Georg-Büchner-Preisträger Clemens J. Setz gelingt mit seinem neuen Roman Monde vor der Landung ein satirisches Paradewerk. Gekonnt versetzt er die Gegenwart in die Vergangenheit, findet Verwandtschaften, Anknüpfpunkte und präsentiert uns ein literarisches Meisterwerk.
Die Schwurbler kommen!
„Querdenker“ und „Schwurbler“, was haben diese Menschen und vor allem diese Begriffe nicht die Nachrichten der letzten Jahre bestimmt. Das ging (und geht vermutlich immer noch) so weit, dass jede*r die andere*n für Schwurbelnde hält. Klar, aus seiner eigenen Bubble lässt es sich verblendet leicht mit Steinen werfen.
Ein Austausch mit anders Denkenden findet nicht statt. Und wenn, dann ist es kein intellektueller Austausch, der von Offenheit und Verständnisbemühen geprägt ist, sondern es geht wutblind nur darum, seinen eigenen Glauben durchzusetzen. Wir kennen das alle, erleben es seit Corona vermutlich Tag täglich. Auch in den Öffis, wenn da wieder einer maskenlos hustet und seinen Rotz verbreitet. Einfach nur, weil er eben „nicht daran glaubt“.
Clemens J. Setz und die Schwurbler for life
Peter Bender, der Held in Clemens J. Setz’ neuem Roman Monde vor der Landung, ist genau so ein Schwurbler der ersten Stunde. Er ist davon überzeugt, die Menschheit lebt im Inneren einer Weltkugel. Als Pilot könnte er es eigentlich besser wissen, aber auch die praktische Erfahrung hilft da nicht viel weiter. Er ist nicht nur fest von der sogenannten Hohlwelttheorie überzeugt, er ist auch dabei eine Art Verein mit gleichgesinnten aufzubauen.
Rhetorisch ausgebufft und sprachlich nicht auf den Kopf gefallen, argumentiert sich Bender bis in die obere Riege des Schwurblertums. Ob außereheliche Aktivitäten oder was auch immer, Bender weiß (nur instinktiv, aber nicht bewusst), wie man sich alles um einen herum ins eigene Weltbild hineinredet und darüber hinaus auch den Diskurs bestimmt.
Parallel zu Benders Hohlwelttheorie buhlen auch noch gleich andere Welttheorien um die Vormachtstellung. Jede versucht sich gegen die andere durchzusetzen. Mittendrin keimt auch gerade fröhlich der Nationalsozialismus vor sich hin. Benders Frau Charlotte hat als Jüdin da nicht gerade viel zu lachen. Bender selbst, von seinem Weltbild ge- und verblendet, spielt alle Nazi-Phänomene herunter.
Monde vor der Landung: fiktionalisierte Wahrheiten
Clemens J. Setz erzählt in Monde vor der Landung jedoch nicht die erfundene Geschichte eines Schwurblers und versetzt diese in die Vergangenheit. Nein, er erzählt eine tatsächliche Lebensgeschichte, die er (mehr oder weniger) fiktionalisiert hat. Zwölf Jahre hat Setz dafür recherchiert. Alleine diese Tatsache verleiht dem Plot eine zusätzliche Würze. Schwurbler*innen wie Bender und Co gab es schon früher und wird es wohl immer geben.
Doch die größte Stärke des Romans ist, dass Bender nicht als Witzfigur dargestellt wird. Setz beschreibt das Leben und Wirken seines Helden sehr einfühlsam (auch wenn die Figur alles andere als einfühlsam ist und eher stur ihren Weg gehen will). Monde vor der Landung ist das tragikomisches Porträt einen Menschen, der glaubt, die Wahrheit zu kennen, jedoch im Grunde schon lange den Bezug zur Realität verloren hat, einer Realität, die immer mehr zu Bedrohung wird.
Monde vor der Landung: ein Fazit
Spannend und herrlich herausgearbeitet auch die Gegenüberstellungen. Denn, wie schon erwähnt, tauchen neben der Hohlwelttheorie auch noch viele andere Theorien auf, von denen sich jede natürlich durchzusetzen versucht. Auch der Nationalsozialismus erscheint zu Beginn des Buches mehr als eine solche Theorie, die leider am Schluss eben das Rennen macht.
Clemens J. Setz stellt gekonnt dar, wie diverse „Wahrheiten“ parallel kursieren können und in Konkurrenz miteinander versuchen, den Diskurs zu bestimmen. Und in Benders Kosmos hat diese Bestimmung des Diskurses sehr viel mit rhetorischen Fähigkeiten zu tun. Und das ist das Erstaunliche daran. Der Diskurs scheint die Wahrheit zu machen und nicht die Wissenschaft. Ein Thema, das sich auch bei Michel Houellebecq oft findet. Aber auch die Wahrheit lässt sich umdeuten, den Bender ist, unter anderem, selbst auch ein Wissenschaftler (Mathematik) und unter seinen Verbündeten finden sich viele gebildete Menschen.
Am Ende stellt sich die Frage, wie wir unsere Wahrheit definieren. Was wahr ist, ist oft nur wahr, weil es der Diskurs so festlegt. Damals wie heute gilt oft, dass der, der den Diskurs, die Meinungshoheit hat, auch über die Wahrheit bestimmt. Setz spricht es nie direkt an (und auch das ist eine Kunst) doch zeigt sein Buch wunderbar, wie gefährlich der Diskurs bzw. die Diskursmacht ist. Und wie wichtig es ist, eben nicht in seiner Bubble zu bleiben, um dort seinen eigenen Wahrheiten zu frönen, sondern hinauszublicken in die Welt, um dort die Realität zu sehen und vielleicht zu erkennen, wie dort Konstrukte, Diskurse und Machtgefüge das Sein der Menschen fest in der Hand haben. Wer weiß, wenn Michel Foucault noch leben würde, würde Monde vor der Landung vermutlich zu seinen Lieblingsromanen zählen.
Titelbil © Shutterstock
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