Gewalt gegen Frauen steht in unserer Gesellschaft leider immer noch an der Tagesordnung. Wie bestialische Frauenmorde in Indien, Feminizide in Österreich, sexualisierte Gewalt oder die Vorwürfe gegen Rammstein Sänger Till Lindemann zeigen. Auch wenn wir Gewalt theoretisch aus unserer Gesellschaft verbannt haben, sieht die Realität anders aus. Jeder neue „Einzelfall“ löst dabei die typischen Reflexe aus. Victim blaming oder Kulturrassismus.
Reflexe, die den Opfern und allen anderen weiblich gelesenen Personen, die von Gewalt betroffen sind, letztlich nur weiter schaden und sie verhöhnen. Denn sie entbehren jeglichen Lösungsansatz. Strukturelle Verhältnisse werden dabei nur selten benannt. So wird das Problem mit der Gewalt gegen Frauen nicht als etwas Systematisches gesehen, an dem sich nachhaltig was ändern muss, sondern als individuelles Einzelschicksal. Dabei betrifft der Sexismus uns alle. Denn erst das sexistische Milieu, welches in der Gesellschaft als Normalzustand gilt, egal ob in Indien oder bei uns, ermöglicht das Ausmaß an Gewalt gegen Frauen.
Mord am helllichten Tag in Dehli
Ein 16-jähriges Mädchen wird in der indischen Hauptstadt, in einer belebten öffentlichen Straße, am helllichten Tag erstochen bzw. erschlagen. Schock und Empörung erfüllen die Straßen von Delhi, als eine weitere grausame und brutale Tat in Form von Gewalt gegen Frauen in Indien erneut in den Fokus rückt. Ein schockierendes Video, aufgenommen von einer Überwachungskamera, zeigt den entsetzlichen Vorfall.
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Während der Angreifer immer wieder auf das Opfer einsticht, gehen mehrere Menschen arglos an der Szene vorbei. Sie sehen einfach zu. Nur ein Mann zeigt den Mut, einzuschreiten und den Angreifer von seinem Opfer wegzuziehen. Doch seine Bemühungen sind von kurzer Dauer.
Die Ermittlungen deuten vorläufig auf ein sogenanntes „Verbrechen aus Leidenschaft“ hin, wie Deependra Pathak, Sonderkommissar der Polizei von Delhi dem indischen Fernsehsender Times Now mitteilte. Und wieder treffen wir auf eine lapidare Wortwahl, die den Vorfall als Normalzustand rechtfertigt. Es geht hier jedoch um einen Mord.
Die verzweifelten Worte des Vaters des Mädchens, Janak Raj, treffen mitten ins Herz. „Ich sah meine Tochter am Boden liegen, mit dem Gesicht nach unten“, berichtete er gegenüber CNN unter Tränen. „Ihre Organe waren herausgekommen und ihr Kopf war eingeschlagen. Sie lag leblos da. Es hatte keinen Sinn, sie ins Krankenhaus zu bringen.“
Raj spricht die quälende Tatsache an, dass niemand seiner Tochter zu Hilfe eilte. Anstatt zu helfen, waren Zeugen offenbar damit beschäftigt, die abscheuliche Tat zu filmen. Dieser Vorfall ist nur einer von vielen in einer langen Liste von Morden und Vergewaltigungen, die die Debatte über Gewalt gegen Frauen in Indien immer wieder entfachen.
Gewalt gegen Frauen: alles nur Einzelfälle?
Und auch hierzulande, bei uns in Österreich, ist Gewalt gegen Frauen immer noch Teil der Normalität. Auch wenn wir uns gerne als fortschrittlich und hochzivilisiert betrachten wollen, zeigen die Statistiken leider eine andere traurige Wahrheit. Dann Fakt ist, Gewalt gegen Frauen kommt in Österreich immer noch zu häufig vor. Das Schockierende daran ist die Tatsache, dass obwohl in der Öffentlichkeit Sexismus immer wieder thematisiert wird, parallel dazu die Anzahl der Gewaltdelikte gegen Frauen geradezu explodiert.
Die Verrohung der Gesellschaft und eine rückwärtsgewandte Mentalität zeigen sich eben auch in den Realverhältnissen. Und nein, daran sind nicht die Ausländer schuld, das sind schon wir selbst, die eine sexistische und frauenverachtende Mentalität an den Tag legen. Häufig erkennt man das Problem am lapidaren Umgang mit jeder einzelnen Tragödie, die eine zu viel ist. Man hört auch bei uns laufend von „Liebesdramen“, „Eifersuchtstragödien“ oder „Eheproblemen“. Oftmals geht es dabei schlichtweg um die Verharmlosungen der Gewalt gegen Frauen.
