Weltweit nehmen die Entwicklungen in Bezug auf Medien und Presse wie auch das Vertrauen der Bevölkerung in sie einen dramatischen Verlauf. „Fake News“ und „Lügenpresse“ sind seit Beginn der Coronakrise im Sprachgebrauch fester denn je verankert. Doch in kaum einem anderen Land steht es um Pressefreiheit so schlecht wie in China. Der Fall von Zhang Zhan ist nur die Spitze des Eisbergs.
Problematische Situationen in Krankenhäusern, kritische Berichte über die COVID-Maßnahmen der Regierung und die leeren Straßen waren Inhalte, welche die chinesische Bürgerjournalistin Zhang Zhan während des Corona-Lockdowns in der zentralchinesischen Millionenmetropole Wuhan filmte und publizierte. Sie würde sagen, sie habe die Wahrheit gezeigt. Doch die Wahrheit ist ein teures Gut, insbesondere in diktatorisch regierten Ländern wie China. Zhang Zhan musste dafür mit ihrer Freiheit bezahlen.
Words for the WHO team from Zhang Zhan:
“Everything is covered up. This is the problem China is facing.”
“We should seek the truth and seek it at all costs. Truth has always been the most expensive thing in the world. It is our life.” pic.twitter.com/8ZZFGcdnF8— 王剑虹 #FreeZhangZhan #释放张展 (@changchengwai) January 29, 2021
Im Mai 2020 wurde die studierte Anwältin von der Polizei bereits festgenommen, inhaftiert und gefoltert. Die Begründung dafür, Zhang Zhan habe „Streit angefangen und Ärger provoziert“, ist eine geläufige Argumentation, um Regimekritiker*innen in China mundtot zu machen, die zu bis zu fünf Jahren Haft führen kann.
Eine Begründung, die sich in China besser verkaufen lässt als hierzulande. Denn für das „Reich der Mitte“ spielt Harmonie eine weitaus größere Rolle als in westlichen Regionen. In der chinesischen Kultur steht die Gemeinschaft über dem Individuum und das Gleichgewicht ist eines der höchsten Güter.
Kritiker*innen und Unruhestifter*innen wie Zhang Zhan können somit leichter als rücksichtslos und egoistisch dargestellt werden. Eine tief verankerte Ansicht – die dem Konfuzianismus zugesprochen wird -, welche die kommunistische Partei seit einigen Jahren wiederentdeckt hat und für eigene Interessen ausnutzt. Nach dem Motto: Wenn niemand aus der Reihe tanzt, führen wir China an die Weltspitze.
Die „rebellische Seele“
Daraufhin ist die 37-Jährige Zhang Zhan in einen Hungerstreik getreten und wird seither zwangsernährt. Sie wolle „bis zum Ende“ ablehnen, etwas zu essen. Das sei ihre letzte Möglichkeit, um ihren Unmut und Frust über die Inhaftierung zu signalisieren und das Unrecht, das in ihrem Land geschehe, nicht einfach hinzunehmen. In einem Interview kurz vor ihrer Festnahme sprach die Journalistin von ihrer „rebellischen Seele“. Denn bereits im Jahr 2019 saß die Chinesin insgesamt 102 Tage in Haft, wobei sie mehrere psychologische Untersuchungen durchlaufen musste. „Um mich unter Druck zu setzen, mir zu sagen ich sei geistig behindert.“
Bei dem Prozess im Dezember, zu dem die Angeklagte laut ihrem Anwalt Zhang Keke in einem Rollstuhl gekommen sei, kam nun das finale Urteil: Vier Jahre Haft. Ihren Anhänger*innen durften nicht an dem Gerichtstermin teilnehmen. Ihre Anwälte als auch Zhang Zhan selbst gehen davon aus, dass sie dies nicht überleben wird. Ihr Zustand sei zum Zeitpunkt des Prozesses schon „extrem schlecht“ gewesen.
