„Red‘ ma Deutsch“: Sprachexperte Ali Dönmez im Interview über die neue „Hausordnung“ in Wels

„Red‘ ma deutsch“ ist eine von fünf Regeln, welche die FPÖ regierte Stadt Wels im Rahmen einer „Hausordnung“ kürzlich erlassen hat. Unter dem Deckmantel „mehr Lebensqualität“ für die Bürger*innen garantieren zu wollen, werden Schuldige benannt, welche die Lebensqualität angeblich nach unten ziehen. Die Verordnung enthält weitere Punkte, wie zum Beispiel „Mach‘ kan Lärm“. Eine Regel, welche spielende Kinder auf Spielplätzen durch den Lärmpegel zum Feindbild degradiert. Die Verordnungen lesen sich auf den ersten Blick wie harmlose Richtlinien für ein besseres Miteinander, bei genauerer Betrachtung sind sie jedoch voller übergriffiger Unterstellungen. Dabei zielen sie auf die typischen Feindbilder der FPÖ ab, wie Ausländer*innen und Kinder, also all jene, die sich nicht wehren können.
Die Regeln sorgen für eine Spaltung der Gemüter und haben der FPÖ reichlich Kritik beschert. Dass Kinder auf Spielplätzen keinen Lärm mehr machen sollen, geht selbst Parteien wie der ÖVP zu weit, welche in einer Aussendung betont, dass Kinderlärm „Zukunftsmusik“ sei. Die SPÖ kritisierte die FPÖ ebenfalls scharf und sprach hier von „dilettantischer Symbolpolitik„. Doch was genau ist diskriminierend und entwertend an Punkten wie „Red‘ ma Deutsch„? Um das für euch herauszufinden, haben wir uns mit Ali Dönmez einem Logopäden und Experten für Mehrsprachigkeit, zu einem Interview getroffen.
„Red ma‘ Deutsch“ — Hausordnung definiert Feindbilder
Hallo Ali, beim Durchschauen der sozialen Medien rund um Kommentare zu der Verordnung der Stadt Wels und Punkte wie „Red‘ ma Deutsch“ sind wir über ein Posting von dir gestolpert. Kannst du unserer Leserschaft für den Einstieg kurz erklären, worum es bei „Red‘ ma Deutsch“ und der „Hausordnung“ geht?
Ali Dönmez: Also bei der Welser „Hausordnung“ steht gleich im Intro, dass in Wels 128 Nationen mit mehr als 50 Sprachen leben und es aufgrund von kulturellen Missverständnissen zu Beschwerden aus der Bevölkerung kommt.
Deswegen hatte man anscheinend die Idee, eine „Hausordnung“ zu erlassen. Im Rahmen dieser wurden fünf Regeln aufgestellt, wo es um: Mülltrennung, gemeinsame Sprache – Deutsch, Lärm, Rücksichtnahme und Freundlichkeit geht. Das sind die konkreten Punkte der Hausordnung.
Ali Dönmez über Sprachverbote und Sprachgebote
Du arbeitest tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen, für die Deutsch häufig die Zweitsprache ist. Deshalb erlebst du aus erster Hand, wie Diskriminierung grundsätzlich sprachhemmend und kontraproduktiv sein kann. Kannst du uns erklären, was genau rassistisch und diskriminierend an der Regel „Red‘ ma Deutsch“ ist? Und was bedeutet eigentlich positive Diskriminierung?
Ali Dönmez: Bei dem Punkt der Verordnung „Red‘ ma Deutsch“ als gemeinsame Sprache steht gleich in der Einleitung: „… um Konflikte und Missverständnisse zu vermeiden, braucht es vor allem eines und das ist eine gemeinsame Sprache„.
Es wird auf den ersten Blick positiv formuliert, aber die eigentliche Frage ist folgende: „Wenn alle Deutsch sprechen, gibt es dann keine Konflikte oder Missverständnisse mehr?„. Dieser moralisierende Zugang begegnet uns häufig, wenn es um Sprachgebote geht. Denn im Allgemeinen ist dieses Thema grundsätzlich unter Sprachgebote und Sprachverbote zu verstehen.
Sprachverbote sind sehr leicht zu identifizieren. Dabei geht es darum, wenn einem die Sprache verboten wird. Sprachgebote hingegen werden meist sehr positiv formuliert. Nach dem Motto: „Ja, wir wollen keine Konflikte haben. Wir wollen alle eine Gemeinschaft sein. Deswegen möchten wir, dass nur Deutsch gesprochen wird. Alle anderen Sprachen könnt ihr ja zu Hause sprechen. Das brauchen wir nicht und wir fördern auch nur die deutsche Sprache.“ Die Implikationen bestehen aus dem Ausschluss anderer Sprachen.
Diese Botschaften führen Menschen in ein moralisches Dilemma
Ali Dönmez: Diese Sprachgebote sind sehr schwer zu identifizieren, da sie moralisieren und Personen in ein Dilemma führen. Wer will denn schon für Konflikte verantwortlich sein? Ich will keine Missverständnisse verursachen, deswegen sollte ich Deutsch sprechen. Es ist sozusagen ein gefügig machen.
Auch die Art und Weise, wie das Ganze formuliert ist, ist sehr paternalistisch. Da wird Eltern erklärt, wie wichtig doch Deutsch sei und welche Vorbildwirkung sie da hätten. Als ob die Eltern das selbst nicht wüssten. Also die Art und Weise, mit der man da mit mündigen Erwachsenen spricht, so als würde man kleinen Kindern die Welt erklären. Das ist alles problematisch.
