Wir leben im Zeitalter des Authentischen. Überall wird ein geradezu radikaler Individualismus propagiert. Gekoppelt mit den neoliberalen Ansprüchen unserer Gesellschaft wird das Selbst jedoch alles andere als wahrhaftig. Das Personal Branding ist in diesem Sinne ein „gelungenes“ Beispiel für die Vermarktung des Authentischen, des Zur-Ware-Werden des Selbst.
Be Yourself – Sei du selbst!
And be yourself is all that you can do, heißt es in einem Song der Rockgruppe Audioslave (falls diese überhaupt noch jemandem ein Begriff ist). Eine Art Hymne auf die Authentizität, wenn man so will. Doch was genau ist das, Authentizität?
Für Carl Rogers, eine Galionsfigur der Humanistischen Psychologie, bedeutet authentisch zu sein: „Das Selbst zu sein, das man in Wahrheit ist.“ Es geht ihm um wahrhaftige Gefühle und Gedanken. Nach außen hin eine Einstellung oder ein Verhalten darzustellen, dass man tief im Inneren nicht fühlt, führt zu nichts, so die heruntergebrochene These des Psychologen.
Zusammengefasst ergibt dieser Ansatz das Fazit, dass, wenn man seinen wahren Interessen nachgeht (seinem inneren Selbst folgt), ein psychisch gesundes und erfülltes Leben führt. Macht natürlich Sinn und ist nachvollziehbar. Auf die philosophische Frage, was denn das wahre Selbst jedoch genau sein soll, werden wir hier nicht eingehen.
Authentizität als Persönlichkeitsmerkmal
Wie viele Begriffe aus der Psychologie, hat sich mit der Zeit auch das Authentische „weiterentwickelt“. Vor allem die Vertreter:innen der Positiven Psychologie haben diese Entwicklung des Authentizität-Begriffs vorangetrieben. Und haben diesen „aus einer evolutionären und positivistischen Perspektive zu einem psychischen Persönlichkeitsmerkmal umgedeutet. Damit wurde Authentizität zu einer stabilen Eigenschaft biologischer Art, die gemessen, klassifiziert und objektiv beschrieben werden kann.“, so die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas in ihrem Buch Das Glücksdiktat. Wie beim Posttraumatischen Wachstum findet auch hier eine Form der Essentialisierung statt.
Der authentische Job
Man geht somit davon aus, dass Menschen umso mehr Glück aus Beziehungen, Umfeld, Arbeit usw. kreieren können, je authentischer sie sind bzw. dabei sein können. Vor allem am Arbeitsmarkt ist diese Authentizität wichtig, da man davon ausgeht, dass, wenn jemand das liebt, was er arbeitet, den Job natürlich besser erledigt, effektiver ist usw. Das scheint zuerst natürlich nachvollziehbar. Es hat mehr Sinn eine:n Professor:in zu haben, die oder der das Fach liebt, als jemanden, der dies nicht tut, so scheint es. Wobei das nur auf den ersten Blick einleuchtet.
Denn ein jeder Job hat mehrere Facetten und nur weil jemand z.B. Kunst liebt, bedeutet das noch lange nicht, dass diese Person dieses Fach auch unterrichten kann – denn oftmals reicht Liebe einfach nicht aus. Gewissenhaftigkeit und Professionalität scheinen nicht mehr so wichtig, solange man als Berwerber:in für einen Job authentisch ist oder es zumindest zu sein scheint.
Mittlerweile geht dieser „Authentizitäts-Irrsinn“ sogar schon so weit, dass man für an und für sich anspruchslose Berufe sogar schon die nötige love-my-job Attitüde mitbringen muss. Es reicht schon lange nicht mehr, den Job einfach nur zu machen, man muss diesen auch noch lieben. Slavoj Žižek hat diesen ideologischen Ansatz in einem anderen Kontext schon ausführlich besprochen.
Personal Branding
Mittlerweile zieht die Beschäftigung mit der Authentizität vor allem darauf ab, „den symbolischen Wert realer Fähigkeiten in einen starken emotionalen und wirtschaftlichen Pluspunkt zu verwandeln.“, so Illouz und Cabanas in ihrem Buch. Bedeutet, dass (u.a. in Form von Coachings usw.) Authentizität in eine effiziente Form der Selbstdarstellung und Selbstvermarktung transformiert wird. Eine Art Paradigmenwechsel, der unter dem Begriff „Personal Branding“ bekannt geworden ist. Das eigene Selbst, die Person, das Individuum, der Mensch soll, einem Produkt gleich, öffentlich präsentiert werden. Mit allem, was dazugehört.