China und die Pressefreiheit
Zhang Zhan ist nicht die einzige Journalist*in in China, die von den Behörden für ihre Arbeit während der Corona-Krise massakriert wird. Von dem chinesischen Unternehmer und Video-Blogger Fang Bin fehlt seit der Veröffentlichung seiner heimlichen Aufnahmen von aufgestapelten Leichen vor einem Krankenhaus, die von Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt wurden, bis heute jede Spur.
Der Menschenrechtsanwalt Chen Qiushi, der den Behörden schon seit seinen Berichten über die pro-demokratischen Proteste in Hongkong bekannt war, ist seit Frühjahr 2020 nicht mehr aufzufinden. Und den chinesische Journalist Li Zehua nahmen die Behörden im Februar wegen „Verstößen gegen die öffentliche Ordnung“ fest. Nach 56 Tagen „Quarantäne“, wie die Polizei es nannte, tauchte er wieder auf, geläutert und voller Lob für die Beamten. Der Slogan „Gib niemals auf!“ schmückt seinen YouTube-Kanal.
Um die Pressefreiheit in China steht es katastrophal. Das Land belegt Platz 177 von 180. Nur in Eritrea, Turkmenistan und Nordkorea ist die Lage für Medienschaffende gefährlicher. Und die Liste beruft sich im Wesentlichen auf die Entwicklungen im Jahr 2019, vor der Pandemie.
Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 75 Journalist*innen und 44 Online-Aktivist*innen in China in Haft. Die Chinesische Cyberspace-Verwaltung ahndet seit Beginn der Corona-Pandemie noch schärfer im Netz, zensiert ganze Medien, sperrt ausländische Internetseiten und überwacht private Plattformen wie WeChat.
Quelle: China’s Pursuit Of A New World Media Order, Reporter ohne Grenzen
Lückenlose Kontrolle – Presse in der Hand des Staates
Da ausländische Plattformen wie Twitter oder Facebook von der Regierung Xi Jinpings verboten wurden, versuchen vor allem viele Bürgerjournalist*innen diese über VPN-Softwares zu erreichen. Doch auch dagegen hat die Regierung nun härtere Maßnahmen verkündet. In einer Mitteilung der „Staatlichen Verwaltung des Presse- und Publikationswesens“ vom 19. Januar heißt es:
„Als Teil eines alljährlichen Überprüfungsprozesses werden von diesem Jahr an alle Veröffentlichungen von Journalisten auf sozialen Medien nach politischer Zuverlässigkeit ausgewertet – ganz gleich, ob es sich um private oder berufliche Äußerungen handelt. Auf dieser Grundlage wird dann entschieden, ob der Presseausweis verlängert wird oder nicht.“
Als Begründung nennt man hierfür, dass ein Team von Journalist*innen aufgebaut werden müsse. Dies sei dafür da, „das wichtige Gedankengut von Generalsekretär Xi Jinping zu Propaganda und ideologischer Arbeit“ gründlich umzusetzen und „politisch stark, realistisch und innovativ“ zu sein.
Chinas „neue Weltordnung der Medien“
Seit Xi Jingpings Amtsantritt wird die Lage für die Medien einen immer kritischer. Sein Ziel ist die Erschaffung einer „neuen Weltordnung der Medien“. Dabei macht der chinesische Generalsekretär nicht an seinen Landesgrenzen halt. Ganz im Gegenteil, es geht vor allem um die Propaganda im Ausland.
Die Regierung mitsamt der Kommunistischen Partei mobilisieren Milliardenmittel, um ihre Auslandsmedien auszubauen. Sie kaufen Anteile an Medien in anderen Ländern und bilden Tausende Journalist*innen aus aller Welt zu pro-chinesischen Multiplikatoren aus. Gegen kritische Journalistinnen und Journalisten gehen sie auch im Ausland mit Verleumdung, Druck und Drohungen vor.
