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Ständige Erreichbarkeit: Auswirkungen auf Psyche und Ursprung von Depression
Die Grenze zwischen Beruf und Freizeit löst sich auf. Arbeit ohne Ende. Feierabend war gestern. Und Wochenende? Urlaub? Ständige Erreichbarkeit ist ein problematisches Phänomen, das langfristig zu psychischen Krankheiten führt. Eine Bestandsaufnahme.
Job 24/7 – eine neue Realität
Man wacht morgens aus. Das erste, was man tut, ist, man blickt aufs Handy. Beim Frühstück überprüft man, ob es in der Arbeit etwaige dringliche Aufgaben gibt. Auf dem Weg zur Arbeit strukturiert man schon die ersten Stunden im Büro. Man will ja effektiv sein. In der Mittagspause – insofern man eine macht – unterhält man sich mit den Kollegen.
Worüber? Über die Arbeit natürlich. Und nach der Arbeitszeit? Immer wieder Blicke auf den Mail-Eingang, womit morgen im Büro wohl zu rechnen ist. Wenn man die Anfragen ohnehin nicht schnell noch zu Hause abarbeitet. In der trügerischen Annahme, man erspare sich so am nächsten Tag etwas Zeit im Büro.
Doch da warten dann schon andere Aufgaben auf einen. Über die man sich natürlich gleich nach dem Aufwachen informiert hat. Hobbys? Natürlich Sport. Aber nur, um für die Arbeit wieder fit zu sein. Worüber spricht man in seiner Freizeit? Über die Arbeit natürlich.
Ständige Erreichbarkeit – ein problematisches Phänomen
Das Phänomen, worunter viele Arbeitnehmer*innen leiden, nennt sich ständige Erreichbarkeit. Selbstbezeichnend geht es dabei um das Problem, dass viele Menschen auch in ihrer offiziellen Freizeit von ihrem Job nicht lassen können oder wollen. Die neuen Zahlen sind geradezu dramatisch.
Es ist kaum zu glauben, wie viel Arbeitende in der Freizeit, im Urlaub und sogar im Krankenstand erreichbar sind. Eine repräsentative Studie der AK im Dienstleistungsbereich fand heraus, das 70 Prozent in der Freizeit für Kollegen und Chefs. Vor allem in Zeiten der Pandemie und Homeoffice verschwimmt für viele Arbeitende, die einst klar gezogene Linie zwischen Beruf und Freizeit. Ergebnis dieses Lifestyle: Ständige Erreichbarkeit verursacht natürlich – früher oder später – den Anstieg psychischer Belastungen.
Ständige Erreichbarkeit macht krank
Mittelfristig erwartet man sich von ständiger Erreichbarkeit natürlich eine Beförderung. Auf lange Sicht wird diese permanente Verfügbarkeit doch eher zum Problem. Und zwar für alle Beteiligten. Die Leistungsfähigkeit fällt an einem Punkt natürlich rapide ab. Die Fehleranfälligkeit steigt. Die Konzentration sinkt. Problematisch natürlich für die Chefinnen und Chefs.
Schwerwiegender sind da jedoch die Entwicklungen für die ständig Erreichbaren. Wie die Arbeiterkammer aufklärt, liegt der starke Anstieg an psychischen Belastungen in direktem Zusammenhang mit diesem Phänomen der permanenten Verfügbarkeit.
„Ständige Erreichbarkeit macht krank. Es braucht daher klare Regelungen, um der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu begegnen. Flexibilisierung ist keine Einbahnstraße.“, so AK Niederösterreich-Präsident und ÖGB NÖ-Vorsitzender Markus Wieser zu dieser Problematik.
Ständige Erreichbarkeit – eine besorgniserregende Entwicklung
Als wäre es das Normalste der Welt, verschwimmt für viele die Grenze zwischen Freizeit und Beruf. Wie schon erwähnt, sind laut einer repräsentativen Studie bis zu 70 Prozent der Arbeitenden für ihre Kollegen und Vorgesetzten auch in der Freizeit erreichbar. Sogar im Krankenstand sind immer noch fast 60 Prozent permanent verfügbar. Sogar an den Wochenenden und im Urlaub bleibt fast jeder zweite Arbeitnehmende erreichbar.
Vor allem Smartphone, Tablet und Laptop ermöglichen diese ständige Erreichbarkeit. Mit kräftiger Unterstützung der Arbeitgeber*innen, aufgrund der Bereitstellung von dienstrelevanten Kommunikationsmitteln.
