Zwei Wochen nach den Oberstufen wechseln ab heute auch alle anderen Schulstufen ins Distance-Learning. Zuhause bleiben ist angesagt. Doch es gibt Ausnahmen. Zum Glück!
Der österreichische Bildungsminister Heinz Faßmann hat sich bis zum Schluss gegen die Schul-„Schließungen“ eingesetzt. Doch waren die ab Dienstag in Kraft tretenden Maßnahmen aufgrund der unaufhörlich ansteigenden Neuinfektionszahlen unvermeidlich. Daher gilt: bis 7. Dezember 2020 stellen alle Schulen auf Distance-Learning um. Es heißt also: zu Hause bleiben, möchte man meinen.
Doch es gibt Ausnahmen!
Eltern können ihre Kinder auch während des Lockdown zur Betreuung und Lernbegleitung in die Schule bringen. Das österreichische Distance-Learning-Konzept ist somit recht flexibel.
Wie flexibel?
Es ist auch an einzelnen Tagen und sogar für nur einige Stunden möglich, seine Kinder in der Schule „abzugeben“. Eine Voranmeldung ist nicht nötig!
Dieselbe Regelung gilt auch für Kindergärten, an denen die Anwesenheitspflicht ebenfalls ausgesetzt worden ist. ABER: bei Bedarf – ein Bedarf, der an keinerlei Voraussetzungen gebunden ist! – können Kinder jedoch weiterhin lokal betreut werden.
Aufgrund dieses Laissez-faire-Ansatzes bezüglich der Anwesenheit in Bildungsinstitutionen für Minderjährige sind die Lehrenden und Betreuenden natürlich vor eine große Herausforderung gestellt, da völlig unklar ist, wann und wie viele SchülerInnen kommen werden. Schlussendlich entscheiden die Eltern darüber, wann und ob sie ihren Nachwuchs abgeben oder nicht.
Die österreichische Vernunft
Appelliert wird wieder einmal an die österreichische Vernunft und Eigenverantwortlichkeit. Vor allem letztere scheint eine Fähigkeit, die laut dem Psychiater Michael Musalek, – welcher die erste große Studie zu den psychischen Folgen der Coronakrise in Österreich durchgeführt hat – bei den ÖsterreicherInnen nicht so recht zu funktionieren scheint.
„Es gibt Verhaltensmuster, die in Österreich weitverbreitet sind, und die sind durch zwei Dinge gekennzeichnet. Einerseits die Neigung zum Bagatellisieren, andererseits zu dramatisieren und eine Riesenangelegenheit aus etwas zu machen.“, so der der Facharzt für Psychiatrie und Vorstand des Instituts für Psychische Gesundheit der Sigmund-Freud-Privatuniversität.
Erziehende im Spannungsfeld der Maßnahmen
Trotz dieses guten Lösungsansatzes der Regierung (das muss man in diesem Falle wirklich sagen!), der mit seiner Flexibilität geradezu geschickt auf den Zeitgeist eingeht, scheint er dennoch auch irgendwie verzwickt. Hauptsächlich für die Eltern.
Inwiefern?
Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Corinna Milborn bringt die Problematik am besten auf den Punkt:
Achtung Mütter, 2 Dinge: 1. Wenn ihr die Kinder in die Schule bringt, seid ihr egoistische Tussis denen ihre Karriere wichtiger ist als die Gesundheit der Bevölkerung! 2. Wenn ihr sie zu Hause lasst, seid ihr egoistische Glucken, die den Kinder ihre soziale Entwicklung rauben!
— Corinna Milborn (@corinnamilborn) November 17, 2020
Milborns Aussage trifft mitten ins Herz einer Doppelmoral, welche sich leider immer noch durch unsere Gesellschaft zu ziehen scheint und der vor allem Frauen zum Opfer fallen.
Erziehung ist eine extrem anspruchsvolle, schöne, aber auch zermürbende Aufgabe. Oftmals leider eine Gratwanderung entlang einer gesellschaftlich unerbittlich konstruierten Stigmatisierung. Fazit: eine Tätigkeit, bei der man eigentlich nur alles falsch machen kann.
Warum?
Weil alle anderen es immer besser wissen, als man selbst. Vor allem Leute ohne Kinder.
Zwei Welten
Doch seien wir uns mal ehrlich. Das Leben kinderloser Menschen ist mit einer Elternschaft einfach nicht auf ein und dieselbe Ebene zu stellen. Klar, es gibt PartnerInnen und Angehörige, um die man sich vielleicht kümmert, aber selten geht etwas so sehr an die Substanz wie das Erziehen der Kinder – eine Tatsache, die oft unterschätzt wird.
Unterschätzt wird auch, dass jedes Kind anders ist und die Eltern vermutlich doch am besten einschätzen können, was gut für sie ist und was nicht. In diesem Sinne ist die felxible Regelung der „Schulschließung“ perfekt, da sie sich an die individuellen Bedürfnisse der Eltern bzw. Kinder richtet.
Und dass das Ganze im zweiten Lockdown noch ein wenig schwieriger wird, ist ein offenes Geheimnis. Die Bildungsdirektionen rechnen mit einem wesentlich erhöhten Aufkommen an Schülern und Kindern in den Institutionen als im ersten Lockdown, da von den Erziehenden alle Urlaube schon aufgebraucht wurden. Nicht selten im ersten Lockdown, eben um für die Erziehung und Betreuung zu Hause bleiben zu können.
Das-Kinder-zur-Schule-bringen oder auch nicht ist also ein recht differenziert zu betrachtendes Thema. Und auch wenn man, trotz des Lockdown vermehrt Eltern ihre Kinder zur Schule oder in den Kindergarten bringen sieht als vielleicht beim ersten Lockdown, dann bitte bedenken, dass es mit Sicherheit gute und vor allem gerechtfertigte Gründe gibt, warum das Kind gebracht wird und niemand fahrlässig andere gefährden will. Solange also keine Kinder über Schulzäune geworfen werden ist ohnehin alles gut.
Einen guten Schlusspunkt zu diesem Thema bringt erneut Corinna Milborn mit ihrem Aufruf, sich nicht nach den Erwartungen einer undifferenzierten Gesellschaft zu richten, sondern selbst zu entscheiden, wie man die Dinge (in diesem Fall Erziehung) löst. Also dann!
ein guter Tag, sich zu erinnern, dass man sich als Mutter nicht an den Erwartungen „der Gesellschaft“ orientieren darf, sondern eigene Maßstäbe entwickeln muss, bis „die Gesellschaft“ verstanden hat, dass ihr Mutterbild auch 1950 schon eine giftige Dystopie war.
— Corinna Milborn (@corinnamilborn) November 17, 2020
Titelbild Credits: Shutterstock
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