Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Angst oder Depression leidet. So hätte sich die oft zitierte Kurz’sche Prognose wohl schon lange bewahrheitet. Bereits im Juli bestätigte eine Studie, was längst wie eine Binsenweisheit klingt: dass sich die Corona-Pandemie und deren Folgen negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Angst und Depression sind allgegenwärtig.
Aber was tun, wenn jemand aus deinem Umfeld in einer Depression steckt? Oder eine Angststörung entwickelt hat? Was sagen, wenn dir ein Familienmitglied von depressiven Symptomen erzählt? Wie kannst du helfen?
Im Folgenden findest du Wege, die du in einem solchen Fall einschlagen kannst – und erfährst, welche oft gutgemeinten Phrasen du bei Angst und Depression lieber für dich behalten solltest.
Angst und Depression: Don’ts – was du vermeiden solltest
1. Ungefragt Ratschläge geben
„Hast du’s schon mit Meditation versucht?“
„Es gibt da diesen Einschlaftee, der soll gut sein.“ –
„Vielleicht solltest du öfter mal rausgehen.“ –
„Das ist alles nur in deinem Kopf. Denk einfach an die schönen Dinge im Leben.“
Gutgemeinte Ratschläge, die aber alles andere als gut sind. Warum? Weil sie vermitteln, dass es eine „leichte“ Lösung gibt, die man „nur“ anwenden muss. Weil sie vermitteln, dass dein Gegenüber es einfach nicht stark genug versucht. Weil sie Angst und Depression nicht als Erkrankung anerkennen. Und so die Wichtigkeit therapeutischer bzw. medikamentöser Behandlung herunterspielen.
2. Mit eigenen Erfahrungen vergleichen
„Ich weiß genau, wie du dich fühlst.“ –
„So ähnlich habe ich mich auch gefühlt, als …“
„Was mir damals geholfen hat, war…“
Warum solche Vergleiche nicht hilfreich sind? Weil sie psychische Erkrankungen zu relativieren versuchen. Jeder war schon mal traurig oder ängstlich. Aber das ist nicht dasselbe wie etwa depressiv zu sein – und sollte auch nicht so bezeichnet werden. Eine Depression oder eine Angststörung fühlt sich anders an. Wie genau, das kannst du nicht wissen. Es ist bei jedem Menschen anders. Also gib deinem Gegenüber den Raum, dir davon zu erzählen. Ohne diesen Raum gleich wieder mit deinen eigenen Erfahrungen auszufüllen.
Du warst oder bist selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen? Dann kann ein Erfahrungsaustausch hilfreich sein. Vielleicht einen Hoffnungsschimmer aufleuchten lassen. Aber erst, nachdem du deinem Gegenüber zugehört hast – außer, es bittet dich explizit darum, zuerst von dir zu erzählen.
Hier erfährst du übrigens, wie du auf Krankenkassenkosten therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen kannst.
3. Die betroffene Person meiden
Angst und Depression sind oft mit sozialem Rückzug verbunden. Einerseits erscheinen soziale Situationen anstrengend, vielleicht sogar kaum zu bewältigen. Andererseits sprechen Betroffene häufig nicht darüber, wie es ihnen wirklich geht – um nicht zur Last zu fallen.
Unterstütze sie nicht in diesem Meidungsverhalten. Du brauchst dich nicht aufzudrängen: Eine kurze Whatsapp-Nachricht reicht. Oder einfach nur ein Meme, das euch beide irgendwie verbindet. Das zeigt, dass du an die betroffene Person denkst. Dasein statt meiden. Es kann so einfach sein.
Und auch, wenn dir dein Gegenüber immer öfter absagt, wenn du ein Treffen vorschlägst: Hör nicht damit auf. Es tut gut, zu wissen: Es denkt immer noch jemand an mich. Ich gehöre immer noch dazu. Auch, wenn es nicht immer gelingt, eine Einladung anzunehmen. Oder besser: gerade dann.
4. Die betroffene Person kritisieren oder verurteilen
„Schau doch, wie gut es dir geht!“
„Wann ist denn deine schlechte Laune endlich wieder vorbei?“
Sätze wie Gift, das wütend in den Körper eindringt. Das ist das Don’t, das ich am liebsten fünf- oder gleich hundertmal unterstreichen würde. Niemand sollte jemals für seine Erkrankung kritisiert oder gar verurteilt werden. Eine Depression oder Angststörung bildet man sich nicht einfach nur ein. Sie ist real, sowohl auf psychischer als auch auf neurophysiologischer Ebene. Sogar genetische Faktoren können hier eine Rolle spielen.
Man kann also nicht einfach von heute auf morgen damit aufhören, depressiv zu sein. Und das von einer Person zu verlangen, ist nicht nur anmaßend, sondern höchst kontraproduktiv. Es ist klar, dass es auch für dich belastend sein kann, wenn eine Person in deinem Umfeld ständig „schlecht drauf“ ist. Aber ihr dafür die Schuld zuzuschieben? Davon hat niemand etwas. Das tut einfach nur weh.
