Wann hast du das letzte Mal einfach nichts getan? Kein Scrollen, kein Podcast, keine Serie im Hintergrund. Nur du und der Moment. Falls du dich kaum erinnern kannst: Willkommen im Zeitalter der ständigen Reizüberflutung. Langeweile, dieses altbekannte Gefühl aus Kindheitstagen, ist heute fast schon ein Privileg geworden.
Immer etwas tun oder zumindest so tun
Unser Alltag ist durchgetaktet, optimiert und vollgestopft. Selbst Freizeit wird oft zur Aufgabe: „Ich muss mal wieder meditieren“, „Ich sollte lesen“, „Ich will produktiver entspannen“. Wir haben verlernt, Langeweile einfach zuzulassen. Stattdessen greifen wir in jeder freien Sekunde zum Smartphone. Nicht aus Neugier, sondern aus Gewohnheit.
Was früher ein Zustand war, den wir möglichst schnell beenden wollten, scheint heute kaum noch möglich zu sein. Langeweile ist unbequem, nicht effizient und passt nicht in unseren durchdigitalisierten Lifestyle. Aber gerade deshalb ist sie so wertvoll.
Multitasking ist die neue Normalität
Unsere Aufmerksamkeit ist ständig auf mehrere Kanäle verteilt. Ein Video schauen, während man Nachrichten schreibt, parallel E-Mails checkt und den nächsten Tag plant? Kein Problem – oder doch?
Das, was wir unter “Multitasking” verstehen, ist keine Fähigkeit, sondern ein Mythos. Unser Gehirn ist nicht in der Lage, zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig zu verarbeiten. Es springt nur blitzschnell zwischen ihnen hin und her. Das wird auch „Task-Switching“ genannt und ist richtig anstrengend für unser Oberstübchen. Jedes Mal, wenn wir von TikTok zu WhatsApp und dann zurück zur Arbeit springen, verbrauchen wir kognitive Ressourcen und verlieren Fokus, Energie und Zeit.
Wissenschaftlich ist längst klar: Multitasking führt nicht zu besserer Produktivität, sondern zu mehr Fehlern, Stress und mentaler Erschöpfung. Studien zeigen, dass Menschen beim sogenannten Medien-Multitasking – also gleichzeitig Serien schauen, scrollen, chatten – schlechter darin werden, sich zu konzentrieren oder wichtige Infos zu merken. Unser Gehirn wird dabei regelrecht „umprogrammiert“, wie Expert:innen sagen. Der Dopaminkick durch ständige Reize macht zwar kurzfristig happy, langfristig aber unruhig und reizüberflutet.
Reizüberflutung statt Ruhe
Wir leben in einer Zeit, in der der nächste Dopamin-Kick nur einen Swipe entfernt ist. Das ist bequem, aber auch gefährlich. Denn wer ständig abgelenkt ist, verlernt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Langeweile zwingt uns, nach innen zu schauen und genau das vermeiden wir oft lieber.
Dabei sind es gerade die stillen Momente, in denen neue Gedanken entstehen. Kreativität braucht Raum. Ideen brauchen Leere. Und Erholung braucht Zeit ohne Reizüberflutung.
Was Langeweile wirklich ist
Aus psychologischer Sicht ist Langeweile mehr als nur Leerlauf. Es ist das Gefühl, etwas Sinnvolles tun zu wollen, aber nichts Passendes zu finden. Dabei kann es sogar sein, dass Optionen da wären, sie aber nicht reizvoll genug wirken. Dieses Phänomen wird laut Forschung auch mit Selbstregulation in Verbindung gebracht: Wer gelernt hat, mit sich selbst und mit Leerlauf umzugehen, langweilt sich seltener.
Interessant: Wer sich auf Langeweile einlässt, aktiviert genau jene Hirnareale, die mit Selbstreflexion, Fantasie und Problemlösung zu tun haben. Das Gehirn sortiert Eindrücke, verarbeitet Reize, stellt neue Zusammenhänge her und genau daraus kann Kreativität entstehen. Einige Studien belegen sogar: Wer regelmäßig bewusst Pausen zulässt, fühlt sich langfristig zufriedener und leistungsfähiger.
Zeit ohne Zweck
Langeweile ist heute ein Stück Freiheit. Sie bedeutet, nichts leisten zu müssen. Nicht „on“ zu sein. Einfach zu existieren, ohne etwas darstellen oder erledigen zu müssen. Und genau das fühlt sich für viele mittlerweile falsch an, weil es ungewohnt ist.
Doch wer sich traut, wieder einmal nichts zu tun, der entdeckt oft, wie wohltuend dieser Zustand sein kann. Eine Stunde ziellos durch die Stadt schlendern, dem eigenen Denken beim Denken zuhören, ohne Input von außen – das ist keine verlorene Zeit. Im Gegenteil.
Der Luxus, im Moment zu sein
Vielleicht sollten wir Langeweile also nicht länger bekämpfen, sondern kultivieren. Sie ist kein Zeichen von Faulheit, sondern ein Gegenentwurf zum Dauerstress. Wer sie zulässt, schafft sich Raum für Kreativität, Reflexion und echte Entspannung.
In einer Welt, in der wir ständig online, erreichbar und aktiv sein sollen, ist Nichtstun fast schon ein Akt der Rebellion. Und vielleicht genau das, was wir alle wieder ein bisschen mehr brauchen.
Titelbild © Shutterstock
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