Spotify hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2006 einen festen Platz in unseren Ohren und auf unseren Handys gesichert. Der rasante Aufstieg des schwedischen Unternehmens zum absoluten Streaming-Monopol hat dabei ganze Generationen geprägt. Denn es gibt wohl keine Sparte, wo die Macht der Algorithmen international agierender Unternehmen so deutlich wird wie in der Musikbranche. Denn durch Spotify hat sich, einerseits die Art verändert, wie Musiker*innen ihren Sound gestalten und andererseits die Art, wie Hörer*innen Musik konsumieren.
In der Kürze liegt die Effizienz
Das Album als Darbietungsform ist dabei immer mehr in den Hintergrund gerückt, während der Fokus auf Schnelligkeit und einzelne Tracks gelegt wurde. Parallel dazu konnte man statistisch beobachten, wie die Lieder im Laufe der Jahre stets kürzer wurden. Aufgrund dessen, dass ein Stream bereits ab 30 Sekunden Laufzeit gezählt wird. Alles darüber hinaus ist also im Sinne der Effizienz zu vernachlässigen. Durch diese Marktkriterien wurden Künstler und Künstlerinnen in ihrer Kreativität, wenn sie professionell stattfinden wollten, immer stärker von Spotify dominiert.
In der Vergangenheit gab es dabei immer wieder Kontroversen um angeblich manipulierte oder gekaufte Streamingzahlen und anhaltende Kritik bezüglich der unfairen Gewinnausschüttung an Künstler*innen. Ein neuer Skandal lässt nun die Musikszene wieder aufhorchen. Denn wie eine BR-Recherche aufdecken konnte, scheinen Producer-Netzwerke mit fiktiven Künstler*innen und optimalen Playlist-Platzierungen Geld zu machen. Doch wie fair ist das anderen Künstler*innen gegenüber? Und welche Rolle spielt dabei der Streamingriese Spotify selbst?
Ghostproducer
Auf Spotify zählt die „Peaceful Piano“-Playlist by Spotify mit etwas mehr als 7 Millionen Likes zu einer der beliebtesten Listen der Plattform. Kein Wunder, wenn man sich die Beschreibung anschaut, die Spotify dazu angegeben hat. Denn sie verspricht, bei der Entschleunigung und dem Relaxen zu helfen. Wenn man die einzelnen Stücke auf der Liste näher betrachtet, dann erkennt man, dass hier bereits alles passend für die Marktinteressen zu Recht geschliffen wurde.
Nummern mit 3 Minuten Länge stellen dabei die Ausnahme. Lounge Musik für alle und viele Lebenssituationen. Und genau hier in dieser klickstarken Playlist konnte die BR-Recherche fiktive Musiker*innen entlarven.
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Eine angebliche Musikerin taucht Ende 2022 in der Playlist auf und nennt sich Amandine Moulin. Laut ihrer Bio ist Amandine klassisch ausgebildete Pianistin aus Paris. Im Jahr 2019 beschloss sie ihre eigenen Songs zu schreiben und schon ging es los. Einer ihrer Tracks namens „La Vie“ wurde über 13 Millionen Mal gestreamt. Das sind Zahlen, von denen viele Künstler*innen weltweit nur träumen können. Amandine gibt an, dass sie versucht, mit ihrem Sound ihre Persönlichkeit wieder zu spiegeln. Eine Persönlichkeit, die nicht wirklich existiert, denn Amandine Moulin ist kein echter Mensch.
BR konnte aufgedeckten, dass sich hinter diesem Künstlernamen ein Mann aus Schweden verbirgt. Und Amandine ist nicht seine einzige Kreation. Denn seiner Feder sind angeblich zahlreiche weitere Musiker*innen entsprungen. Alle mit nichtssagender Bio. Da gibt es z. B. einen Musiker mit „hawaiianischen Wurzeln“ der Klischeehaft eine ganz klassische Verbundenheit zur Natur pflegt. Und noch weitere Beispiele. Aber wie konnte BR den Schwindel entlarven?
Produzenten-Netzwerk hinter Spotify Masche?
Um die Geister-Produzenten zu entlarven, hat das Journalistenteam die Datenbank der amerikanischen Verwertungsgesellschaft für Musik (ASCAP) mit der Datenbank der deutschen GEMA verglichen. In diesen Datenbanken sind für die Tantiemen-Auszahlung und Streaming-Überweisungen die echten Namen der Personen hinter dem Vertrieb angegeben. Was sie dabei entdeckten, ließ sie staunen. Denn mit dem ominösen Producer aus Schweden lassen sich über 100 Künstlernamen in Verbindung bringen.
Der schwedische Technik- und Musikjournalist Linus Larsson bezeichnete ihn in der Tageszeitung „Dangens Nyheter“ als Fake Artist. Wobei er das in Wahrheit nicht ist. Denn eins ist unumstritten, die Person, die die Musik kreiert hat, ist ein wahrer Künstler. Das Dilemma besteht eher in den auffällig guten Platzierungen in extrem klickstarken Playlists.
