Guter Sex — jenseits des Jen-Mo-Punkts oder nicht — gilt als eine der schönsten Erfahrungen, die Menschen machen können. Orgasmen führen normalerweise zu einem Gefühl der Zufriedenheit, Glückseligkeit und Verbundenheit. Doch für einige Menschen tritt nach dem Höhepunkt ein emotionales Tief ein, bekannt als postkoitale Dysphorie. Dieses Phänomen kann sporadisch oder regelmäßig auftreten und betrifft laut Umfragen etwa jeden dritten Menschen mindestens einmal im Leben. Was genau steckt hinter der postkoitalen Dysphorie und wie kann man damit umgehen?
Depressive nach dem Sex: Was ist postkoitale Dysphorie?
Postkoitale Dysphorie (PCD) ist eine Sexualfunktionsstörung, die in der Entspannungsphase nach ansonsten erfüllendem und einvernehmlichem Geschlechtsverkehr auftritt. Betroffene erleben ein plötzliches Gefühl von Traurigkeit und Betrübtheit.
Sie fangen nach dem Sex auch oftmals, ohne ersichtlichen Grund an zu weinen, fühlen sich ängstlich oder melancholisch und manchmal sogar aggressiv. Weitere Symptome können Depressionen, erhöhtes Schamgefühl und Selbstablehnung sein.
Postkoitale Dysphorie: Frauensache?
Forscher*innen aus Australien und der Schweiz haben in einer Studie aus dem Jahr 2015 untersucht, warum manche Frauen nach dem Sex grundlos Gereiztheit oder Depressionen empfinden, ein Phänomen, das als „postkoitale Dysphorie“ bezeichnet wurde.
Diese Studie, veröffentlicht im Fachjournal Sexual Medicine, befragte 231 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahren. Nicht berücksichtigt wurden Antworten von lesbischen oder bisexuellen Frauen, da ihre Erfahrungen signifikant anders ausfallen könnten — was natürlich auch ein spannender Forschungsschwerpunkt gewesen wäre. 90 Prozent der Befragten waren europäischer Herkunft.
Von den 195 verwerteten Antworten gaben 46 Prozent der Frauen an, schon einmal postkoitale Dysphorie erlebt zu haben. Über fünf Prozent berichteten über Symptome in den letzten vier Wochen, und zwei Prozent erleben dieses Phänomen sogar nach jedem Geschlechtsverkehr. Zu den Symptomen gehören Melancholie, Depression, Beklemmung, Unruhe oder Aggression.
Auch fast jeder zweite Mann betroffen
Doch nicht nur Frauen, auch viele Männer leiden an postkoitaler Dysphorie, wie eine spätere Studie aus dem Jahre 2019 herausgefunden hat. Forscher*innen der Queensland University of Technology kamen zu dem Ergebnis, dass fast jeder zweite Mann postkoitale Dysphorie erfahren hat.
Bei der Analyse der Aussagen der 1.208 männlichen Teilnehmer aus Australien, Neuseeland, Großbritannien, den USA, Russland und Deutschland verdeutlichte sich sogar, dass 41 Prozent der Befragten postkoitale Dysphorie im Monat vor der Umfrage erlebt hatten. Allerdings gaben nur vier Prozent der befragten Männer an, nach dem Sex regelmäßig verstimmt zu sein.
Was löst dieses Gefühlschaos aus?
Die genauen Ursachen der postkoitalen Dysphorie sind noch nicht geklärt, da die Datenlage hierzu begrenzt ist. Auch die fehlende Unterstützung der Erforschung dieser Störung ist ein Thema, wie Dr. Jürgen Signerski-Krieger, Psychiater und Sexualmediziner, erklärt:
„Forschungsgelder zu bekommen ist in der Sexualmedizin bei vielen Fragestellungen fast unmöglich, es gibt kaum Pharmainteresse, wenn man von Erektionsstörungen einmal absieht.“
Dennoch scheint die Hormonausschüttung beim Sex eine Rolle zu spielen. Neben Oxytocin werden auch Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, die uns in einen Rauschzustand versetzen. Endet dieser Zustand (für den Organismus) zu abrupt nach dem Orgasmus, kann dies zu Gefühlen von Traurigkeit und innerer Leere führen.
Sexueller Missbrauch in der Kindheit als Ursache
Auch das plötzliche Ende der körperlichen und emotionalen Verbindung zum Partner oder zur Partnerin* kann eine Rolle spielen. Das Gefühl der Trennung nach der intensiven Intimität kann Trennungsängste auslösen.
Die Forscher*innen fanden auch heraus, dass sexueller Missbrauch, insbesondere in der Kindheit, ein starker Faktor für das Auftreten von postkoitaler Dysphorie ist. Auch Missbrauch im Erwachsenenalter und nicht-sexueller, psychologischer Missbrauch spielen eine Rolle.
Ein weiterer, schwerer zu fassender Faktor ist die emotionale Bindung in der Beziehung. Menschen, die sich stark emotional öffnen und abhängig machen, können nach intensiver Intimität Gefühle der Trennung und damit verbundene Depressionen oder Gereiztheit erleben.
Zudem können Bindungsängste sowie Konflikte mit gesellschaftlichen Normen und Vorurteilen ebenfalls Auslöser sein. Nicht zuletzt spielt auch die eigene Erwartungshaltung an Sex eine Rolle. Wenn der Orgasmus als zwingendes Ziel angesehen wird, kann dessen Ausbleiben natürlich zu Enttäuschung führen.
Kann man gegen die postkoitale Dysphorie etwas tun?
Ja, es gibt Möglichkeiten, mit postkoitaler Dysphorie umzugehen. Besonders in einer Beziehung ist es wichtig, mit dem Partner oder der Partnerin* über diese Gefühle zu sprechen und ihn oder sie* einzuweihen. Offene Kommunikation kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Unterstützung zu erhalten.
Im nächsten Schritt können Sexualtherapeuten oder medizinisches Fachpersonal, Allgemeinmediziner*innen oder Gynäkolog*innen, Hilfe bieten.
Da postkoitale Dysphorie die Beziehung und die Intimität negativ beeinflussen kann, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden, um das belastende Stimmungsgefälle auszugleichen. Mit therapeutischer Unterstützung können Betroffene lernen, ihre Gefühle zu verstehen und zu bewältigen, was letztlich zu einer erfüllenderen sexuellen Erfahrung und einer stärkeren emotionalen Verbindung zum Partner, zur Partnerin* führen kann.
Postkoitale Dysphorie: ein Fazit
Postkoitale Dysphorie ist eine wenig bekannte, aber durchaus belastende Sexualfunktionsstörung, die viele Menschen betreffen kann. Verständnis und Unterstützung durch den Partner, die Partner*in sowie professionelle Hilfe sind entscheidend, um diese emotionalen Tiefs zu überwinden und eine gesunde und erfüllte Sexualität zu erleben.
Indem wir offen über solche Themen sprechen und uns die notwendige Hilfe holen, können wir zu einem besseren Verständnis und Umgang mit der Vielfalt menschlicher Sexualität beitragen.
Bilder © Shutterstock
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