In den letzten Jahren ist weltweit ein signifikanter Anstieg psychischer Erkrankungen zu beobachten. Experten warnen vor einer wachsenden „mental health crisis“, die besonders in den westlichen Industrienationen zunehmend besorgniserregende Ausmaße annimmt. Depressionen, Angststörungen, Burnout und andere psychische Leiden scheinen immer häufiger aufzutreten – doch was sind die Gründe dafür? Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Gesellschaft, und wie kann man darauf reagieren?
Ursachen für den Anstieg psychischer Erkrankungen
Die Gründe für den Anstieg psychischer Krankheiten sind vielfältig und komplex. Einige wesentliche Faktoren lassen sich dafür jedoch bestimmen.
Zunehmender Stress und Leistungsdruck
Der heutige Lebensstil ist oft von hoher Arbeitsbelastung, Leistungsdruck und Stress geprägt. Besonders in der Berufswelt wird von vielen Menschen eine permanente Erreichbarkeit erwartet, was zu Überlastung und Erschöpfung führen kann. Gleichzeitig steigt der Druck, den eigenen sozialen Status aufrechtzuerhalten und „Erfolg“ zu zeigen, was den psychischen Stress natürlich weiter verstärkt.
Vor allem der Arbeitsstress ist ein großes Thema, denn die Krankenstandstage aufgrund psychischer Diagnosen haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen: „Wurden 2010 6,9 % aller Krankenstandstage durch psychische Erkrankungen verursacht, erhöhte sich dieser Anteil innerhalb von zehn Jahren auf 11,4 % im Jahr 2021“ Tendenz steigend.
Soziale Isolation und Einsamkeit
Mit der Digitalisierung und dem Wandel der Kommunikation hat sich die soziale Interaktion verändert. Soziale Medien und digitale Plattformen ersetzen zunehmend persönliche Kontakte, was zur Isolation und Einsamkeit beitragen kann. Auch die Veränderungen im Arbeitsumfeld, wie Homeoffice und Remote-Arbeit, können dazu führen, dass Menschen sich isolierter fühlen und soziale Kontakte abnehmen.
Pandemien und ihre psychischen Auswirkungen
Die COVID-19-Pandemie hat den Anstieg psychischer Erkrankungen noch verstärkt. Lockdowns, Quarantäne-Maßnahmen, wirtschaftliche Unsicherheit und der Verlust sozialer Kontakte haben das Wohlbefinden vieler Menschen negativ beeinflusst. Besonders Kinder, Jugendliche und ältere Menschen haben stark unter den sozialen und emotionalen Einschränkungen gelitten.
Wirtschaftliche Unsicherheit
Finanzielle Sorgen und Zukunftsängste belasten immer mehr Menschen. Der Anstieg von befristeten Arbeitsverträgen, steigenden Lebenshaltungskosten und wirtschaftlicher Unsicherheit führt dazu, dass sich viele Menschen in einer instabilen Lebenssituation befinden. Diese Unsicherheit wirkt sich auch negativ auf die psychische Gesundheit aus.
Stigmatisierung und mangelnde Prävention
Zwar wird zunehmend mehr über psychische Gesundheit gesprochen, aber in vielen Kulturen ist sie immer noch ein Tabuthema. Diese Stigmatisierung führt dazu, dass Betroffene häufig keine Hilfe in Anspruch nehmen, da sie Angst vor sozialer Ablehnung haben. Auch fehlt es in vielen Ländern an Präventionsmaßnahmen und einem ausreichenden Zugang zu psychologischer Unterstützung.
Allerdings sind auch vermeintlich fortschrittliche Länder mit diesem Problem konfrontiert, dass, auch wenn psychische Erkrankungen immer mehr ihr Stigma verlieren und die Menschen immer öfter darüber sprechen – besonders bei den Jungen ist eine Enttabuisierung der psychischen Leiden zu beobachten – gerade auch in den sozialen Netzwerken, so ist es umso bedenklicher, dass die Reintegration der Betroffenen immer noch nicht gut gelingt, wie Daten aus der Schweiz bestätigen.
Die Folgen der Zunahme psychischer Erkrankungen
Der Anstieg psychischer Erkrankungen hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft
Hohe Kosten für das Gesundheitssystem
Psychische Erkrankungen führen nicht nur zu persönlichem Leid, sondern auch zu hohen Kosten für das Gesundheitssystem. Die Behandlung von psychischen Leiden ist oft langwierig und komplex, und in vielen Fällen sind wiederholte oder langfristige Therapien notwendig.
Darüber hinaus gehen viele Menschen wegen psychischer Erkrankungen in den Krankenstand oder müssen ihre Arbeit aufgeben, was auch die Wirtschaft belastet.