Zahlreiche der gefakten Spotify-Künstler*innen vermitteln dabei den Eindruck, einen exotischen Background zu haben und unter anderem aus Italien oder Island zu kommen. Larsson konnte auch nachweisen, dass es sich hier nicht um ein einzelnes Genie handelt, das mit der Spotify Masche Millionen von Streams absahnt. Laut ihm verbirgt sich dahinter „eine kleine Gruppe schwedischer Produzenten“. Sie sind die Ghostwriter oder besser gesagt die Ghostproducer hinter der Spotify Masche.
Manche Spotify-Playlists zu 60 % Fake
Die ARD Doku-Serie „Dirty Little Secrets“ konnte ebenfalls nachweisen, dass Ende des vergangenen Jahres auf der „Peaceful Piano“- Playlist bei 600 verfügbaren Titeln mindestens 60 % des Sounds von Ghostproducern stammte. Viele dieser sogenannten Fake-Artists lassen sich über weitere kleine Labels bis zu dem schwedischen Label „Firefly Entertainment“ zurückverfolgen.
Dass das alles bloßer Zufall ist, daran wollten viele der recherchierenden Journalisten nicht glauben und begeben sich weiter auf die Suche. Denn von den harmlosen Ghostproducern ausgehend scheint hier ein größerer Verdacht im Raum zu stehen. Und zwar, dass Spotify die Playlists gezielt mit einem Ghostoroducer-Netzwerk manipuliert.
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Linus Larsson betont in einem Interview mit dem BR, dass einer der Gründer des „Firefly Entertainment“ Labels eine persönliche Beziehung zu einem ehemaligen Spotify Manager pflegt. Und zwar dem Manager, der zufälligerweise das Konzept der Playlist entwickelt hat. In den sozialen Medien lassen sich Bilder von beiden Männern auf Reisen finden. Ob das Ganze eine riesige Verschwörung ist, ist hier aber wohl zu weit gegriffen.
Dass Spotify mit zahlreichen Producer*innen zusammenarbeitet und es jedem und jeder frei steht, seine Künstler-Bio so anzulegen, wie er oder sie es möchte, ist kein Geheimnis. Ebenso sind Alteregos und Kunstfiguren schon immer bestehender Teil der Musikkultur. Es geht eher um die Platzierungen in den Playlisten.
Geringere Ausschüttung gegen Platzierung?
Die BR-Recherche deutet darauf hin, dass pro Stream eine geringere Ausschüttung für Ghostproducer ausgezahlt wird. Im Gegensatz werden sie dafür in reichweitenstarke Playlists platziert. Reportern des Rechercheteams von BR konnten sogar Einblicke in ein solches Angebot an einen Musiker erlangen. An sich wäre das alles kein Problem, würden nicht weltweit Millionen von Künstler*innen um dieselbe Ausschüttung auf Spotify konkurrieren.
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Auch wenn abschließend nicht geklärt werden konnte, welche Verbindung und ob es überhaupt Verbindungen zwischen den kleinen Labels und Spotify gibt, bleibt das Problem bestehen. Während Spotify, Geld für Millionen von Streams an Ghostproducer ausschüttet, werden parallel dazu andere Künstlerinnen und Künstler für ihre Produktionen nicht entlohnt. Und das nur aufgrund der Playlisten Platzierung. Denn dass das Spotify Game hauptsächlich über die Playlists läuft, weiß heutzutage jedes Kind.
Pro-Rata-Model
Das aktuelle Bezahlsystem, das sogenannte „Pro-Rata-Modell“, sorgt dafür, dass Streaming-Einnahmen nicht direkt an die Künstlerinnen und Künstler fließen, die eine Person beim Hören generiert. Stattdessen fließen die Einnahmen in einen großen Gesamtpool, der dann unter allen Künstlern auf Spotify verteilt wird, je nachdem, wie groß ihr Anteil an allen Streams ist.
Zahlreiche Künstler*innen setzten sich seit Jahren für eine gerechtere Verteilung der Einnahmen ein. Da viele Künstlerinnen und Künstler allein vom Streaming nicht leben können. Sie kritisieren, dass der Verteilungsschlüssel besagt: Je häufiger ein Song gehört wird, desto mehr ist er wert! Deshalb werden immer wieder Forderungen nach einem fairen Bezahlmodell laut.
Und während man bei uns in Österreich Künstler*innen gerne am Rande der Armutsgrenze sieht, da Kunst sowieso nur Teufelswerk ist. Sind unsere deutschen Nachbarn etwas weiter. Denn hier hat die deutsche Bundesregierung im letzten Jahr eine Studie zum Thema Streaming in Auftrag gegeben. Dabei geht es um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Verteilungsproblematik für Künstler und Künstlerinnen.
Die ersten Ergebnisse der Streaming-Studie werden gegen Ende des Jahres erwartet. Das britische Unterhaus hat bereits 2021 eine umfassende Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt und kam dabei zu dem Schluss, dass „Streaming einen vollständigen Neuanfang benötigt“.
Es ist schon seit vielen Jahren offensichtlich, dass das Streaming eine komplette Neuausrichtung braucht, um faire Bedingungen zu schaffen. Da der Streamingriese Spotify anscheinend nicht freiwillig etwas ändern möchte, wäre es langsam an der Zeit, dass die Gesetzgebenden einschreiten, um den letzten Funken Seele in der Musik noch zu retten.
Titelbild © Shutterstock
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