Auch wenn sich das Personal Branding (eigentlich) nicht um die Veränderung der eigenen Persönlichkeit dreht, und es dabei nicht darum gehen soll, die Erwartungen anderer Menschen oder Arbeitgeber:innen zu erfüllen, so ist dieser Schritt jedoch nur die notwendige Konsequenz, wenn man am Marktplatz (und zu nichts anderem ist unsere Welt geworden) mit anderen konkurrieren muss. Und nichts anderes tut man.
Personal Branding in der Arbeitswelt
Doch im Job-Kosmos macht diese Ideologie nicht Halt. Denn wie Illouz und Cabanas feststellen „ist Personal Branding wesentlich mehr als nur eine simple und notwendige Strategie, um sich vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Verwerfungen und der Arbeitsplatzkonkurrenz in einer individualisierten Ökonomie einen Weg zu bahnen.“
Problematisch ist vor allem die Verlagerung der Verantwortung von den Unternehmens- und Gesellschaftsstrukturen usw. auf die einzelnen Menschen. Wenn man heutzutage z.B. keinen Job mehr bekommt, dann ist nicht die Arbeitswelt daran schuld, sondern man selbst. Weil man sich ja besser und begehrenswerter darstellen hätte können. Bevor einem die Arbeitsplatzvermittlung überhaupt erst einen passenden Job vermittelt, legt man einem vorher lieber oft einen 20-stündigen Kurs zum Thema Verhalten beim Bewerbungsgespräch nahe.
In den Bewerbungsgesprächen selbst suchen die Arbeitgeber:innen nicht mehr nur nach Menschen, die für den Job ausgebildet worden sind. Sondern sie suchen nach solchen, die dafür geschaffen sind. Bedeutet: Authentisch und intrinsisch motiviert zur Sache gehen und so dem Unternehmen mehr Einnahmen verschaffen.
Dass diese authentischen Mitarbeitenden mental oft ausgebeutet werden (da aufgrund der Überforderung ihre Motivation natürlich bald einmal erlahmt), kümmert die Unternehmen wenig. Denn sobald der oder die eine nicht mehr kann, kommt einfach der nächste Mensch an die Reihe.
Fazit
Personal Branding ist ein „gelungenes“ Beispiel für die Vermarktung des Authentischen. Das Zur-Ware-Werden des Selbst. Oder, wie Illouz und Cabanas genauer erklären: „Definiert als die Kunst, in sich selbst zu investieren, um die eigenen Erfolgsaussichten, seine Zufriedenheit und Vermittelbarkeit zu erhöhen, verbindet dieses Konzept die Prinzipien der Produktentwicklung und -werbung mit der Idee der Authentizität, um das Individuum unverblümt zu »konfektionieren« – genauer gesagt, um ihm dabei zu helfen, sich selbst zu »konfektionieren«.“
Personal Branding unterwirft die Menschen einer Produktlogik. Und als ein Produkt müssen die Menschen festlegen, was sie von anderen unterscheidet. Was sie authentisch und unverzichtbar macht (one of a kind).
Sie sind dazu gezwungen, mit (oftmals auch fiktiven) Stärken und Tugenden zu jonglieren. Welche sie wertvoll machen und mit deren Hilfe sie sich besser verkaufen können als die Konkurrenz. Denn um nichts anderes geht es schlussendlich (egal, wie man es auch darstellen will).
Wenn man bedenkt, dass meist alle Bewerber:innen für einen Job, diesen dann auch erledigen können – denn warum sollten diese sich sonst bewerben –, dann verwundert es nicht, dass man mittlerweile mit mehr glänzen muss, als mit der bloßen Fähigkeit, den Job einfach erledigen zu können. Willkommen im Leben als Marke. In einem Leben, in dem man sich selbst managen muss, wie ein Produkt. Doch, wenn einem das zu schwer ist? Kein Problem! Es gibt bestimmt Unmengen an Angeboten, die einem dabei helfen, sich gut zu vermarkten.
Titelbild © Shutterstock
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