Städte sind das Wohnkonzept der Zukunft. Vor allem in Hinblick auf Nachhaltigkeit, ökologischer Fußabdruck und Co sind diese architektonischen Konstrukte eine unausweichliche Notwendigkeit. Doch die Corona-Krise hat gezeigt, dass auch Städte eine Problematik besitzen, über die es zu reflektieren gilt. Ein Computer-Spiel soll diesbezüglich Abhilfe schaffen.
Landleben-Bashing und Haus-Hate
Österreich ist Europameister – beim Betonieren!!! Um die 13 Hektar Land werden hierzulande täglich verbaut und zubetoniert. Mit Häusern, Straßen, Gewerbegebieten, Parkplätzen, Freizeitanlagen und Industriehallen. Dieses Ausmaß entspricht der Größe von 18 Fußballfeldern.
Im Vergleich: Zielvorgabe der EU und wünschenswert wären 2,5 Hektar pro Tag. Recht dramatische Zahlen und ziemlich beängstigend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass eine der Regierungsparteien umweltbewusst sein soll bzw. sich dies zumindest auf die Wahlfahnen geschrieben hat. Aber egal. Österreich verliert jährlich 0,5 Prozent seiner Ackerfläche. Im Vergleich mit dem „großen Bruder“ Deutschland ist das doppelt so viel.
Das Straßennetz Österreichs ist mit 15 Metern pro Kopf eines der dichtesten in ganz Europa. Deutschland und die Schweiz bringen es da nur auf die Hälfte. Eines der Gründe für diesen Betonkult ist natürlich der Wunsch eines jeden Österreichers und einer jeden Österreicherin, nach einem Leben mit Haus und Garten am Land. Einem Land, das wegen dem Haus natürlich zubetoniert werden muss. Aber egal! Dieser Bauwahn muss aufhören. Vor allem zum Wohle der Umwelt und des Klimas.
Big City life als die glorreiche Alternative
Die Alternative zu dieser ländlichen Baukultur des Irrsinns, die von einer der Regierungsparteien auch noch gutgeheißen wird… Nur zur Info, es ist die andere. Somit hätten wir also, was den Betonierungskult in Österreich betrifft (zumindest hier) ein einheitliches Statement… Die Alternative zu dieser Zementorgie ist natürlich das Citylife. Welches natürlich nicht weniger von Zement geprägt ist, aber immerhin ist der ökologische Fußabdruck dort durchschnittlich bei weitem geringer, als am Land.
In den USA z.B. verbraucht ein städtischer Haushalt nämlich bis zu 3,4 Tonnen weniger CO2 pro Kopf und Jahr, als ein Haushalt auf dem Land. Aber auch Häuser verbrauchen mehr CO2 auf dem Land. Allein der Stromverbrauch der ländlichen Haushalte in den USA ist im Durchschnitt um 88 Prozent höher als der von städtischen Haushalten.
Heiles, heiles Stadtleben
Doch das in der City auch nicht alles optimal verläuft, darauf hat uns spätestens die Corona-Pandemie aufmerksam gemacht. „Stadträume sind gesellschaftliche Kondensate und Projektionsflächen. In ihnen manifestieren sich Desiderata, Konflikte wie auch gesellschaftliche Schichtungsprozesse.“ Ergebnis: Den Vorteilen einer dichten Stadt aufgrund von Corona überdrüssig geworden, kann es uns plötzlich nicht mehr ländlich genug sein. Die Stadt ist uns plötzlich zu dicht. Wie damit umgehen?
Dichtestress – ein Game zur Problematik
Das Spiel Dichtestress will nicht zuletzt zeigen, dass „Dichte nicht gleich Dichte ist“. Dichte ist abhängig von zahlreichen Aspekten, wie das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum z.B. Und natürlich auch den Arten der Übergänge dazwischen, welche die Qualität des Stadtraums bestimmen.
