Das Smartphone und die Menschen sind nicht mehr voneinander zu trennen. Die technischen Errungenschaften erleichtern unseren Alltag ungemein. Stellen uns aber zeitgleich auch einige Fallen, in die es nicht zu tappen gilt. Da viele von uns jedoch schon Opfer der negativen Aspekte des Smartphones geworden sind, hat die Digital-Detoxerin Christina Feirer ein Buch über den achtsamen Umgang mit dem Smartphone geschrieben.
Digitalisierung hat unser Leben fest im Griff
Wie einer der aktuellsten Denker unserer Zeit, der Philosoph Byung-Chul Han schon festgestellt hat, leben wir immer mehr in einer Welt der Undinge. Bedeutet: der analoge Austausch mit einer (fassbaren und konkreten) Welt tritt immer mehr in den Hintergrund. Bildschirmarbeit und vor allem ein Leben vor diversen Screens bestimmt unser Sein und hat unser life fest im Griff. Zu fest, sind sich wohl alle Beteiligten einig.
Die Expertin Christina Feirer ist sogar davon überzeigt, „dass die exzessive und selbstverständliche Nutzung unseres Smartphones in vielen Fällen ein Automatismus ist, der überhandnimmt. Wir lassen uns bereitwillig ablenken – und zwar davon, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie es uns tatsächlich geht. Und davon, wie wir unser Leben führen wollen.“ Aus diesem Grund hat die Digital-Detoxerin ein interessantes Buch über dieses Thema verfasst und appelliert darin für einen achtsameren Umgang mit dem Smartphone.
8 Jahre des Lebens vor dem Smartphone!
Und dieser ist wohl mehr als angebracht. Denn in seinem Buch Digitaler Burnout stellt Alexander Markowetz mit Erschrecken fest, dass wir alle durchschnittlich zweieinhalb Stunden pro Tag unser Smartphone nutzen. Von dieser Zeit entfällt natürlich nur ein Bruchteil auf Tätigkeiten, die unseren Alltag maßgeblich unterstützen und auch sinnvoll sind.
Der Hauptteil dieser Zeit vor dem Smartphone wird leider mit sozialen Netzwerken und vor allem mit Online-Spielen vergeudet. Die Autorin Christina Feirer denkt diese Zahlen weiter und kommt in ihrem Zukunftsbeispiel zum Ergebnis, dass wir (Markowetz‘ Daten hochgerechnet) 8 Jahre unseres Lebens vor dem Smartphone verbringen.
Ohne zu werten, stellt sie uns schließlich die Frage: Ob wir sagen würden, dass uns diese acht Jahre dabei unterstützen, unsere Bedürfnisse zu leben und unsere Träume zu verwirklichen? Die Antwort auf diese Frage darf sich natürlich jeder selbst beantworten. Doch im Grunde wird klar, worauf die Digital-Detoxerin hinauswill.
Die Blicke auf das Smartphone – eine fatale Ablenkung
Außerdem haben die Untersuchungen von Alexander Markowetz noch ergeben, dass wir den Bildschirm unseres Smartphones täglich durchschnittlich 88mal aktivieren. Auch dazu gibt uns Feirer ein Rechenbeispiel vor. Von den angenommenen 16 Stunden des Tages, an denen wir wach sind – die obligatorischen 8 Stunden Schlaf von den 24 abgezogen – nehmen wir alle 18 Minuten unser Smartphone zur Hand und unterbrechen unserer gegenwärtigen Tätigkeit für ein digitales Update.
Was das genau bedeutet beschreibt David Rock in seinem Buch Brain at Work und spricht vom Phänomen „Ablenkung“, worauf Feirer auch verweist. Rock stellt fest, dass sich unsere menschlichen Gehirne grundsätzlich gerne ablenken lassen, da es sich evolutionär als sehr sinnvoll erwiesen hat, die eigene Aufmerksamkeit auf äußere (hauptsächlich) Gefahrenquellen zu richten. So war es möglich in Notsituation schnell zu reagieren.