5. Psychopharmaka verteufeln
Wer Kopfschmerzen hat, nimmt Aspirin. Nach einer Thrombose bekommt man Blutverdünner verschrieben und bei einem starken Bandscheibenvorfall gibt’s Morphin. Haben diese Medikamente Nebenwirkungen? Manche mehr, manche weniger. Nehmen wir sie trotzdem? Ja – weil die Lebensqualität trotz Nebenwirkungen immer noch höher ist als ohne Medikament.
Genauso ist es bei psychischen Erkrankungen. Bei Angst und Depression können etwa Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Linderung schaffen: Der Botenstoff Serotonin bleibt länger im synaptischen Spalt, d. h. seine Wirkung ist länger spürbar. Da Serotonin stimmungsaufhellend und beruhigend wirkt, kann sich die Symptomatik so bessern. Ein wichtiger und oft notwendiger Prozess, wenn Psychotherapie allein nicht ausreicht. Und die Nebenwirkungen bei SSRI sind meist geringer als bei anderen Psychopharmaka.
Natürlich sollte man nicht wahllos Antidepressiva oder Beruhigungsmittel einnehmen. Die richtige Einstellung der Medikamente muss gemeinsam mit einer*einem Psychiater*in erfolgen. Manche Menschen überwinden ihre Angst bzw. Depression vielleicht auch besser ohne Psychopharmaka. Aber andere brauchen sie im Heilungsprozess. Genauso wie Thrombosepatient*innen ihren Blutverdünner.
Und: Es muss keine Entscheidung für immer sein. Wer merkt, dass die Medikamente nicht guttun, kann sie wieder absetzen. Und wenn sie jemand sein Leben lang nimmt? Dann ist das auch völlig okay.
6. Das körperliche Erscheinungsbild kommentieren
Vermeintlich kleine, gutgemeinte Sätze wie „Dein Körper ist doch perfekt!“ oder „Hast du abgenommen?“ können eine Lawine an Gedanken lostreten. Sie können eine Person darin bestärken, ungesunde Verhaltensweisen fortzuführen. Oder sie darin bestätigen, dass es rein der Körper ist, der sie attraktiv und liebenswert macht.
Warum ich hier für Achtsamkeit bei Essstörungen plädiere, obwohl es doch um Angst und Depression gehen soll? Essstörungen sind oft unsichtbar. Und werden meist als eigene Gruppe von psychischen Erkrankungen wahrgenommen. Doch Essstörungen, Angst und Depression sind wie Schwestern. Sie treten sehr oft im Zweier- oder sogar im Dreierpack auf. Das heißt natürlich nicht, dass jede Person, die an einer Depression und/oder Angststörung leidet, auch eine Essstörung hat. Aber es heißt, dass es gut möglich ist. Und dass es besser ist, achtsam und sensibel zu sein. Mehr zu Essstörungen, vor allem zur Ess-Brechsucht, findet ihr hier.
6 Phrasen, die du bei Angst und Depression vermeiden solltest:
„Jeder fühlt sich ab und zu so. Das ist normal.“
„Aber es geht dir doch eigentlich gut, oder?“
„Denk doch mal an was anderes!“
„Das ist nur eine Phase.“
„Anderen Menschen geht es so viel schlechter als dir.“
„Warum kannst du nicht die vielen positiven Dinge sehen?“
Angst und Depression: Dos – so kannst du helfen
1. Informiere dich über Depressionen und Angst
Da ist jemand, den du sehr gern hast. Und dieser Person geht es nicht gut. Du verstehst nicht genau, warum, und du fühlst dich hilflos. Das ist okay. Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft wissen sehr wenig über psychische Erkrankungen. Du bist nicht allein.
Aber du kannst es ändern. Lies nach, wie sich Angst und Depression auswirken können. Welche Symptome es gibt. Wie verschieden sie oft sind. Es wird dir helfen, Vorurteile abzubauen. Die betroffene Person ein wenig besser zu verstehen. Und deinem Gegenüber wird es zeigen, dass du ernstnimmst, wie es ihm geht.
2. Hör zu
Zuhören, wirklich zuhören – das kann schwierig sein. So gerne möchte man eigene Erfahrungen teilen. Ratschläge geben, die einem selbst geholfen haben. Zuhören, um selbst etwas sagen zu können – das ist meist Standard. Aber wie wäre es damit: zuhören, um zu verstehen? Um das zu hören, was du selbst noch nicht weißt? Was du noch nicht erfahren hast?
So ein Zuhören braucht es. Ein aktives Zuhören, in dem Raum für dein Gegenüber ist. Für ein Leid, das du – zum Glück – nicht kennst. Aber besser verstehen lernen kannst. Und: Es ist auch okay, einmal gemeinsam zu schweigen. Nicht jede Stille muss gefüllt werden. Denn nicht jede Stille muss gleich leer sein.
3. Akzeptiere, dass du nicht alles verstehen kannst
Zuhören hilft, dein Gegenüber besser zu verstehen. Aber nicht alles wirst du nachempfinden können. Nicht alles wirst du so fühlen können, wie es eine betroffene Person tut. Und das ist gut so. Depression ist nicht dasselbe wie mal „traurig“ oder „schlecht drauf“ zu sein, und eine Angststörung geht oft mit körperlichen Symptomen einher, wegen denen die meisten Menschen sofort zum Arzt laufen würden. Es ist gut, dass du nicht so fühlst. Es ist eine Erkrankung. Wichtig ist, sie als solche anzuerkennen.
