„Fachkräftemangel“ könnte wohl das Wort des Jahres sein, wenn man die Suche danach etwas seriöser gestalten würde. Mehr und mehr Unternehmen beklagen einen desaströsen Personalmangel, vor allem in den handwerklichen Berufen. Warum ist das so? Haben die Leute einfach keinen Bock mehr auf vermeintlich harte Arbeit, auf die Arbeit allgemein?
Der berüchtigte Fachkräftemangel in Zahlen
Fachkräftemangel bedeutet, dass bestimmte offen Stellen einfach nicht besetzt werden können. Warum? Weil am Arbeitsmarkt einfach nicht genügend passend ausgebildete Arbeitssuchende vorhanden sind. Laut stepstone leiden in Österreich acht von zehn Unternehmen daran. In konkreten Zahlen:
- 82 % der Unternehmen leiden unter dem Mangel an Fachkräften und Arbeitskräften. Bei 62 % ist dieser Mangel besonders stark spürbar.
- Bei 56 % der Betriebe führt der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel zu Umsatzeinbußen.
- Für knapp die Hälfte (44 %) der Unternehmen führt der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel bereits dazu, dass Innovationen eingeschränkt werden.
- Besonders stark nachgefragt sind Berufe im Tourismus, in der Technik, im Handwerk sowie im Verkehr und Transport.
- 82 % der Unternehmensleiter (und ihrer Angehörigen) erfahren zusätzliche Belastungen aufgrund des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels, wie von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) herausgefunden wurde.
In Deutschland sieht die Sache nicht viel besser aus, wie die FAZ berichtet. Aufgrund des generellen Personalmangels ist die Spannung auf dem deutschen Arbeitsmarkt dreimal größer als im Jahr 2010. Damals gab es lediglich 0,17 offene Stellen pro arbeitssuchende Person. Im Jahr 2022 waren es 0,56 offene Stellen.
Mission Impossible: geeignete Arbeitskräfte
Für Unternehmen ist es daher zunehmend schwierig, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren. Wäre das Verhältnis im Vergleich zu 2010 konstant geblieben, hätte die Beschäftigung in Deutschland um 1,8 Millionen Menschen mehr wachsen können. Ist sie aber nicht.
„Der Anstieg der Anspannung ist in erster Linie auf die Zunahme der offenen Stellen zurückzuführen, deren Bestand zwischen 2010 und 2022 um 139 Prozent auf rund zwei Millionen kletterte. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der arbeitsuchenden Personen um 28 Prozent auf rund vier Millionen“, erklärt Mario Bossler vom IAB-Forschungsbereich Arbeitsmarktprozesse und Institutionen.
Bedeutet: Vier Millionen Menschen sind in Deutschland auf der Suche nach einem Job. Zwei Millionen Stellen sind dabei zu besetzten. Diese Tatsache ist natürlich nicht nur ein Einstellungs-Kostentreiber für die Unternehmen.
Kein Bock auf Jobs?
Diese Zahlen sind jetzt einmal ganz spannend. In Deutschland gibt es zwei Millionen offene Stellen und vier Millionen Suchende. Ein Mangel? Nicht nur den Hobby-Mathematiker*innen will hier nicht so recht ein Licht aufgehen.
In Österreich: 95.030 offene Stellen, die sofort verfügbar wären. 275.710 Personen ohne Anstellung sind auf der Suche (nicht eingerechnet sind da die 76.841 Menschen, die sich in einer Schulung befinden). In der Theorie genügend, um den Mangel zu decken. In der Praxis? Personalmangel!
Generation Z: kein Bock?
„Wahrscheinlich wirke ich total dramatisch und nervig“, erklärt eine junge Frau und kämpft mit den Tränen. „Die Regelarbeitszeit ist verrückt. Wie hat man da noch Freunde? Wie hat man da noch Zeit für Dates? Ich habe keine Zeit für gar nichts mehr, ich bin so fertig.“, wird weiter gejammert.
