7 psychologische Begriffe in der Alltagssprache, die Krankheiten verharmlosen

Die inflationäre Verwendung von Worten und Begriffen aus der Psychologie und Therapie mag unter anderem auch zur Entstigmatisierung beitragen. Doch während vermeintlich eine Sensibilisierung für diverse Störungsbilder und Krankheiten stattfindet, erfahren diese in Wirklichkeit eine Verharmlosung. Und damit auch die wirklich Betroffenen. Denn, ob man nun „ein bisschen depri“ ist oder tatsächlich an einer Depression leidet, macht einen gewaltigen Unterschied. Sprache beeinflusst unser Denken – wodurch auch ein falsches Bild von Störungen entsteht. Wir stellen euch 8 psychologische Begriffe vor, die ihr besser aus eurer Alltagssprache streicht – vor allem, wenn ihr nicht deren wahre Bedeutung kennt.
„Ich war gestern voll depri. Zum Glück hat mich der Spaziergang sofort wieder dem Tief gerissen.“ Was bei einer Laune funktionieren mag, hilft bei einer echten Depression gar nicht. Genauso verhält es sich, wenn beispielsweise eine schlechte Anmache im Club bereits als traumatisch betitelt wird. Eine posttraumatische Belastungsstörung löst dies wohl kaum aus und verharmlost die sehr einschneidenden, negativen Erfahrungen der Betroffenen einer solchen Erkrankung.
In unserer Alltagssprache finden sich viele Begriffe aus der Psychologie und der Therapie. Viele von ihnen verwenden wir zu inflationär. Es ist ja auch nicht zu hören, dass Leute permanent von einem Hirntumor sprechen, wenn sie Kopfschmerzen haben – Hypochonder ausgenommen. Oder, dass sie sagen, sie hätten ein gebrochenes Bein, nachdem sie sich kurz am Stuhl gestoßen haben. Genauso sollten auch psychologische Begriffe genutzt werden.
Das Problem mit der Verharmlosung durch die inflationäre Verwendung psychologischer Begriffe
Denn durch die verharmlosende Nutzung schaden wir teils nicht nur jenen, die wir beispielsweise als Beleidigung leichtfertig des Narzissmus bezichtigen oder als Psychopathen bezeichnen, sondern vor allem jenen, die wirklich unter psychischen Störungen zu leiden haben. Diese Menschen kämpfen bereits mit dem Stigma psychischer Erkrankungen. Das gesunkene Selbstwertgefühl und die Scham tragen nicht gerade dazu bei, dass sich Menschen in Behandlung begeben oder ihren Kampf mit der Störung aufnehmen – so auch die Lehrmeinung.
Durch die Verharmlosung sehen sich Betroffene auch noch mit „einfachen Lösungen“ konfrontiert. „Sei doch nicht traurig, morgen ist eh wieder alles gut“, ist so ziemlich das Letzte, was bei einer Depression hilft. Genau sowenig wie „Denk positiv!“ bei Kopfschmerzen Abhilfe schafft.
Wir stellen dir deshalb 7 psychologische Begriffe vor, die du besser nicht zu häufig verwendest:
1. Narzisst: Nicht jede:r Egoist:in oder unsympathische Mensch ist auch ein:e Narzisst:in
Ein in der Alltagssprache eindeutig zu häufig verwendeter Begriff: Narzissmus. Was eine ernsthafte Störung ist, die zu mentaler und im schlimmsten Fall auch körperlicher Selbst- und Fremdschädigung führt, findet als Schuldzuweisung oder Betitelung von Menschen, die uns gerade nicht in den Kram passen, häufig Verwendung. Dabei gibt es ganz klare Kriterien, die den Narzissmus definieren und von nicht-pathologischen Verhaltensweisen abgrenzen.
„Der Dude war ein richtiger Narzisst.“ War er das? Oder war er nicht einfach nur unachtsam, egoistisch oder lieblos? Denn die Opfer von Narzisst:innen leiden in Beziehungen sehr stark unter Lovebombing und Gaslighting. In Freundschaften zeigt sich ein ebenso einseitiges Verhältnis. Wer es also wirklich mit Narzissten zu tun bekommt, trägt einen wesentlich größeren Schaden davon, als bei einem unangenehmen Date oder einer nicht ganz gut gelaufenen Beziehung.