„Dichte wird oft mit Zahlen – als quantitative Einheit – erfasst, und im Zeichen von smart city dürfte dies in Zukunft noch öfter der Fall sein. Bei Diskussionen um Dichte sollte es aber vor allem um die atmosphärischen Qualitäten der Stadträume gehen, welche sich jedoch nicht mit Zahlen beschreiben lassen.“ Genau diesen vergessenen Aspekt versucht das Spiel Dichtestress zu erfassen, um den Menschen den Umgang mit Räumen (und vor allem anderen Menschen) bewusster zu machen.
Dichte ist demnach nicht nur eine statistisch erhebbare Einheit. Sondern auch eine gelebte Erfahrung. Vor allem an recht (über-)bevölkerten Orten und Plätzen ist Dichte ein Phänomen, mit dem jeder Städter und jede Städterin mehr als vertraut ist. Alles ist nah beieinander.
Aber nicht nur die unmittelbare Welt. Auch das Internet – in Form der sozialen Medien z.B. – hat die Welt näher zusammenrücken lassen. Der unmittelbare Zugriff auf das Entfernteste ist möglich. Das Problem dabei: „Es fehlt aktuell deutlich an Distanz, und zwar auf verschiedenen Ebenen: nicht nur die physische Distanz, die eingefordert wird, sondern auch Distanz zu den Ereignissen. Wir sind unfähig, die Situation, der wir aufgrund der Pandemie ausgeliefert sind, distanziert zu betrachten und besonnen zu reagieren. Wir sind ganz offensichtlich nicht krisenresistent.“, so die Erkenntnis der Spielentwickler. Ihr Lösungsvorschlag?
Das Spiel
Das Spiel Dichtestress versucht, eben dieses Manko auszuloten. Vor einem geschichtlichen Hintergrund (bzw. Räumen aus unterschiedlichen Epochen und Zeiten) soll das Phänomen Dichte mit der nötigen Distanz betrachtet werden. Auf sechs Levels werden historische Beispiele von Stadträumen dargestellt. Von der Idealstadt der Renaissance bis zur abgerissenen Walled City in Kowloon (Hong Kong).
All diese Raum-Beispiele wurden aufgrund ihrer unterschiedlichen räumlichen Qualitäten ausgesucht – positive wie negative – und weisen steigende Dichtezahlen auf (Einwohnerdichte: EinwohnerInnen/Hektar). Die Ego-Perspektive des Gamers trägt zu einer unmittelbareren Erfahrung jedes spezifischen Stadtraums bei.
Leichte, aber geradezu essenzielle Abweichung: Um jede Assoziation mit einem Ego-Shooter zu verhindern, ist der Gamer selbst krank und nicht die Nicht-Spieler-Charaktere. Das Ziel ist es, durch Ausweichen so wenige Menschen wie möglich anzustecken. So wird auch versucht ein Gefühl der Solidarität zu injizieren. Ich bin das Problem und schütze die anderen vor mir. Und nicht wie in fast allen Spielen: Die anderen sind das Problem und ich muss mich vor ihnen schützen.
Das Unbewusste bewusst machen
Wir gehen sehr unbewusst durch Stadträume (gerade, wenn wir diese kennen). Das Game Dichtestress ist somit ein Mittel zu erlernen, bewusster durch die Stadt zu gehen. Weil man ja bewusst ausweichen und gezielt nach alternativen Wegen suchen muss, um ans Ziel (eine Tür) zu gelangen. Die gravierenden Unterschiede der vereinzelten Levels (Stadträume zu unterschiedlichen Zeiten) zeigen elementare Unterschiede auf und vermitteln ein gutes Verständnis davon, inwiefern sich der Städtebau über die Jahrhunderte verändert hat. Vor allem gewährt es uns jedoch einen Einblick, was diese architektonischen Unterschiede mit uns Menschen gemacht haben und immer noch machen.
Verdichtung ist aus der Perspektive der Nachhaltigkeit ein notwendiges „Übel“, um die Probleme der Zukunft in den Griff zu bekommen. Doch gilt es diesbezüglich auch noch andere Dinge zu berücksichtigen und vor allem neu zu überdenken. Verdichtung ist eine Tatsache, man muss nur lernen richtig damit umzugehen. Einen großen Schritt in diese Richtung macht das Spiel Dichtestress.
Titelbild Credits: Shutterstock
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