Gen Z girl finds out what a real job is like
— 🌈 Tess T. Eccles-Brown, PhD (@TTEcclesBrown) October 25, 2023
Die Frau ist der Star eines TikTok-Videos, das Ende Oktober im englischsprachigen Raum viral ging. Seitdem sind die Worte des „Gen Z Girls“ zum Schlachtruf einer Generation geworden. Allein auf X, ehemals Twitter, wurde das Video fast 50 Millionen Mal angesehen. Anfangs waren die Reaktionen darauf noch abfällig und kritisch.
Doch nach und nach änderte sich die Stimmung und immer mehr Menschen gaben dem „Gen Z Girl“ schließlich recht, denn bei einem Vollzeit-Job hat wirklich niemand mehr Zeit für sein Privatleben! Innerhalb kürzester Zeit wurde die junge Frau zum Gesicht einer ganzen Generation. Das alles unter dem Credo: Wir wollen unser Leben nicht mehr nach der Arbeit ausrichten.
Der Unwille einer ganzen Generation?
Und tatsächlich wird medial überall ein klarer Unwillen der jüngeren Generation porträtiert, der noch einmal zusätzlich für Zündstoff sorgt. Personalmangel, gekoppelt mit einer scheinbar elementaren Unzufriedenheit auf Seiten der Arbeitssuchenden.
Arbeitsunwilligkeit? Stimmt so nicht ganz, den laut einer Umfrage sind 81 % der Generation Z durchaus bereit viel zu leisten – vorausgesetzt, sie sehen einen Sinn in ihrer Arbeit. Und für fast genauso viele (80 %) ist die Arbeit auch ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Das sind ähnliche Zahlen wie bei Erhebungen der Generationen davor. Die Gen Z unterscheidet sich somit, was die Arbeitsmoral betrifft, nicht wirklich gravierend von den Generationen zuvor.
Vorurteile dekonstruiert
Einzige Unterschiede scheinen der Fokus auf eine faire Bezahlung und eine entsprechende Work-Life-Balance. Das sind jetzt einmal recht schwammige Argumente, die extrem subjektiv auslegbar sind. Denn fair ist für jeden und jede etwas anderes. Darüber hinaus wirft man der Gen Z vor allem vor, zu viel zu verlangen.
Doch erstaunlicherweise sind die Gen Z genau damit nicht allein. Auch die Leistungsträger*innen Mitte 40 und 50 fordern genauso mobile Arbeit, was aber nicht so auffällt, wie Professor Enzo Weber von der IAB Nürnberg erklärt. Fazit: Es ist die Arbeitswelt an sich, die sich verändert hat und nicht so sehr eine vermutete Revolte der jungen Generation, die Druck auf ein antiquiertes System ausübt. Bedeutet: Die Arbeitnehmenden sind generell unzufrieden, nicht nur die Angehörigen der Generation Z.
Arbeitgebende vs. Arbeitssuchende?
Man hat die Betriebe mit ihren oftmals rigiden Vorstellungen einer allumfassenden Verfügbarkeit der Arbeitnehmer*innen auf der einen Seite. Und auf der anderen die Menschen bzw. Arbeitssuchende, die eben mehr danach streben, sich selbst zu verwirklichen, als einer Lohnarbeit nachzugehen.
Es gilt nun, diese beiden Lebens- bzw. Arbeitsansätze irgendwie zusammenzubringen. Und das geht durchaus, wie viele Beispiele vor allem aus den Handwerksberufen zeigen.
Viele Betreibe verharren noch in einer antiquierten Ideologie. Vor allem die Gastronomie, was aber auch einer bestimmten Nachfrage geschuldet ist (Wochenende = Fortgehzeit). Klar, am Wochenende Arbeiten ist nicht besonders attraktiv, doch gilt es dann eben andere Anreize zu schaffen.