Auswirkungen auf die Arbeitswelt
Burnout und andere stressbedingte Erkrankungen sind inzwischen zu häufigen Ursachen für Krankheitsausfälle geworden. Der wirtschaftliche Schaden durch Produktionsausfälle, verminderte Arbeitsleistung und hohe Krankheitskosten ist enorm. Unternehmen sind deshalb zunehmend gefordert, präventive Maßnahmen zu ergreifen und ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Soziale und familiäre Konsequenzen
Psychische Erkrankungen wirken sich nicht nur auf die betroffenen Personen selbst aus, sondern auch auf deren Umfeld. Familienangehörige und Freunde sind oft stark belastet, wenn jemand im nahen Umfeld an einer psychischen Erkrankung leidet.
Dies kann zu familiären Konflikten, Beziehungsproblemen und einem höheren Risiko für psychische Belastungen auch bei den Angehörigen führen.
Zunahme der Suizidraten
Schwere psychische Erkrankungen sind eng mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden. Der Anstieg von Depressionen und anderen schwerwiegenden psychischen Leiden hat weltweit zu einer Zunahme der Suizidraten beigetragen. Dieser Trend ist besonders besorgniserregend, da viele Suizidfälle vermeidbar wären, wenn rechtzeitig psychologische Hilfe verfügbar wäre.
Lösungsansätze: Wie kann die Gesellschaft reagieren?
Um der zunehmenden Belastung durch psychische Erkrankungen entgegenzuwirken, sind umfassende Maßnahmen notwendig. Hier einige mögliche Ansätze:
Bessere Aufklärung und Entstigmatisierung
Um psychische Erkrankungen besser zu verstehen und Menschen dazu zu ermutigen, frühzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist eine breitere Aufklärung erforderlich. Kampagnen, die auf die Normalität psychischer Probleme hinweisen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen, können dazu beitragen, die Stigmatisierung zu reduzieren und Betroffene zu ermutigen, offen über ihre Situation zu sprechen.
Ausbau des Zugangs zu psychologischer Hilfe
Der Zugang zu psychologischer Unterstützung ist in vielen Ländern immer noch begrenzt. Es sind mehr Psychotherapeuten, Beratungsstellen und niedrigschwellige Hilfsangebote nötig, um die wachsende Nachfrage abzudecken. Die Wartezeiten auf Therapieplätze müssen verkürzt und flexible Angebote wie Online-Beratung ausgebaut werden.
Präventive Maßnahmen am Arbeitsplatz
Unternehmen können einen großen Beitrag zur Förderung der psychischen Gesundheit leisten, indem sie Programme zur Stressbewältigung und Burnout-Prävention anbieten. Flexible Arbeitszeitmodelle, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie regelmäßige Gesundheitschecks können dazu beitragen, die Belastung der Arbeitnehmer zu verringern.
Förderung von Resilienz und Selbstfürsorge
Die Fähigkeit, mit Stress und Krisen umzugehen, kann trainiert werden. Programme zur Förderung von Resilienz und Achtsamkeit, die bereits in Schulen oder am Arbeitsplatz integriert werden, können langfristig die psychische Gesundheit stärken. Es ist wichtig, dass Menschen früh lernen, wie sie sich selbst gut versorgen und in belastenden Zeiten Unterstützung suchen können.
Politische Unterstützung und Investitionen in die psychische Gesundheit
Regierungen sollten mehr finanzielle Mittel in die Erforschung, Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen investieren. Dies könnte auch die Einführung von Programmen zur Schulung von Lehrern, Managern und anderen Schlüsselpersonen umfassen, um frühzeitig Anzeichen psychischer Probleme zu erkennen und Unterstützung bereitzustellen.
Vielfach unterschätzt
Vielfach unterschätzt werden negative Folgen psychischer Belastung, welche sich zwar nicht in einer psychischen Erkrankung niederschlagen, jedoch trotzdem schädlich sind.
Das britische Amt für Statistik schätzt, dass 20 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter unter Symptomen leidet, die mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, aber nicht die Diagnosekriterien einer psychischen Störung erfüllen. Diese mit psychischen Erkrankungen einhergehenden Symptome können jedoch die Lebensqualität und das Funktionsniveau des Einzelnen bereits erheblich beeinträchtigen.
Dazu zählen Symptome wie Schlafprobleme, chronische Müdigkeit, Irritierbarkeit und Sorgen. Jede 5. arbeitende Person leide demnach an Symptomen, welche mit psychischen Erkrankungen assoziiert sind.
Psychische Erkrankungen: ein Fazit
Die Zunahme psychischer Erkrankungen ist eine Herausforderung, die nicht ignoriert werden kann. Die Gründe dafür sind vielfältig und erfordern einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, um sowohl die Ursachen zu bekämpfen als auch die Betroffenen besser zu unterstützen.
Mit einer Kombination aus Aufklärung, Zugang zu psychologischer Hilfe, präventiven Maßnahmen und politischer Unterstützung kann es gelingen, diese Krise in den Griff zu bekommen und die psychische Gesundheit der Menschen langfristig zu stärken.
Titelbild © Shutterstock
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