„Bereits jede/r Siebente besitzt ein dienstliches Smartphone, vor zwei Jahren war es noch jeder Zehnte. Auch Daten sind (etwa via „Cloud“) mühelos permanent verfügbar und machen dadurch ein Arbeiten rund um die Uhr möglich. Die Folgen jedoch sind vor allem erhebliche gesundheitliche Auswirkungen.“, warnt die Arbeiterkammer weiter.
Ständige Erreichbarkeit macht krank
Tatsache ist, dass ständige Erreichbarkeit zu psychischen Belastungen führt. Menschen, die regelmäßig außerhalb ihrer Dienstzeiten erreichbar sind, klagen besorgniserregend häufig über Schlafstörungen. Weiters geben Arbeitnehmer*innen an, unter der ständigen Erreichbarkeit zu leiden. Diese fühlen sich häufiger gehetzt als jene, die nicht ständig erreichbar sind.
Ständige Erreichbarkeit wird zum Teil sogar als Zwang empfunden. Dennoch ist verwunderlich, dass ständige Erreichbarkeit nicht ausschließlich unbeliebt ist. Eine internationale Studie aus dem Jahre 2016 zeigte schon damals, dass es im internationalen Durchschnitt 42 Prozent der Befragten wichtig war, immer und überall erreichbar zu sein.
Das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit ist daher recht ambivalent. Denn das Ergebnis einer anderen Studie kommt zum Schluss, dass Beschäftigte durchaus gerne erreichbar sind, da es praktisch ist und sie es als beruhigend empfinden, wenn sie auch im Urlaub ihre E-Mails checken können.
Es wird als beruhigend bezeichnet, auch in der Freizeit und im Urlaub zu wissen, was im Büro passiert. Auch unterstellen viele dem Phänomen der ständigen Erreichbarkeit eine flexiblere Arbeitsgestaltung (räumlich und zeitlich). Familie und Beruf lassen sich daher möglicherweise besser vereinbaren, meinen einige. Viele der Arbeitnehmenden scheinen es daher selbst einfach nicht besser zu wissen.
Trotz dieser scheinbaren Gratwanderung zwischen Vorteilen und Nachteilen bleibt es Fakt, dass der Anteil der Beschäftigten mit Depressionserscheinungen bei jenen, die in ihrer Freizeit nicht oder kaum erreichbar sind, nur bei 11,3 Prozent liegt. Während bei Beschäftigten mit hoher Erreichbarkeit diese Zahl mehr als doppelt so hoch ist. 24 Prozent, wie aus einem DAK-Gesundheitsreport hervorgeht. Dieser stammt jedoch aus dem Jahre 2013. Es ist anzunehmen, dass sich diese Zahl nicht verkleinert hat.
Unternehmen beugen der ständigen Erreichbarkeit vor
Wie man sieht, ist das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit schon lange bekannt. Daher haben einige Unternehmen schon darauf reagiert. Diese versuchen die Arbeitszeit von der Freizeit zu trennen. Die Firma Volkswagen in Deutschland hat schon im Jahre 2011 eine E-Mail Pause eingeführt. „Eine halbe Stunde nach Dienstende wird der Mail-Server für alle Diensthandys gemäß einer Betriebsvereinbarung ausgeschaltet und fährt erst eine halbe Stunde vor Beginn am nächsten Tag wieder hoch. Dazwischen und an Wochenenden hat der Job Pause – zumindest für jenen Teil der Belegschaft mit Tarifvertrag und Diensthandy.“, liest man hier. Das Unternehmen BMW verrechnet Dienstmails in der Freizeit sogar aufs Stundenkonto. Daimler löscht Korrespondenz, die im Urlaub eintrifft, komplett. In vielen Unternehmen verbannt man sogar WhatsApp und Snapchat von den Diensthandys.
Nur um aufzuklären: Eine Verpflichtung zur ständigen Erreichbarkeit gibt es (im Normalfall) nicht. Im Gegenteil. Paragraf 20 des Arbeitszeitgesetzes beschränkt die Rufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit auf maximal zehn Tage pro Monat.
Das wird die Vielzahl an über-motivierten und über-ambitionierten Beschäftigten doch vermutlich nicht davon abhalten auf ihre permanente Verfügbarkeit zu verzichten, um bewusst kürzer zu treten und auf sich zu achten. Ein Karotten-Prinzip. Die Idee dahinter: die Karotte einen halben Meter vor die eigene Nase gebunden, hört der Esel nicht zu laufen auf. Auch wenn klar sein müsste, dass er die Belohnung in Form der Karotte nie erreichen wird.
Titelbild Credits: Shutterstock
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