Erstaunlich, aber leider wahr: Opfer von Gaslighting fangen nach einer Zeit an, sich in gewissem Sinne selbst zu gaslighten, sodass die Täter*innen nicht mehr wirklich viel machen müssen. Ergo: Die Stimme der toxischen Partnerschaft wird zur eigenen. Hier erfährst du alles, was du über das sogenannte Selbst-Gaslighting wissen musst.
Gaslighting – nicht nur ein teuflisches Werkzeug in Paarbeziehungen
Gaslighting hat über die Jahrzehnte immer mehr den Ruf, das Tool eines narzisstischen Menschen zu sein, der uns unsicher und von sich abhängig machen will. Doch diese Annahme ist zu klein gedacht. Denn auch Religionen, Weltanschauungen und Dogmen werden ebenfalls zum Gaslighting missbraucht und wirken lange in uns nach.
Man denke nur an die vielen Religionen mit ihren Werten, Regeln und Anforderungen, die wir noch immer befolgen. Obwohl wir uns niemals als religiös oder gläubig bezeichnen würden, ja sogar explizit gegen diese Indoktrination ankämpfen zu glauben.
Gaslighting: Taktik der Reichen und Mächtigen
Gaslighting wird darüber hinaus auch von vielen Menschen verwendet, die keine narzisstische Störung haben. Rassistische oder auch sexistische Herabsetzungen zum Beispiel werden von den Täter*innen oft als harmloser Witz abgetan, machen die Opfer aber dennoch unsicher und abhängig von Fremdmeinungen. Gaslighting ist aber vor allem auch ein Werkzeug der Reichen und Mächtigen, ihre Herrschaftsverhältnisse zu festigen und das Aufbegehren im Zaum zu halten.
Wer hört nicht überall von den ganzen Pseudo-Selfmade-People, die es aus vermeintlich ärmlichen Verhältnissen alleine bis ganz nach oben geschafft haben. Den dahinter wirken Nepotismus, der eigentlich für ihren Erfolg wirklich verantwortlich ist, verschweigen sie bei diesen Erzählungen jedoch gekonnt.
Mit dieser nicht wahrheitsgetreuen Erzählung ihrer (Helden)Geschichte reden sie allen andern ein, die es eben nicht geschafft haben, sie wären selbst schuld an der Misere. Frei nach dem You can get it if you really want-Gedanken: Dann hat man es einfach nicht stark genug gewollt, denn möglich ist ja alles …
Obwohl die, die es geschafft haben, es eigentlich auch nur durch die klassenbedingten Voraussetzungen geschafft haben. Ergebnis dieser Form des Gaslighting: Die, die es eben nicht schaffen, geben sich selbst die Schuld, anstatt die geopolitischen, sozioökonomischen und die gesellschaftlichen Grundverhältnisse in die Pflicht zu ziehen.
Selbst-Gaslighting – wie das Opfer sich selbst noch weiter quält
Opfer von Gaslighting verlieren ihre Orientierung. Klar, durch das permanent toxische Zureden von außen, haben sie lange schon keinen Zugriff zu sich selbst. Orientierungslos und ohne inneren Kompass werden sie so abhängig von den Gaslichtern um sie herum. Dort suchen sie Sicherheit und Anerkennung, die sie sich selbst nicht geben können.
Geplagt von Selbstzweifel, der Schwierigkeit Entscheidungen zu treffen, hinterfragen sie sich übermäßig und manövrieren sich so in eine Zwickmühle. Durch dieses innere Durcheinander sind sie nur noch umso anfälliger für Gaslighting. Nicht nur für das von außen, sondern vor allem auch für das in sich selbst.
Selbst-Gaslighting hilft bei kognitiver Dissonanz
Selbst-Gaslighting ist somit ein zentraler Bestandteil toxischer Beziehungen. Es wird benutzt, um mit der sogenannten kognitiven Dissonanz klarzukommen, wie Turid Müller in ihrem Buch Verdeckter Narzissmus in Beziehungen erklärt:
„Die Person, in die wir uns verliebt haben, hat immer weniger gemein mit der Person, mit der wir zusammenleben. Wir wissen nicht, welche die echte ist. Die seelische Spannung ist schwer aushaltbar. Selbst-Gaslighting macht es leichter. Denn es hilft uns, die Illusion der liebevollen Partnerschaft länger aufrechtzuerhalten und alles, was nicht ins Bild passt, zu rechtfertigen.“
Paradoxerweise fühlt man sich auch noch „besonders gut“, wenn man sich selbst die Schuld geben kann – vor allem am Verhalten des anderen oder an den desaströsen Umständen der Beziehung.
Schuldumkehr in toxischen Beziehungen
Man fühlt sich „gut“ dabei, aus einem verständlichen Grund: Das eigene Verhalten kann man verändern. So fühlt man sich nicht ganz so ohnmächtig und ausgeliefert. Denn theoretisch lässt sich der Beziehungskarren ja noch aus der toxischen Scheiße ziehen.
Ein fataler Gedanke, denn im Grunde ist es ja immer noch so, dass nicht das Opfer das Problem ist. Sondern der oder die toxische Täter*in. Gedanken wie jene des Selbst-Gaslighting führen dann zwangsläufig auch in die klassische Schuldumkehr in toxischen Beziehungen. Doch was du dagegen tun kannst, haben wir in einem eigenen Artikel zusammengefasst.
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