Eltern werden durch Regeln wie „Red ma‘ Deutsch“ degradiert
Was könnte man im Sinne der Integration besser machen als die „Red‘ ma Deutsch“ Verordnung, um Kinder und Erwachsene beim Erlernen der deutschen Sprache tatsächlich positiv zu fördern und nicht bloß als Feindbilder rassistisch zu diskriminieren?
Ali Dönmez: Also grundsätzlich verwende ich den Begriff Integration eher kritisch. Da der Begriff vorbelastet ist und es nicht um eine Begegnung auf Augenhöhe geht, sondern darum, dass man von Menschen etwas fordert. Es wird auch so angegeben, unter dem Motto „Fordern und Fördern“ wird es in der „Red ma‘ Deutsch“- Verordnung erwähnt. Dabei gibt es rassistische Gesichtspunkte, wie zum Beispiel Sozialleistungen an Deutschkenntnisse zu koppeln.
„Gleichzeitig sind Deutschkenntnisse für die Inanspruchnahme von Leistungen der Stadt erforderlich“, heißt es da. Und das ist einfach rassistisch. Wenn jemand eine soziale Leistung benötigt, braucht er die aufgrund seiner Armut. Wenn ich das jetzt aber an bestimmte Aspekte knüpfe, wie hier Sprache, dann ist das eine Schlechterstellung aufgrund der Herkunft. Das ist einfach menschenfeindlich und rassistisch.
„Red‘ ma Deutsch“ — verschleiert den Rassismus!
Ali Dönmez erklärt uns weiter, wie die Hausordnung aus einer speziellen Perspektive heraus geschrieben ist.
Ali Dönmez: Was man machen könnte, wäre offen über Rassismus zu sprechen. Denn die Grundprämisse bei diesen Verordnungen ist folgende: Diese Regeln wurden aus einer speziellen Perspektive herausgeschrieben. Also es geht darum, die Lebensqualität einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu verbessern. Nämlich der weißen, österreichischen oder der Dominanzgesellschaft, egal wie man es jetzt nennen mag. Denn wenn es um die Lebensqualität aller Menschen in Österreich oder in Wels gehen würde, dann müssten wir auch über Rassismus sprechen.
Hier ist aber die Rede davon, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Aber auch wenn ich die Sprache kann, werde ich dennoch diskriminiert, aufgrund meines Namens oder aufgrund anderer Merkmale. Der einzige Unterschied ist, ich verstehe dann, wenn jemand zu mir sagt: „Schleich dich wieder dahin zurück, wo du herkommst.“
Das gilt ebenso für die Zugehörigkeit, die hier hervorgehoben wird: „Wer Deutsch lernt, setzt ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu Österreich!“ Diese Zugehörigkeit wird aber ständig zur Bewährung ausgesetzt und bei der ersten Gelegenheit wird einem die Zugehörigkeit zu Österreich wieder abgesprochen. Und dieses Zeichen ist nichts wert, wenn es nicht ehrlich gemeint ist.
„Wessen Lebensqualität soll verbessert werden?“
Es scheint, als würde es grundsätzlich nicht darum gehen, die Lebensqualität für alle zu verbessern?
Ali Dönmez: Wenn man tatsächlich etwas tun möchte, dann muss man über Rassismus sprechen. Dann müssen wir darüber sprechen, dass es von diesen 128 Nationalitäten viele Menschen gibt, die sich öfter bewerben müssen als andere, weil sie einen vermeintlich „falschen“ Namen oder eine bestimmte (sichtbare) Religionszugehörigkeit haben.
Dazu gibt es auch Studien, welche bestätigen, dass man signifikant mehr Bewerbungen schreiben muss, bevor man überhaupt eine Chance bekommt. Dass man es ebenso aufgrund des Namens am Wohnungsmarkt schwieriger hat. Dass es Diskriminierung und Rassismus in der Schule gibt. Das sind ebenso Probleme der Bevölkerung, aber es wird als das Problem der anderen 127 Nationalitäten angesehen. Und diese Probleme der 127 Nationalitäten schaffen es nicht in diese Hausordnung.
Über Rassismus offen sprechen
Ali Dönmez: Also, falls man tatsächlich etwas tun möchte, dann sollte man über Rassismus und Diskriminierung sprechen. Und das Ganze nicht unter der Überschrift „Integration„, wenn es in Wirklichkeit eine Position schafft, die bedeutet: „Wir können von euch etwas fordern!„.
Es sollte in erster Linie um das Zusammenleben im Allgemeinen gehen. Denn für ein gutes Zusammenleben habe ich genauso wie mein Gegenüber auf individueller Ebene Verantwortung. Aber dieses fordern und fördern im Hinblick auf das Thema Integration bedeutet nichts anderes als: Wir können fordern und ihr müsst machen! Und das ist keine gute Ausgangslage für ein Zusammenleben.
Wenn es tatsächlich um Förderung ginge, also um einen pädagogischen Ansatz, dann müssten nicht nur Deutsch, sondern ebenso die Erstsprachen der Kinder gefördert werden. Ansonsten ist die Herangehensweise nicht förderlich für ein gutes Zusammenleben. Was ja eigentlich die Prämisse für die „Red‘ ma Deutsch“ – Verordnung und Voraussetzung für die Lebensqualität ist. Ansonsten stellt sich die Frage: Wessen Lebensqualität soll eigentlich gehoben werden?
Danke, dass du dir Zeit für unsere Fragen genommen hast und uns hier bei der Erklärung der Causa zur Seite gestanden bist. Und alles Gute weiterhin für deine Arbeit.
Titelbild © Jelleke Vanooteghem via Unsplash
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