Aus einer ausführlichen Analyse der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen von 2019 geht hervor wie systematisch hierbei vorgegangen wird:
„A system of hi-tech censorship restricts the news and information available to China’s 800 million Internet users, while a sophisticated propaganda and surveillance apparatus places additional constraints on their ability to inform themselves freely.“
Insbesondere Afrika wird in dem Bericht als Labor der chinesischen Medienstrategie genannt, begünstigt durch den Rückgang westlichen Einflusses. Auch die „Neue Seidenstraße“ würde neben Infrastrukturinvestitionen in Dutzenden Ländern ein eigenes Medienprogramm, die Belt and Road News Alliance, umfassen. Die NGO ruft daher Demokratien dazu auf, Chinas Medienexpansion ernster zu nehmen und dagegen vorzugehen:
„This expansion – the scale of which is still hard to gauge – poses a direct threat not only to the media but also to democracies. If democracies do not resist, Chinese citizens will lose all hope of ever seeing press freedom in their country, and Chinesestyle propaganda will increasingly compete with journalism as we know it outside China, thereby threatening the ability of citizens everywhere to freely choose their destiny.“
Internationaler Druck auf China – Pressefreiheit als Teil der Menschenrechte
Die EU hat kurz nach dem Urteil die Freilassung Zhang Zhans und anderer inhaftierter Aktivist*innen gefordert. Auch der neue US Präsident Joe Biden kündigte aufgrund von Chinas Verletzungen der Menschenrechte bereits an mit härterem Druck gegen „den Konkurrenten“ vorzugehen. Es wird sich zeigen wie sich das durchsetzen lässt, in Anbetracht enormer wirtschaftlicher Interessen im Hintergrund.
Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen zeigt auch, dass sich die Lage der Pressefreiheit seit 2013 global um 13% verschlechtert hat. Eine alarmierende Nachricht, wenn man bedenkt, dass die freie Presse eine tragende Säule der funktionierenden Demokratie bedeutet. Nicht nur in China sieht man die Auswüchse dessen, was passiert, wenn die Menschen das Vertrauen in die Medien gänzlich verlieren. Sie stürmen das Kapitol, wie in den USA. Oder sie verweigern es, sich gegen ein tödliches Virus zu schützen, wie hierzulande. Andererseits gibt es auch im Westen Repression gegenüber Journalisten, wie es der Fall Assange zeigt. Das gefährlichste daran ist: Sie bauen sich eine Realität auf, die viel zu einfach ist, um wahr zu sein und alles Komplexe bekämpfen will.
Titelbild Credits:
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Trump als Präsident: Ein möglicher Wahlsieg und seine Folgen
Die aktuellsten Umfragen sehen Kamala Harris hauchdünn vor Donald Trump. Doch das muss nichts heißen, denn die Buchmacher sehen letzteren […]
Separatorenfleisch: die dunkle Seite der Wurst
Nicht gekennzeichnetes Separatorenfleisch in deutschen Würsten gefunden. Alles, was du über die Weiterverwendung der Fleischreste wissen musst.
Der ganz normale Esoterik-Wahnsinn: Ist Österreich noch zu retten?
Die Corona-Pandemie hat mit ihren unzähligen Lockdowns die Sichtungen vermeintlich paranormaler Phänomene noch einmal in die Höhe getrieben. Doch in […]
Die Serie Beef auf Netflix: im Zeichen sinnloser Rache
Mit viel schwarzem Humor und fein ausgearbeiteten Hintergründen ist Beef eine der besten Netflix Serien seit langem.
Gewaltfreie Kommunikation: Dein Weg zu sauberen Klos und rosaroten Beziehungen
Wer kennt es nicht: Ein falsches Wort und ein normales Gespräch verwandelt sich in einen Streit! Mit dem Konzept der Gewaltfreien Kommunikation kannst du leichter deine Ziele erreichen und mithilfe von vier Schritten Streit-Eskalationen verhindern.
Fake-Kokain Geileszeug: Grenzwertige Videos mit Erklärung zum Ziehen
Manche Produkte braucht die Welt nicht wirklich. Aber sie sind trotzdem da. Ist okay. Das stört niemanden. Doch Geileszeug und […]