4. Frag, was du tun kannst
Oft sind es nur Kleinigkeiten. Vielleicht mal die Einkäufe erledigen. Oder Medikamente von der Apotheke holen. Vielleicht reicht es auch, zu sagen: Du kannst mir immer schreiben, wenn es dir nicht gut geht. Frag nach, was dein Gegenüber braucht. Und zeig, dass es okay ist, deine Hilfe anzunehmen.
5. Sei da – Depressionen und Angst brauchen nicht immer Erklärungen
Es klingt so simpel. Sei da. Und oft ist es das auch. Oft hilft es schon, zu wissen: Da ist jemand, der mir zuhört. Da ist jemand, dem ich wichtig bin. Da ist jemand, der mir sagt: So wie ich bin, das ist okay. Sag das ruhig öfter als einmal. Angst und Depression sind meist einsame Krankheiten. Es wird oft „vergessen“, dass es Menschen gibt, die für einen da sein möchten. Die da sind. Erinnere dein Gegenüber daran. Sprich aus, dass du da bist – und dass sich das so schnell nicht ändern wird.
6. Gib Hoffnung
Es ist wichtig, dass Betroffene verstehen: Du musst dich nicht immer so fühlen. Sowohl Angst als auch Depression sind in den allermeisten Fällen behandelbar. Wesentlich ist, dass die Erkrankung erkannt wird. Erkenne sie als solche an und unterstütze dein Gegenüber darin, Therapie in Anspruch zu nehmen – zunächst Psychotherapie, und wenn nötig, auch Psychopharmaka. Sei offen. Vermittle der betroffenen Person, dass es okay ist, Hilfe zu suchen. Dass sie nicht verrückt ist. Dass es eine Krankheit ist, die sich behandeln lässt. Dass es wieder besser werden kann. Und werden wird.
7. Sei geduldig und nimm es nicht persönlich
One step at a time. Eine psychische Erkrankung wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Gib deinem Gegenüber Zeit. Und halt dich nicht an einzelnen schlechten Tagen fest, sondern schau aufs große Ganze. Auf all den Fortschritt, der schon passiert ist. Denn schon allein der Schritt, über die Erkrankung zu sprechen – sie sich einzugestehen –, ist riesengroß.
Wann immer etwas Neues erreicht ist: Verbalisiere es. Sag nie: Jetzt ist das endlich vorbei. Sag lieber: Ich freue mich so, dass du das geschafft hast. Oder: Es ist so schön, dass es dir damit jetzt besser geht. Jeder noch so kleine Erfolg ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg aus der Erkrankung. Jeder noch so kleine Erfolg darf und soll als solcher gewürdigt werden.
Und wenn du mal keine Antwort auf eine Nachricht bekommst: Nimm es nicht persönlich. Selbst dann nicht, wenn du siehst, dass die Person etwa auf Instagram aktiv war. Oder deine Nachricht schon zwei blaue Haken hat. Das bedeutet nicht, dass die Person dir nicht antworten will. Vielmehr, dass sie es wahrscheinlich gerade nicht kann. Wie gesagt: Gib ihr Zeit. One step at a time.
8. Schau auf dich selbst
So viele Dinge zu beachten. So viel Raum, der gegeben werden soll. Auch das kann anstrengend sein. Auch das kann belasten. Wenn du merkst, dass es zu belastend wird: Ignoriere es nicht. Deine eigene Gesundheit ist ebenso wichtig.
Was du tun kannst: klare Grenzen setzen. „Nein“ sagen ist okay (vielleicht nicht während eines Major Breakdowns, aber das sollte nicht die Standardsituation sein). Und auch du kannst Hilfe in Anspruch nehmen. Seien es Freund*innen, mit denen du sprichst, oder ein*e Psychotherapeut*in, die*der dich unterstützt. Vor allem, wenn dein*e Partner*in betroffen ist: Nimm nicht alles allein auf dich. Es ist eine Last, die leichter wird, wenn man sie teilt.
Wichtig ist, dass du dir bewusst bist, dass du die betroffene Person wahrscheinlich nicht heilen kannst – nicht heilen musst. Du kannst sie auf ihrem Weg begleiten. Du kannst ihr vieles erleichtern. Aber letztendlich liegt ihre Gesundheit nicht in deiner Verantwortung.
Und zu guter Letzt noch …
6 Sätze, die bei Angst und Depression helfen können:
„Wie fühlst du dich heute?“
„Ich bin für dich da.“
„Du musst da nicht allein durch.“
„Es tut mir leid, dass du dich so fühlst. Das muss sehr schlimm sein.“
„Ich weiß nicht genau, wie sich das für dich gerade anfühlt. Aber ich möchte dir helfen.“
„Ich bin stolz auf dich, dass du darüber sprichst.“
Titelbild Credits: Shutterstock
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