung in ein Kriegsgebiet erlauben.
What is non-refoulement? pic.twitter.com/CDzGvewE8W
— UNHCR, the UN Refugee Agency (@Refugees) August 17, 2021
Hilfe vor Ort und 3 Millionen Euro für Afghanistan
Wenn Nehammer schon nichts von der Europäischen Menschenrechtskonvention hält, erklärt er sich zumindest bereit, drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung zu stellen. Wie „Hilfe vor Ort“ genau aussieht, hat uns die ÖVP seit der letzten Flüchtlingskrise noch immer nicht verraten können.
Werden die Taliban nun mit drei Millionen Euro bestochen, das Land wieder zu verlassen? Bekommen obdachlose Menschen an den Grenzen regenfeste Zelte? Besteht vielleicht doch die Möglichkeit, dass es sich bei der Hilfe vor Ort um reine Symbolpolitik handelt? Man dürfe den Menschen dort schließlich nicht das Gefühl geben, sie im Stich gelassen zu haben. Obwohl genau das der Fall ist.
„Wir können keinen Exodus als EU einleiten“
Die ÖVP befürchtet, mit ihrem christlich-sozialen Wertekatalog falsche Signale zu senden. Es könne schließlich nicht sein, dass der „Wohlfahrtsstaat“ Österreich den Anreiz schaffe, tausende Kilometer Reise auf sich zu nehmen, um vor den Taliban zu flüchten. Auch die Aufnahme von Frauen und Kindern scheint keine Option zu sein.
„Wir können keinen Exodus als EU einleiten“, so Nehammer. Die Liste Kurz scheint außerdem gemeinsam eine weitere Liste herausgearbeitet zu haben. Nämlich eine Liste an Ländern, die sich ihrer Ansicht nach viel besser als Aufnahmestaaten von Flüchtlingen eignen: Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Dort gäbe es schließlich genug Platz.
Auf die Frage, wie diese Fantasie praktisch umgesetzt werden soll, gibt es dann allerdings doch keine zufriedenstellende Antwort. Sebastian Kurz hat nämlich kein Problem damit sich einzugestehen, dass nicht „alles in unserer Macht liegt“. Er wisse auch, dass in den genannten Ländern die Bereitschaft fehle, Afghan:innen aufzunehmen.
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