Side Fact: Nicht selten handelt es sich bei scheinbaren Narzisst:innen um die unreife Persönlichkeitsstörung.
2. Depression oder umgangssprachlich depri: Schaffst du es noch aufzustehen?
Wohl das gängigste Wort unter den hier genannten psychologischen Begriffen: Depri oder Depression. Menschen, die unter einer Depression leiden, kämpfen mit ganz anderen Dämonen, als jemand, der ein bisschen niedergeschlagen oder traurig ist. Das Level der Antriebslosigkeit und Müdigkeit, sowie auch der absoluten inneren Leere und der niedergeschlagenen Stimmung geht bei einer Depression so weit, dass Menschen die Fähigkeit verlieren, aus dem Bett aufzukommen – oder im schlimmsten Fall führt es zu Selbstmord.
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Der innere Konflikt während einer Depression bewegt sich zwischen absoluter Trauer und Selbsthass aufgrund der vermeintlichen Schwäche. Ein Lauf um den Block oder ein Spaziergang könnte vielleicht nach langanhaltender Therapie eine der Coping-Strategien (dt.: Bewältigungsstrategie) einer anfänglichen Depression sein, führt aber nie langfristig zu einer Besserung. Bei einfacher Niedergeschlagenheit aber hilft es durchaus.
Tipp: Wie man bei Angst und Depression helfen kann, erfährst du im verlinkten Beitrag.
3. Psycho oder Psychopath: Der psychologische Begriff als leichtfertige Beleidigung
Wer sich einen Psychopathen vorstellt, wird wohl kaum dabei wirklich an seinen nervigen, lauten Nachbarn oder die ab und an hysterische Arbeitskollegin denken. Sondern vielmehr kommen einem dann abartige Mörder oder absolut herzlose Menschen in den Sinn.
Pathologische Psychopathen spielen tatsächlich in einer anderen Liga, wenn es um fehlende Empathie oder um ein soziales Gewissen geht – deshalb findet man nicht selten Psychopathen in Führungspositionen. Natürlich mag eine geringe Empathie oder Herzlosigkeit beim ein oder anderen Menschen in abgeschwächter Form auch der Fall sein, jedoch sind diese noch lange keine Psychopathen.
Side Fact: Die dunkle Triade beinhaltet übrigens Psychopathen.
4. Anxiety: Wenn es nach den sozialen Medien geht, hat gefühlt jede:r Zweite eine Angststörung
Wer kennt sie nicht, die zahlreichen Posts, die von Anxiety sprechen oder dieses Thema ansprechen. Natürlich spielen Angstzustände in vielen Lebenssituationen eine Rolle und betreffen auch viele Menschen. „Etwa 10 % der Allgemeinbevölkerung leiden unter Angststörungen, wobei Sozialphobie und spezifische Phobien am häufigsten vorkommen“, wie es in der wissenschaftlichen Publikation Epidemiologie der Angststörung beschrieben wird (In Deutschland sind es laut der Statista sogar 25 %). Dafür zu sensibilisieren, macht also durchaus Sinn.
Jedoch fallen durch Spritzen-Phobie, Arachnophobie, Zahnarztangst oder ähnliches der Großteil der Fälle auf spezifische Angststörungen, mit denen sich Betroffene nicht tagtäglich konfrontiert sehen. Demgegenüber gibt es aber die generalisierte Angststörung, die den Alltag Betroffener auf einem ganz anderen Niveau einschränkt.
Betroffene einer Angststörung leiden unter Paralyse-ähnlichen Zuständen. Ihre Angst hat nicht in nachvollziehbaren Umständen ihren Ursprung, sondern meist in für Außenstehende vollkommen irrationalen. Wie gesagt fallen auch Phobien unter die Angststörungen und bilden die häufigste Äußerung solcher – aber diese schränken einen nur in sehr spezifischen Fällen ein. Jemand, mit einer generalisierten Angststörung macht sich laufend Sorgen, vom Verlust des Schlüssels, bis hin zum Autounfall mit Todesfolge.