Kleines Problem aus heutiger Sicht: unser Gehirn unterscheidet leider nicht zwischen unterschiedlichen Arten von Ablenkung. Heißt: Ob vor tausenden Jahren ein Brontosaurus aus den Büschen springt oder ob eine Push-Nachricht am Handy erscheint: das Gehirn reagiert in denselben Ausmaßen alarmiert.
Fazit für uns Menschen: „Je mehr Ablenkung an jeder Ecke lauert, desto mehr Energie kostet es und, konzentriert zu bleiben.“ Somit führt ein exzessiver Umgang mit dem Smartphone zu kognitiver Erschöpfung. Klar, unser Gehirn vermutet hinter jedem Brummen und Klingeln den Angriff eines Säbelzahntigers.
Die Lüge vom Multi-Tasking
Man versucht sich auf gegenwärtige Tätigkeiten zu fokussieren. Doch aufgrund der Ablenkungen von Handy und Co braucht man da jetzt natürlich viel Energie, um gedanklich zu blockieren, was uns sonst ablenken würde. Also selbst das Ignorieren einer Nachricht kostet uns Energie.
Trauriges Fazit: Je öfter man sich ablenken lässt und danach eine unterbrochene Tätigkeit wieder von vorne anfängt, desto mehr verschlechtert sich die Konzentrationsfähigkeit. Man findet geistig also nicht mehr wirklich in die Spur zurück.
„Es ist, als würde deine Selbstkontrolle von Mal zu Mal weniger werden. Und mit jedem Mal (Ablenkung anm. d. Red.) steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du dich beim nächsten Mal noch einfacher ablenken lässt.“, ein Teufelskreis, wie Feirer in ihrem Buch betont.
David Rock behauptet sogar, dass es nach einer Unterbrechung 25 Minuten dauert (!), um sich wieder voll fokussiert der ursprünglichen Tätigkeit zu widmen. Unser Gehirn hat demnach nicht die Kapazitäten um unmittelbar hin- und herzuwechseln.
Wenn wir uns also regelmäßig ablenken lassen, dann ist es fast unmöglich, fokussiert an einer Tätigkeit oder an einem Gedanken dranzubleiben. Der Mythos des Multi-Tasking wird hier somit als Lüge entlarvt.
Ein weiteres Digital-Detox-Buch wie alle anderen?
Diese und noch weitere Einblicke in die uns nicht bewussten Dynamiken unseres Smartphone-Verhaltens, vor allem wie unser in diesem Sinne träges Gehirn sich davon einlullen lässt, werden in Christina Feirers Buch Likest du noch oder lebst du schon? hervorragend beschrieben. Und nach dem wissenschaftlichen Einblick in das Thema gibt die Detoxerin auch Ratschläge, was dagegen zu tun ist.
Klar, Tipps und Tricks vom Smartphone loszukommen gibt es wie Sand am Meer. Inwiefern unterscheidet sich das Buch von Feirer jetzt aber von vielen anderen Werken dieser Sparte? Recht aufwühlend und absolutes Highlight (wenn man so will) sind vor allem die Denkansätze der Detoxerin, sich selbst von der Zukunft her zu denken und zu fragen, inwiefern unser jetzt exzessiver Konsum des Smartphones, es überhaupt wert gewesen ist bzw. es wert gewesen sein wird?
Dieser gedankliche Twist, der sich durch das Buch zieht, ist durchaus eine Erneuerung zur üblichen Leseerfahrung solcher Bücher und schafft es in der Tat, uns Lesende tiefer in die Thematik zu involvieren. Das Buch stellt somit fragen, die aufgrund dieses Ansatzes noch einmal tiefgründiger in die Lesenden einwirken und man sich wirklich zu fragen beginnt. Das ist die Stärke dieses Buches. Und das ist das, was es den unzähligen anderen Ratgebern voraushat. Das Buch liefert keine 08/15 Antworten. Antworten muss jeder und jede für sich selbst finden. Doch das Buch hat die Macht uns dazu zu bringen uns Fragen wirklich selbst zu stellen.
Titelbild © Shutterstock
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