Schmutziges Geschäft mit Essen: Wie die Mafia den Lebensmittelhandel kontrolliert
Die italienische Mafia expandiert. Drogen, Mozzarella und Gemüse. Wie viel die italienische Mafia im Handel mit Olivenöl und Co verdient ist erschreckend. Oliver Meiler hat darüber ein Buch geschrieben. Eine Spurensuche bei der „Agromafia“.
Der Pate III – eine Vorhersage
Der letzte Teil der berühmten Mafia-Filmreihe nimmt im Jahre 1990 schon vorweg, was mittlerweile Tatsache ist. Die Mafia ist ins „seriöse“ Geschäft eingestiegen. Unter der Regie von Hollywood-Legende und Urgestein Francis Ford Coppola ist die berüchtigte Figur des Michael Corleone (zusammen mit Familie) wieder nach New York gezogen. Dort arbeitet „der Don“ intensiv an seinem finalen Ausstieg aus dem organisierten Verbrechen.
Zum Großteil hat er die schmutzigen Geschäfte seiner Familie bereits legalisiert und ist zum seriösen Unternehmer aufgestiegen. Eigene Wohltätigkeitsstiftungen inklusive. Das Ziel? Der Pate will die Corleones zu einer angesehenen Familie der gehobenen Gesellschaft machen. Und die Mafia im real life?
Die neue Mafia
Das Gesicht der Mafia hat sich gewandelt. Vulgäre Gewalt ist gewichen – obwohl natürlich immer noch darauf zurückgegriffen wird, wenn nötig. Doch die neue Mafia, das sind die gut ausgebildeten Nachkommen der alten Bosse.
Die Clans haben in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Weitblick bewiesen und ihre Sprösslinge an den besten Universitäten studieren lassen. Dort sind diese zu Informatikern, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlern geworden. Die jungen Mafiosi sind weltgewandt, gebildet, mehrsprachig. Ausgestattet mit guten Umgangsformen und internationalen Netzwerken. Sie müssen keine Knochen mehr brechen.
Es reicht, Computersysteme zu hacken und gekonnt Geld zu verschieben. Oftmals sogar ganz legal und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Mit Steuertricks ganz nach dem Vorbild der Big Player von Amazon und Google.
Neue Märkte
Die neue Mafia erschießt nicht mehr, sondern erschließt sich neue Märkte. Von manipulierten Onlinewetten bis hin zu komplexen Firmen- und Scheinfirmen-Konstrukten. Von der Börse bis hin zu den Immobilien. Den Großteil der Geschäfte macht die Mafia immer noch mit dem Drogenhandel.
Doch ist sie offen und aufgeschlossen für alle möglichen Formen der Gewinnmaximierung. Vor allem investiert diese junge und freshe Mafia massiv in ganz legale Geschäfte. Immer natürlich vorhanden, die Fähigkeit die Gunst der Stunde zu nutzen.
„Während der Wirtschaftskrise gelang es ihr (der Mafia), Milliarden aus dem Drogenhandel zu waschen. Das ging ganz einfach: Viele Unternehmen rangen ums Überleben, die Banken gaben kaum mehr Kredite. Die Mafia aber war liquid und kaufte alles, was es zu kaufen gab. Auch Tausende Restaurants – und hektarweise Agrarland.“, weiß vor allem Oliver Meiler, Politikwissenschaftler, Journalist und Autor des Buches Agromafia. Er weiß auch, wie Ndrangheta & Co. die italienische Lebensmittelproduktion beherrschen – und was auf unsere Teller kommt.
Die Mafia in unseren Tellern: Sie verdient Milliarden mit dem italienischen Essen, jedes Jahr mehr. Eine Reise durch Italien, von Pachino bis Mailand, entlang der Seidenstrasse der Agromafia. Mein Buch, im Handel ab 19.2. @dtv_verlag pic.twitter.com/Yv9Q3yXT0q
— Oliver Meiler (@OliverMeiler) February 16, 2021
Back to the roots
Die Mafia, vom Land kommend, ist aufs Land zurückgekehrt. „Sie kaufte Ländereien im großen Stil, um selbst Gemüse und Früchte zu produzieren oder, öfter noch, um Subventionen aus den Strukturfonds der Europäischen Union abzuschöpfen. Besitzer, die nicht verkaufen mochten, wurden in die Knie gezwungen. Mit Viehraub, Brandanschlägen, der Zerstörung ganzer Ernten.“, so Meiler weiter.
Willkommen in der Welt der Agromafia. Wo sich ehemalige Bauern und Mittelsmänner von Großgrundbesitzern aus dem italienischen Hinterland über Jahrzehnte hinweg immer mehr verselbstständigt haben. Und heute zur neuen Mafia geworden sind.
Einst trieben sie Feldarbeiter an, die sie zu Hungerslöhnen beschäftigten. „Dann trugen sie das Gemüse und die Früchte auf die Märkte und in die Häfen der Städte und holten dort für die Herrschaften, die sie schickten, möglichst viel für die Ware heraus. Notfalls mit Gewalt. Während die Preise anderswo in Europa an Börsen bestimmt wurden, war es im Süden Italiens die Mafia, die bestimmte.“
Doch die einstigen Handlanger von gierigen Großgrundbesitzern wollten mehr. So wurde die Mafia immer stärker. Schließlich jagten sie die Herrschaften zum Teufel und übernahmen selbst die Kontrolle über deren Ländereien. Sie haben mittlerweile ja verstanden, wie es geht. Und diese Fähigkeit sich weiterzuentwickeln haben sie bis heute nicht verlernt.