5. Schizo: Einerseits falsch verstanden, andererseits wohl eine der heftigsten Erkrankungen
Im trivialen Sprachgebrauch findet Schizo beziehungsweise Schizophrenie meist als Beleidigung oder hämische Bezeichnung Verwendung. Nicht selten verstehen Menschen darunter eine zwiegespaltene Persönlichkeit, was jedoch vollkommen falsch ist. In diesem Fall spräche man nämlich von einer dissoziativen Identitätsstörung (früher: multiplen Persönlichkeitsstörung). Denn schizophrene Menschen haben nur einen Persönlichkeitsanteil und leiden unter Psychosen – Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder schwerwiegende Denkstörungen.
Die Schizophrenie bringt massive Einschränkungen mit sich und kann nicht ohne Medikamente behandelt werden. Sie ist eine der wohl schlimmsten psychischen Erkrankungen, denn sie konfrontiert Betroffene mit vielen Herausforderungen, welche die Bewältigung des Alltages unmöglich macht. Deshalb solltest du vor allem mit dem Wort Schizo sehr sorgsam umgehen. Er ist einer jener psychologischen Begriffe, die gemessen an der Häufigkeit der Diagnose am häufigsten zur Verwendung kommt.
6. Irrenanstalt oder Klapsmühle: Ein Begriff, der nicht nur verharmlost, sondern auch stigmatisiert
Diese zwei Worte sind veraltete und nicht mehr gebräuchliche Bezeichnungen für eine psychiatrische Klinik. Diese Begriffe stammen aus Zeiten, in denen psychische Erkrankungen noch ein vollkommen anderes Bild in der Gesellschaft genossen hatten. Die Betrachtung psychischer Krankheiten und auch deren Behandlung war damals äußerst unschön und spiegelt keineswegs unseren heutigen Wissensstand wider. Allein deshalb schon sollten wir diese Begriffe auch nicht in unsere Alltagssprache integrieren.
Geht es um Betroffene psychischer Erkrankungen, wirken diese Wörter zudem abschreckend für unsichere Hilfesuchende. Durch die Stigmatisierung einer psychiatrischen Einrichtung mit Worten wie Irrenanstalt oder Klapsmühle erscheint diese als negative letzte Anlaufstelle. Sie sollte aber als sozial vollkommen akzeptierte Einrichtung fungieren, die einem dabei hilft zu gesunden. Wie es eben beim Krankenhaus der Fall ist.
7. Trauma oder traumatisch: Einer der psychologischen Begriffe, die absurd triviale Verwendung finden
Psychische oder physische Gewalt sowie eine Vergewaltigung sind traumatisch, ein Anschlag oder schwerer Unfall ebenso, extreme elterliche Ablehnung kann es auch sein, aber keineswegs der Umstand, dass der Lieblings-Prosecco oder die gewünschte Jeans ausverkauft sind. Was auf sozialen Medien manchmal als Trauma betitelt ist, hat mit einem echten Trauma selten etwas gemein.
@peetmontzingo low key this process was traumatizing😭 @queenmamadrama
♬ More Than A Woman – SG’s Paradise Edit – Bee Gees & SG Lewis
Ein echtes Trauma oder eine posttraumatische Belastungsstörung führt zu emotional aufreibenden Flashbacks, Vermeidung von ähnlichen Situationen, wie jenen, in denen das Trauma hervorgerufen wurde, oder auch ein vollkommen erschüttertes Selbstbild. Zudem drängt sich ein inneres Wiedererleben auf, was laufend Angstzustände hervorruft.
Fazit: Psychologische Begriffe in der Alltagssprache
Diese Liste könnte natürlich mit Worten wie „bipolar“ oder einfacher noch „gestört“ sehr lange weitergeführt werden. Jedoch zeigen diese Beispiele sehr gut, wie die triviale Verwendung der Worte zu einer Stigmatisierung führen können, in jedem Fall aber zu einer Verhamlosung von psychischen Erkrankungen führen. Sich in der Verwendung zu reflektieren schadet keineswegs. Und noch weniger schadet es, sich über diese psychischen Erkrankung zu informieren und in der Gesellschaft dafür zu senibilisieren. Denn Krankheiten sind keine Launen. Und aussuchen kann man sich diese ebensowenig.
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