Lohnarbeit nicht mehr so wichtig
Eine britische World Values Survey kam zu dem Schluss, dass im UK die Arbeit im Leben eines Menschen nicht mehr so wichtig ist. Bei Fragen zur Relevanz der Erwerbsarbeit landete Großbritannien sogar am letzten Platz unter allen befragten Ländern. Schon 43 Prozent der Brit*innen sind dafür, dass es gut wäre, wenn Arbeit keine so große Rolle mehr in unserem Leben spielen würde.
Der Leiter der Studie Bobby Duffy erkennt „eine stetige Entwicklung hin zu einer guten Work-Life-Balance“. Demnach sind immer weniger Menschen der Meinung, dass die Arbeit über der Freizeit stehen sollte, dass harte Arbeit zu Erfolg führt oder, dass keine Arbeit Menschen faul macht. Ein breites Umdenken – zumindest in Europa – zeichnet sich ab.
Wenn die Corona-Pandemie etwas Gutes gebracht hat, dann die Tatsache, dass uns dieser Ausnahmezustand gezeigt hat, dass es effektive und vor allem ganz praktische Alternativen zum klassischen 40-Stunden gibt.
Fazit
Die Generation Z sei zu sensibel, zu fordernd und hat zu hohe Ansprüche, um einen „echten Job“ durchzuhalten. Doch was heißt das genau? Ist es denn wirklich so verwerflich, wenn ich mich als Mensch selbst verwirklichen, mehr Zeit für mich haben und diese nicht für jemand anders (Arbeitgebenden) aufopfern will?
Wo die Office-Jobs bereits nachziehen, zeigt sich vor allem die Handwerksbranche als zu starr – flexible Arbeitszeiten sind dort leider noch die Ausnahme. Obwohl die Erfahrungen zeigen, dass die Menschen bereit sind, zu arbeiten, wenn man ihren Wünschen entgegenkommt, so reagieren die Handwerksbranchen immer noch zu zaghaft.
Warum als Arbeitgebender nicht mehr auf die Arbeitnehmenden eingehen und versuchen, diese zu unterstützen, anstatt alte Muster auf Biegen und Brechen fortzuführen zu wollen? Der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt. Die Arbeitnehmenden scheinen diesen mehr und mehr zu bestimmen. Nur wenn Betriebe auf diesen Trend reagieren, werden sie auch erfolgreich sein. Eine Herausforderung. Doch wie sich zeigt, ist diese durchaus bewältigbar.
Titelbild © Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Grüne Jugend mit falschem Demokratieverständnis: Seitenhieb auf Dr. Wlazny
Es scheint, als übernehme die Grüne Jugend Vorarlberg das klassische Wording der Großparteien und trägt damit ein falsches Demokratieverständnis an […]
Nippelalarm: der Sommertrend begleitet uns in den Herbst
Heiße Tage, heiße Nächte und ein noch heißerer Trend: in diesem Sommerzeigten Frauen selbstbewusst ihre Nippel. Für manche ist es […]
Warum Serien heutzutage wertlos sind: das betrogene Potenzial eines Mediums
Ganz egal, ob es sich um gute Serien handelt, sie ein Nischenpublikum bedienen oder von hartgesottenen Fans spezieller Genres gefeiert […]
Zwischen Schuldgefühl und Engagement - was tun gegen das Leid der Welt?
Eine Pandemie, die bereits hunderttausende Tote mit sich brachte. Polizeigewalt und Rassismus in den USA und dem Rest der Welt. […]
Postkoitale Dysphorie: depressiv nach dem Sex
Für einige Menschen tritt nach dem sexuellen Höhepunkt ein emotionales Tief ein, bekannt als postkoitale Dysphorie.
Die Serie Beef auf Netflix: im Zeichen sinnloser Rache
Mit viel schwarzem Humor und fein ausgearbeiteten Hintergründen ist Beef eine der besten Netflix Serien seit langem.