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Denn inhaltlich wird struktureller Sexismus nicht als Teil des Problems bei Gewalt gegen Frauen verstanden. Man betrachtet die Verhältnisse gerne als voneinander losgelöst. Als wären es Wetterphänomene, die halt einfach stattfinden. Zahlreiche Sexisten rennen herum und präsentieren sich dabei als strahlende Feministinnen. Dabei sehen sich Männer bereits als Feministen, wenn sie Frauen mit einem Mindestmaß an Respekt begegnen. In der Wirklichkeit zeigt sich aber das ganze Ausmaß des Sexismus.
Parallel dazu sorgt das Milieu der Verachtung, das erst durch den Sexismus entsteht, dafür, dass sich Täter in ihren Handlungen bestärkt fühlen. Es scheint so, als wäre Gewalt gegen Frauen als Machtinstrument Teil eines bestehenden Sexismus, den wir eigentlich als Gesellschaft nicht überwinden wollen. Denn Männer in unserer Gesellschaft profitieren von diesem Machtinstrument.
Umgang mit Till Lindemann verdeutlicht Problematik
Die Vorwürfe rund um den Rammstein Frontman Till Lindemann haben das Problem von Gewalt gegen Frauen, Sexismus und Machtmissbrauch wieder einmal stark verdeutlicht. Der Umgang sowohl bei denen, die den angeblichen Täter schützen als auch denen, die ihn kritisieren, zeigt, wie gerne wir Sexismus und Gewalt gegen Frauen als voneinander losgelöste Phänomene betrachten.
Denn auf der einen Seite haben wir billiges Victim Blaming und auf der anderen Seite eine Dämonisierung auf der charakterlichen Ebene. Natürlich sollte ein Täter, der in der Öffentlichkeit steht, auch moralisch zu Rechenschaft gezogen werden. Doch die fehlende Ableitung eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses zeigt die Sensationslust, so etwas als „Einzelfall“ wahrnehmen zu wollen.
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Denn das Milieu, das die Übergriffe erst ermöglicht, herrscht in vielen Backstage Bereiche auf unserer Welt. Das bedeutet nicht, dass man es als Normalität verharmlosen sollte. Nein, ganz im Gegenteil! Man sollte dazu übergehen, nachdem man die Täter benannt hat, auch Kritik an den Verhältnissen zu äußern. Denn was ist mit denen, die durch ihr Wegsehen diesen Zustand mitgetragen haben?
In der Kritik stehen hier ebenso diejenigen, die das Problem als völlig losgelöst und isoliert von gesellschaftlichen Verhältnissen, Macht und Einfluss betrachten. Und teilweise wird das Ganze so kommuniziert, als würden sich die Vorwürfe rund um Till Lindemann und Rammstein in einem von der restlichen Welt losgelösten Vakuum bewegen. Wir reden hier natürlich über eine moralische und ethische Ebene. Denn unser restliches Leben in der Gemeinschaft wird vom Strafgesetzbuch geregelt.
Gewalt gegen Frauen nach wie vor an der Tagesordnung
Wir alle kennen zahlreiche Situationen, in denen solche Milieus geschaffen werden. Egal, ob in unserer Jugend, wo harter Sexismus, sexualisierte Gewalt und Abwertung bis hin zu Gewalt gegen Frauen als Lausbubenstreiche abgetan werden. Bis zu zahlreichen Situationen im Erwachsenenalter wie Weihnachtsfeiern, wo der Chef seinem widerlichen Sexismus freien Lauf lassen kann und sich niemand das Maul aufmachen traut.
All diese Situationen, die gesellschaftlich als normal erachtet werden, sind bereits Teil des Problems bei Gewalt gegen Frauen. Denn einer Tat geht stets eine Entwertung voraus. Und hier liegt der Kern des Problems. Wir leben in einer Gesellschaft, wo besonders Frauen als das „schwache Geschlecht“ entwertet werden, um sie permanent in einem Zustand der Unterdrückung halten zu können. Durch die daraus resultierenden Gefühle wie Angst und Unsicherheit lassen sich weiblich gelesene Personen einfacher von männlich gelesenen Personen unterdrücken und instrumentalisieren.
Um hier tatsächlich etwas zu ändern, müssen wir anfangen, einen größeren Konsens bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu formulieren. Das bedeutet, dass wir Zusammenhänge zwischen Sexismus, Entwertung und Gewalt gegen Frauen herstellen müssen. Die Täter als Einzelperson zur Rechenschaft ziehen, dafür ist schlussendlich die Justiz da. Doch wir müssen die Rahmenbedingungen und Strukturen dahinter offenlegen und verstehen, dass Sexismus ein Machtinstrument ist. Und zwar auf allen Ebenen, bis hin zur Strukturellen.
Wenn ihr oder jemand aus euerem Umfeld von Gewalt betroffen ist, bitte scheut euch nicht den Frauennotruf [+ 43 1 71 71 9] zu wählen. Richtiges Handeln kann Leben retten!
Titelbild © Shutterstock
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