Die Geburtsstunde der Agromafia
Der erste Jahresbericht über das Phänomen „Agromafia“ traf Italien wie ein Schock. Wir schreiben das Jahr 2012. Die Wirtschaftskrise feierte in Italien gerade ihren Höhepunkt und die Mafia feierte gleich mit. Von da an war klar, dass der Feind nicht mehr so leicht auszumachen ist und man oft das Bett bzw. den Mittagstisch mit diesem teilt. Und das öfter, als einem lieb sein kann.
„Solange die Mafia für Drogen- und Waffenhandel stand, für Prostitution und Erpressung, schien sie weit weg zu sein von der geordneten Welt der Normalbürger. Nun war sie einem plötzlich nah, versteckt auf dem Teller.“, klärt Meiler auf. 22 Jahre nach dem visionären Film Der Pate III hat es die Mafia geschafft. „Vom Feld bis ins Regal der Supermärkte und auf die Tische: Die Mafia hat die gesamte Kette unterwandert.“
400.000 schuften in ital Landwirtschaft für 2,50€/h#AgroMafia https://t.co/z4YXxLfjEC
— Loretta (@laRossa05) February 23, 2016
Alle Jahre wieder
Seit diesem Jahr der Bewusstwerdung der wahren Größe der Mafia ist jedes Jahr ein neuer Bericht erschienen. Und die Lage hat sich nicht im Geringsten verbessert. Immer wieder neue Skandale und Betrugsfälle. Hauptgeldader in diesem Gefilde des Betrugs (nach dem Drogenhandel) ist der Lebensmittelhandel.
Belief sich die „erwirtschaftete“ Summe im Jahr 2012 noch auf 12,5 Milliarden Euro, lag sie 2019 schon bei 24,5 Milliarden Euro. „Im Durchschnitt wachsen die Einkünfte aus diesem Geschäft um zehn Prozent pro Jahr. Einige Produkte versprechen Gewinnmargen von 500, gar 1000 Prozent. Kein Business der Mafia ist verlässlicher und stabiler als das Geschäft mit der Ernährung.“
Das schmutzige Geschäft mit dem Essen. Der Handel mit Gemüse, Früchten, Olivenöl, Mozzarella, Pizza und Pasta ist einer der bedeutenden Sektoren im Portfolio der Mafia. Es ist ihr zweitgrößtes Geschäft. Nur Drogen bringen noch mehr. Doch die sind „leider“ illegal. Essen hingegen ist eine Notwendigkeit. Aber auch Bedürfnis und Freude. Essen ist legal. Somit scheint es nur eine Frage der Zeit, bis mit Essen mehr Geld ergaunert wird, als mit Drogen.
Mafia auf dem Teller
Besonders Perfide: „Das Business der Agromafia, wie man die Mafia der Lebensmittelproduktion nennt, wächst parallel zum Erfolg der italienischen Küche. Und der ist phänomenal, weltumspannend, eine der ganz großen Geschichten.“
Allein in Italien ist der „erwirtschaftete“ Umsatz enorm. Am Nahrungsmittelsektor werden dort jährlich 140 Milliarden Euro umgesetzt. Und diese Summe bezieht sich nur auf den Handel mit den Produkten selbst. Die Gesamtsumme aus allem was zur Branche gehört beläuft sich auf 540 Milliarden Euro pro Jahr.
Hier inkludiert: italienische Restaurants, der Verkauf italienischer Maschinen für die Herstellung der Produkte, der Transport und die Verteilung von Gemüse und Früchten etc. Fast jeder fünfte italienische Arbeitnehmer ist in diesem Industriezweig tätig. Das sind insgesamt 3,8 Millionen Menschen. „Noch nie kam uns die Mafia so nah: Sie hat sich zu uns an den Tisch gesetzt, sich auf den Teller geschlichen.“ Und sie hört nicht auf damit.
Corona – neue Chance für die neue Mafia
Als ob das nicht schon problematisch genug wäre. Die Covid-19 Pandemie, mit all ihren Folgen für Wirtschaft, Tourismus Gastronomie, weckte neue Sorgen und eröffnet der Mafia erneut Gelegenheit zu wachsen. Diese wird auch jetzt „im Gewand von „Schakalen und Geiern“ über die Opfer der Krise herfallen“. Diese mit Wucherzinsen und Erpressung in die Abhängigkeit treiben und sie dann vollkommen verzehren und tilgen. Genauso wie sie das auch in der letzten Wirtschaftskrise gemacht hat.
Die italienische Regierung versucht dem natürlich entgegenzuwirken. Sie fordert Banken auf, schnell und unkompliziert Kredite zu gewähren, um Restaurants und Hotels vor dem Zugriff der neuen Mafia zu bewahren. „Ein Wettrennen mit der Zeit, mit unsicherem Ausgang und trüber Vorahnung: In der Regel ist das Geld der Mafia schneller.“, sieht Meiler der Zukunft pessimistisch entgegen.
Titelbild Credits: Shutterstock
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